Mit bloßer Küchenpsychologie kommt der Beobachter des Promi-Big-Brother-Hauses nicht weiter. Hier braucht es schon Großküchenpsychologie. Schließlich werden in dem künstlichen Biotop für Buchstabenprominenz existenzielle Konflikte ausgetragen. Es geht um Identität: Werde ich es schaffen, mich von meinem Ruf zu emanzipieren? (Zum Beispiel: Cathy Lugner, bisher Baulöwen-Gspusi, und Ben Tewaag, bisher missratener Sohn.) Um Alter: Wird mir das Essen aus dem Mund fallen? (Joachim Witt, 67) Um Alkohol: Warum gibt es hier keinen Wodka? (Natascha Ochsenknecht) Und natürlich um die Frage: Werde ich endlich berühmt? (alle)
Das mit dem Biotop im Sinne eines schleimigen Feuchtgebiets meint Sat.1 in der vierten Staffel Promi Big Brother im Übrigen durchaus wörtlich. Ein Teil der Bewohner wird in der Kanalisation hausen, während der Rest oben im Möbelhaus-Wohnwelten-Chic leben und Prosecco für 6,99 Euro die Flasche schlürfen darf. Im Reality-TV-Kosmos ist diese Kombination auch bekannt als: Luxusbereich. Der Klassenunterschied der Bewohner während der 14-tägigen Übertragung garantiert niedere Emotionen und unterirdische Gags. Moderator Jochen Schropp beginnt schon mal mit Letzterem: "Hier sind unsere Promis tatsächlich ganz unten angekommen."
Weil Schropp erfahrungsgemäß so unterhaltsam ist wie ein Morningshowanimateur im Radio, wurde ihm in den vergangenen Staffeln Cindy aus Marzahn zur Seite gestellt. In diesem Jahr ist Kabarettistin Desirée Nick als weiblicher Sidekick gebucht. Und das mit dem Ablesen der vorgeschriebenen Pointen klappt schon ganz gut: Die ganze Bandbreite der Kinder Gottes sei in diesem Jahr vertreten, sagt Nick, "in all ihren Verzerrungen". Ja, tatsächlich, man darf sich Promi Big Brother wie familiäres Mehrgenerationen-Wohnprojekt vorstellen - mit überproportionalem Anteil an verrückten Tanten und notgeilen Onkels.
Vagina-Vergleich am ersten Abend
In Kandidatin Edona James kommt alles zusammen: Tante, Onkel, verrückt und notgeil. Die Transsexuelle war bereits Teilnehmerin des Nackt-Dating-Formats Adam und Eva bei RTL und wurde offenbar auch bei Sat.1 eingekauft, um dem Publikum zu zeigen, was ihr der Chirurg geschenkt hat. So kommt es gleich am ersten Abend in der Kanalisation zum Vagina-Vergleich zwischen Edona und Mitbewohnerin Jessica Paszka, Ex- Bachelor-Kandidatin. Auch die hat im Übrigen vollstes Vertrauen, dass die Götter in Weiß korrigieren können, was der Herrgott nicht zur eigenen Zufriedenheit angelegt hat: "Meine letzte Schönheits-OP war der brazilian butt."
Großküchenpsychologisch ist das Ganze schwierig. Nicht, weil nicht jeder das Recht hätte, oben was dranzubauen, unten was wegzunehmen und hinten was reinzuspritzen, wenn es ihm oder ihr hilft. Aber Kandidatin Edona wirkt stellenweise, als stünde sie kurz vor dem Zusammenbruch - und das liegt nicht am überdimensionierten Silikonbusen.
Fürs gute Gewissen des Ironisch-Guckers sind Kandidaten wie Prinz Marcus von Anhalt viel besser. Seine durchlauchte Großkotzigkeit proletet direkt im ersten Einspieler los: "Ich hab' nicht mehr viel zu arbeiten. Ich muss eigentlich nur noch einmal im Monat auf meinen Kontoauszug gucken." Für solche Sätze wird der selbsternannte Bordell-König prompt vom Publikum in die Kanalisation gewählt. Er nimmt's sportlich, mit Strafe kennt er sich aus. Der Mann mit dem gekauften Adelstitel (Prinz, nicht Bordell-König) nutzt die Fernsehshow als Resozialisierungsmaßnahme - bis vor Kurzem saß er eine Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung ab.
Nun also die freiwillige Einkerkerung im TV. Mit sexuellen Entbehrungen hat er dabei nach eigener Aussage weniger Probleme als mit dem Zurücklassen von Tochter und "Rollex". Für Fans deutscher Trash-Monarchie: Von Prinzen-Töchterchen Shanaya, sechs Jahre alt, gibt es ein rührendes Video, wie sie ihrem Vater nach dessen Haftentlassung mit einem kreischenden "What the fuck!?" um den Hals fällt. Kurz vorher antwortet sie auf die Frage ihrer Mutter, wie sie denn reagieren würde, wenn ihr andere Kinder das Spielzeug wegnehmen: "Dann mach' ich die kaputt."
Apropos dysfunktionale Familien: Shanaya ist nicht zu verwechseln mit Cheyenne, Tochter von Promi-Big-Brother-Kandidatin Natascha Ochsenknecht. Cheyenne wurde mit 14 von der Boulevardpresse in einer Berliner Großraumdisko abgelichtet, eine Whiskey-Flasche am Mund. Damit wäre sie die naheliegende Gesprächspartnerin gewesen für Ben Tewaag, Sohn und Sorgenkind von Schauspielerin Uschi Glas. Die beiden hätten in der Sat.1-Kanalisation wunderbare Gespräche führen können über das Leben im Schatten übermächtiger Eltern, die Nachstellungen der Boulevardpresse, über schlechte Freunde und die Verheißungen des Alkohols. Aber der Sender entschied sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen für Mama Ochsenknecht, die gleich zu Beginn klar macht: "Ich bin sehr, sehr spießig."
Da erweist es sich als glückliche Fügung des Castinggotts, dass Tewaag mit einem weiteren Bewohner einen gemeinsamen Erfahrungshorizont hat. Was könnte mehr verbinden als das Erlebnis Knast? Und so betreiben Promi-Sohn Tewaag und der Prinz von Anhalt nach kurzer Zeit kostenlos Marktforschung für Sat.1. Es geht um die Popularität von Promi Big Brother hinter Gittern. Tewaag: "Wenn die wüssten, was die da für 'ne Quote haben!" Prinz: "85, 90 Prozent."
Vermutlich sind die Sendungsverantwortlichen in diesem Moment ähnlich stolz wie der Prinz, wenn er das erwähnte Video von Töchterchen Shanaya anschaut.
Nicht jede Liebe ist freilich so bedingungslos wie die des Vaters zu seiner Tochter. Das macht Cathy Lugner deutlich, fünfte Ehefrau des Wiener Bauunternehmers gleichen Namens. Richard "Mörtel" Lugner ist 83, Cathy 26. Sie sagt: "Nur weil er älter ist, heißt das noch lange nicht, dass er sich nicht Liebe verdient hat." Bevor nun ein falscher Eindruck entsteht: In der Tradition der possierlichen Lugner-Weibchen musste Cathy zunächst als "Spatzi" firmieren, bis sie berechtigterweise befand, dass solch ein Spitzname menschenunwürdig sei. Man ist also geneigt zu sagen: Die beiden verdienen einander.
Wo wir schon beim Thema sind - die ehrlichste Teilnahme-Motivation liefert Promi-Big-Brother-Kandidatin Christine Zierl ab, die als "Dolly Dollar" in den "Eis am Stil"-Filmen bekannt wurde. Warum sie hier sei, wird die 54-Jährige gefragt. "Weil's 'n Geld gibt dafür", antwortet sie. Bleibt eigentlich nur noch eins zu sagen, es kommt in diesem Fall von Isa Jank (die intrigante Clarissa von Anstetten aus Verbotene Liebe!): "Hummer ist ein Luxus heutzutage, aber Austern nicht." Amen und aus.