Nachruf:Kein Prototyp

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Der Reporter Peter Wüst im Jahr 1991. (Foto: imago stock&people)

Der Reporter Peter Wüst wurde berühmt, weil er die Geiselnehmer von Gladbeck interviewte. Im Alter von 76 Jahren ist er gestorben.

Von Aurelie von Blazekovic

Als im vergangenen Jahr auf Netflix das Drama aus dem Sommer 1988 neu erzählt wurde, in dem Dokumentarfilm Gladbeck von Volker Heise, da sah man ihn wieder: Peter Wüst, den Blaulichtreporter. Als Anfangvierzigjähriger saß Wüst während der Irrfahrt der Entführer durch Deutschland und Holland irgendwann neben dem Geiselnehmer Hans-Jürgen Rösner. Mit der Pistole in der Hand war Rösner in Wüsts Auto gestiegen und gab ihm ein Interview. Wüst war nicht der einzige Journalist, der sich so nah an die Gangster heranbegab. Kollektives Durchknallen sei das gewesen, sagte ein Kollege von Wüst 20 Jahre später.

Das Geiseldrama gilt heute einerseits als lehrbuchhaftes Beispiel für den fatalen Dilettantismus der Polizei, die den Entführern immer nur bis an ihre jeweilige Landesgrenze folgte. Und andererseits für eine fatale Grenzüberschreitung von Medienvertretern, die nicht nur berichteten, sondern ins Geschehen eingriffen, die Rösner und Degowski in ihrem Bedürfnis, zwei ganz Wichtige zu sein, befriedigten. Zwei junge Menschen starben.

Beim Interview mit dem Entführer Hans-Jürgen Rösner: der Reporter Peter Wüst. (Foto: Thomas Wattenberg/picture alliance / dpa)

Peter Wüsts lange Reporterkarriere machte sehr viel mehr aus als seine Interviews mit den Gladbeck-Entführern. In einer Ausstellung in Leipzig entdeckte einer seiner Reporterkollegen aus Schleswig-Holstein dennoch einmal ein Foto von Wüst, untertitelt mit den Worten: "Prototyp des Sensationsjournalisten". Wie es mit angeblichen Prototypen so ist, können sie einem Menschenleben nicht gerecht werden. Peter Wüst, 1946 geboren, war in den frühen Achtzigerjahren leitender Fotoredakteur der Bild in Hamburg, dann freier Reporter und später Nachrichtenchef von Radio Schleswig-Holstein. Er wurde Chefreporter bei RTL, berichtete aus dem Jugoslawienkrieg und fuhr dort den Wagen, in dem 1991 der SZ-Redakteur Egon Scotland saß, als er von einem Scharfschützen erschossen wurde. Scotland und Wüst hatten im kroatischen Dorf Jukinac nach einer Kollegin gesucht, die sich entgegen der Absprache nicht gemeldet hatte.

Dem Reporterdasein in Norddeutschland blieb Wüst bis zuletzt treu. Nach schwerer Krankheit ist er in Bad Oldesloe im Alter von 76 Jahren gestorben.

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