Oliver Polaks neue Talkshow:Anflug von Schönheit

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Umkehrung aller Show-Vorzeichen: Patrick Lindner, Oliver Polak und Yasmine M'Barek. (Foto: Gerald von Foris)

Oliver Polak geht zum Reden in den Wald: Der Talk "Gedankenpalast" experimentiert mit Pfauen, Welpen und Gästen.

Von Marlene Knobloch

Gab es jemals ein gutes Gespräch über Cancel Culture im deutschen Fernsehen (oder irgendwo anders)? Meist scheitert der Versuch schon daran, dass Menschen mit Worten einen Wortwust ordnen wollen, was ähnlich effektiv ist wie Kater mit Wodka zu bekämpfen. Oder daran, dass Shitstorms selten sinnliches Bildmaterial liefern. Dafür fallen die recht unspektakulären Sätze "Ich war irritiert" oder "Man versteht jetzt nicht, warum das mit einer Wucht auf einen einprasselt" - Sätze wie in der ersten Folge der Talkshow Gedankenpalast im Bayerischen Rundfunk. Auch hier, im neuen Format des Komikers Oliver Polak, scheitert der Versuch, irgendetwas Anregendes über das Thema ans Licht zu bringen. Aber, und da zeigt sich die Schönheit der Sendung: Das ist im Gegensatz zu den hundertfünfundsiebzig Cancel-Culture-Debatten nicht schlimm, irgendwas hier ist leichter. Was macht Polak anders?

Erst mal das Setting, das den ein oder anderen Fernsehzuschauer doch nach der Brille tasten lässt: Ein Wald in der Nacht, Nebelschwaden kriechen zwischen Tannensprösslinge und kahle Stämme, ein Pfau läuft durchs Bild, schnarrt. Und dann sitzt da der Gastgeber im rustikalen Holzstuhl, eingemummelt in eine Mönchskutte, sagt "Willkommen" - das war's schon. Mehr Leitplanken gibt's nicht. Bleiben drei Menschen auf Stühlen, die jetzt eine Stunde zwischen Bäumen miteinander reden. Das können die Gäste der ersten Folge Gott sei Dank, in der die Journalistin Yasmine M'Barek und der Schlagersänger Patrick Lindner mit dem Moderator Oliver Polak über "Cancel Culture", "Einsamkeit", "Wut" oder über das Stichwort "Du Hund" sprechen. In diese statische Performance knallt zwischendurch der Trash, wenn die Discokugel zum Queen-Song "Flash" runterfährt, und man aus der Kugel das nächste Gesprächsthema fischt. Und während alldem krault Patrick Lindner einen dösenden Welpen auf seinem Schoß.

Da spitzt endlich ein bisschen Avantgarde ins Öffentlich-Rechtliche, aber in der ersten Folge bleibt das nur Ironiefutter

Oliver Polak, der nach dem Netflix-Special Your Life Is A Joke und dem Video-Podcast Besser als Krieg wieder mit Bild und Ton experimentiert, erklärte im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, es gehe bei der neuen Show um Vielfältigkeit. "Deswegen vielleicht auch die verschiedenen Kostüme, aber auch die Gäste oder Gästinnen. Oft werden Leute eingeladen, weil sie diese Religion haben, weil sie diesen Beruf haben, weil sie das Buch gerade zu promoten haben." Tatsächlich ist die Gästeliste der fünf Folgen mit der Linguistin und Rapperin Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray, der Transfrau Hana Corrales oder der schwarzen Autorin Alice Hasters jünger und diverser als die übliche Drehstuhl-Besetzung im deutschen Fernsehen.

Polaks Konzept also: in den Wald gehen und reden. Das unter der Umkehrung aller Show-Vorzeichen: Weder Schlagfertigkeit noch angeblich authentische Live-Erfahrung sind Kategorien. Und auch der Moderator selbst verhält sich wie ein Gastgeber, der noch mit Pantoffeln auf dem Fernsehtisch zum Kühlschrank deutet: Nehmt euch, was ihr braucht und hockt euch her.

Pfau, Mönchs-, Vogelkostüme und Hundewelpen kommentiert er im Vorfeld eher mit der achselzuckenden Ach-halt-einfach-so-Haltung. Schade, denn da spitzt endlich ein bisschen Avantgarde ins Öffentlich-Rechtliche, ein bisschen "Wir brauchen jetzt 20 Hühner für diese Tschechow-Inszenierung"-Wahnsinn à la Frank Castorf, ein bisschen visuelle Irritation. Aber dann bleibt die Inszenierung zumindest in der ersten Folge eher Meta-Schmuck, gut kommentierbares Ironiefutter, ohne wirklich einem Gedanken nachzugehen.

Intimes wie Banales plätschern lieblich dahin, es herrschen Ruhe und Wärme. Und deshalb geht da noch mehr

Inhaltlich geht das Konzept nach stockenden ersten zehn Minuten, die die Journalistin Yasmine M'Barek zum Glück mit hundert klugen Sätzen füllt, auf. Man plaudert über Wut (M'Barek: "Wut löst entweder eine Blockade oder macht eine Blockade") oder Einsamkeit (Lindner: "Da muss ich an Howard Carpendales 'Einsam in der Samstagnacht denken'"), keiner muss witzig oder originell sein. Schlagersänger Lindner erzählt über sein Outing oder über das Gefühl, nach einem Konzert vor tausend Menschen allein ins Hotelzimmer zu kommen.

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Polak schafft als unterspannter Talkmaster fläzend und unaufgeregt eine Gesprächsatmosphäre, in der Intimes wie Banales lieblich dahinplätschern. Nur, bei aller Gemütlichkeit, wäre es nicht interessanter, Leute einzuladen, die nicht schon eine Autobiografie mit dem Titel "Achterbahn meiner Gefühle" veröffentlicht haben wie Lindner? Polaks Format macht zwar richtig, was viele Talkshows falsch machen, in denen man erkenntnislüstern Jan Fleischhauer neben Sophie Passmann in den Ring setzt, runterzählt und dann enttäuscht ist, dass sich beide höflich auf die Schulter tippen. Im Gedankenpalast muss nichts knirschen. Aber genau wegen der Ruhe und Wärme wünscht man sich, dass Leute ins Gespräch kommen, von denen man nicht erwartet hätte, dass sie persönlich werden. Vielleicht Henryk M. Broder, mit dem man über Einsamkeit nachdenkt? Was gibt's zu fürchten? Da ist ja der Wald. Und der Welpe.

Gedankenpalast, BR, Folge eins, 24. Februar, 23.15 Uhr, und schon jetzt in der ARD-Mediathek .

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