Anschläge auf "Nowaja Gaseta":Chemie aus dem Fahrrad

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Erst ein Anschlag, nun zweifelhafte Videos aus Grosny - die russische Zeitung "Nowaja Gaseta" steht unter Druck. Und das tschetschenische Regime fordert die Schließung.

Von Silke Bigalke, Moskau

Die Drohungen aus Grosny gegen sie, hat Jelena Milaschina vergangenes Jahr gesagt, seien "nur schwer zu zählen". Es sind einfach zu viele. Milaschina ist Korrespondentin der unabhängigen russischen Nowaja Gaseta, sie schreibt häufig über Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus. Zuletzt berichtete sie über Folter und Hinrichtungen ohne Prozess, nun fordert das tschetschenische Regime die Schließung der Zeitung.

Milaschina lässt in ihrem jüngsten Artikel einen ehemaligen Offizier des sogenannten Kadyrow-Regiments zu Wort kommen, eines speziellen Polizeiregiments benannt nach dem früheren Machthaber Achmat Kadyrow. Bereits im Februar hatte die Nowaja Gaseta über dessen Razzien in den Jahren 2016 und 2017 berichtet. Dabei wurden laut Zeitung 109 Menschen festgenommen und mindestens 27 von ihnen getötet. Der Feldwebel, dessen Bericht Milaschina nun veröffentlicht hat, beschreibt Schläge und Folter mit Elektroschocks. Zwei der Opfer seien erschossen, die übrigen erwürgt worden.

"Wladimir Wladimirowitsch, bitte schließen sie diese Zeitung"

Tschetschenien ist eine russische Teilrepublik - mit großer Autonomie für Machthaber Ramsan Kadyrow. Dessen Presseminister Achmed Dudajew wies den Bericht der Nowaja Gaseta zurück und forderte deren Schließung. Passend dazu zeigte das Staatsfernsehen einen Straßenprotest in Grosny, angeblich demonstrierten dort Angehörige getöteter Soldaten. "Wladimir Wladimirowitsch, bitte schließen sie diese Zeitung", sagt eine Frau im Pelzmantel, die Bitte richtet sich an Präsident Putin.

Das genügte noch nicht an Inszenierung: Das Kadyrow-Regiment veröffentlichte seinen eigenen Aufruf an den Kreml auf Instagram. Das Video zeigt schwer gerüstete Männer, schwarz maskiert stehen sie in Reih und Glied. Einige Uniformierte sprechen in die Kamera, bezeichnen die Journalisten als Terroristen und als Sprachrohr westlicher Geheimdienste. Solche Bilder wirken noch bedrohlicher, wenn man an die zahlreichen Angriffe auf die Nowaja Gaseta denkt, vor deren Tür auch schon mal ein abgetrennter Ziegenkopf und ein Grabgesteck lagen. Mehrere Mitarbeiter wurden in vergangenen Jahren ermordet, unter ihnen die 2006 erschossene Anna Politkowskaja. Wie Jelena Milaschina hatte sie über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien berichtet.

Russlands Präsident sei die falsche Adresse für die Forderung nach Schließung

Nachdem Milaschinas jüngster Bericht am Montag veröffentlich worden war, gab es offenbar einen neuen Angriff. Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen eine als Kurier gekleidete Person vor dem Redaktionseingang, sie schiebt ein Fahrrad. Aus dem hinteren Rad strömt ein helles Spray oder Gas, genau ist es nicht erkennbar. Danach beschrieben Mitarbeiter der Redaktion einen "scharfen chemischen Geruch" in ihren Büros und Atemnot.

Zu den verbalen Attacken aus Grosny äußerte sich die Sprecherin der Zeitung, Nadeschda Prusenkowa, im Radiosender Echo Moskwy: "Wenn mit der Schließung der Nowaja Gaseta außergerichtliche Hinrichtungen, Morde an Homosexuellen und politische Tötungen in Tschetschenien aufhören, machen wir gleich morgen zu." Putins Sprecher Dmitrij Peskow erklärte, mit seiner Forderung, gegen die Nowaja Gaseta vorzugehen, sei das tschetschenische Regiment beim Präsidenten nicht an der richtigen Adresse.

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