Eins wollte Premier David Cameron bei der Dringlichkeitssitzung des britischen Unterhauses gleich zu Beginn klarstellen: "Es ist absolut ekelhaft, was hier passiert ist. Ich glaube, alle in diesem Hause und im ganzen Land fanden es abstoßend, was sie gehört und im Fernsehen gesehen haben." Cameron wollte am Mittwoch keinen Zweifel daran lassen, dass die Enthüllungen des Guardian für ihn ein ebenso großer Schock waren wie für alle anderen Briten: Die Boulevardzeitung News of the World hat im Jahr 2002 die Mobil-Mailbox der entführten Milly Dowler angezapft.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass die nächste Ausgabe der News of the World auch ihre letzte sein würde. Die Schließung des Blattes durch den Verleger Rupert Murdoch ist die überraschende, aber letztlich konsequente Folge der immer neuen, unfassbaren Details, die über den Abhörskandal ans Licht kommen. Der Daily Telegraph meldete am Donnerstag, der Privatdetektiv Glenn Mulcaire habe für News of the World auch Angehörige von im Irak und in Afghanistan getöteten britischen Soldaten abgehört. Und nach Informationen des Londoner Evening Standard erhielten Beamte der Metropolitan Police von Mitarbeitern der News of the World rund 100 000 Pfund Schmiergeld. Im Gegenzug hätten die Polizisten Murdochs Blatt "hochvertrauliche Informationen" geliefert.
Jede weitere Eskalation des Abhörskandals bringt Premier Cameron in größere Bedrängnis. Nun rächt sich seine enge Beziehung zum Verlagshaus News International, das vor der Schließung der News of the World 37 Prozent des britischen Zeitungsmarktes kontrollierte, und speziell zum früheren Chefredakteur von News of the World, Andy Coulson. Erst Ende Januar war dieser als Camerons Pressechef zurückgetreten, nachdem unter anderem die New York Times ihm vorgeworfen hatte, er habe während seiner Zeit bei dem Boulevardblatt das Anzapfen von Telefonen aktiv unterstützt. Unter Coulsons Ägide hatte der Reporter Clive Goodman unter anderem das Telefon von Prinz William abgehört.
Goodman und sein Komplize Mulcaire waren 2007 zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt worden. Coulson behauptet, nichts von diesen Methoden gewusst zu haben, trat jedoch am Tag des Urteils als Chefredakteur zurück. Cameron, damals noch Oppositionsführer, stellte ihn schon im Juli 2007 als Chef seines Medienteams ein. Coulson galt bis zu seinem zweiten Rücktritt als einer der wichtigsten Berater des Premiers.
Labour-Chef Ed Miliband wirft Cameron nun vor, es sei eine "katastrophale Fehleinschätzung" gewesen, Coulson "ins Zentrum der Maschinerie von Downing Street" geholt zu haben. Die enge Verbundenheit des Premiers mit Coulson wirkt heute bestenfalls blauäugig. Man könnte Camerons langes Festhalten an seinem Berater aber auch so deuten, dass er den Abhörvorwürfen bewusst zu wenig Aufmerksamkeit schenkte: einerseits, um einen wichtigen Mitarbeiter zu halten, andererseits, um sein Verhältnis zu News International und dessen mächtigem Mutterkonzern, Rupert Murdochs News Corporation, nicht zu belasten.
Oppositionschef Miliband fordert derweil den Rücktritt von Rebekah Brooks, Vorstandschefin von News International und wie Coulson einst Chefredakteurin von News of the World. Außerdem gibt es Forderungen, die geplante Übernahme des Fernsehsenders BSkyB durch Murdoch auf Eis zu legen, solange die Abhöraffäre nicht geklärt ist. Murdochs Rolle, seine Macht, das alles wird in Frage gestellt. Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant sagte: "Wir haben einem einzelnen Mann viel zu viel Einfluss auf unser öffentliches Leben eingeräumt. Murdoch wohnt nicht hier, zahlt hier keine Steuern. Kein anderes Land würde es einem Mann erlauben, vier überregionale Zeitungen, den zweitgrößten Sender, ein Monopol auf Sportrechte und Erstausstrahlungen von Filmen zusammenzuraffen."
Allerdings boten Cameron, Miliband und Murdoch vor drei Wochen noch ein sehr einträchtiges Bild: News International hatte zur Sommerparty geladen, bei der Premier und Oppositionschef gemeinsam mit Murdoch und Rebekah Brooks Champagner und Austern genossen. Die Verflechtung der politischen Klasse mit News Corp ist beileibe keine reine Tory-Angelegenheit. Es gab sie bereits vor anderthalb Jahrzehnten unter Tony Blair, der die Unterstützung von Murdochs Sun genoss. Angesichts der Ungeheuerlichkeit des Abhör- und Polizeibestechungsskandals müssen sich alle Parteien in Westminster nun fragen lassen, warum sie so lange jede Distanz zum Murdoch-Imperium vermissen ließen.