Neue US-Satire-Show:Fast so verstörend wie das echte Leben

Lesezeit: 2 min

In Who is America? schlüpft Sasha Baron Cohen so wie in seinen früheren Shows in allerlei Kostüme. (Foto: © 2018 Showtime Networls Inc. All rights reserved / Sky)
  • In seiner neuen Sendung interviewt der britische Komiker in Verkleidung amerikanische Politiker und Menschen aus gegensätzlichen politischen Milieus.
  • Einige seiner "Opfer" haben schon mit offenen Briefen oder juristischen Drohungen geantwortet.
  • "Who is America?" ist unterhaltsam, aber zehn Jahre nach dem Kinoerfolg Borat wirkt Cohens Humor beinahe wie von der Realität übertrumpft.

Von Kathleen Hildebrand

"Sie haben noch nicht das ausgebildet, was wir das Gewissen nennen", sagt der Waffenaktivist Philip van Cleave über kleine Kinder. Diese Kinder würde er gern bewaffnen, damit sie sich selbst verteidigen können. Aber van Cleave geht noch weiter: "Was richtig und was falsch ist, ist angelernt. Wenn sie das noch nicht entwickelt haben, können sie sehr effiziente Soldaten abgeben." Neben ihm nickt dazu der britische Komiker Sacha Baron Cohen, verkleidet als übertrainierter, israelischer "Antiterror-Experte" Erran Morad. Später wird Cleave für ihn noch in Kuscheltieren versteckte Waffen für Kinder in die Kamera halten und Schießtipps geben.

Wenn man sich diese Szene aus Cohens neuer Sendung Who is America? ansieht, kann man sich denken, warum der Mann, der Borat war, sich um die Werbung für sein Comeback keine Sorgen machen muss. Die übernehmen seine Opfer. Denn wer sich vor einer Kamera zu solch irrwitzigen Aussagen hinreißen lässt, wird danach versuchen, den Schaden zu begrenzen. Sarah Palin zum Beispiel, frühere Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner, muss Cohen ebenfalls auf den Leim gegangen sein. Sie veröffentlichte vor Kurzem auf Facebook eine Art Brandbrief, in dem sie sich beklagt, dass der Komiker sich ihr gegenüber als Veteran des US-Militärs ausgegeben habe, um sie zu einem Interview zu bewegen. "Wirklich krank", nennt sie Cohen und dessen Humor, "voll von der Respektlosigkeit und dem Sarkasmus Hollywoods". Und Roy Moore, der 2017 nach Vorwürfen sexueller Belästigung von Teenagern die Wahl zum Senatsabgeordneten für Alabama verlor, droht Cohen mit einer Klage, sollte dessen Sender Showtime die Begegnung mit ihm ausstrahlen.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Cohens Prinzip ist es, sein Gegenüber mit der größten Peinlichkeit zu konfrontieren

Was ist passiert? Nun, Sacha Baron Cohen ist zurück und er tut, zehn Jahre nach dem Kinoerfolg Borat, neun Jahre nach seiner Kunstfigur "Brüno" und 14 Jahre nach Da Ali G Show, was er schon immer getan hat. Er verkleidet sich - möglichst absurd - und interviewt mit starkem Akzent bekannte öffentliche Personen oder solche, die exemplarisch für ein spezifisches Milieu stehen. Cohens Prinzip dabei ist es, sein Gegenüber mit der größtmöglichen Peinlichkeit oder der irrstmöglichen Haltung zu konfrontieren. Dann wartet er ab, wie weit der andere ihm in den angebotenen Irrsinn hinein folgt. Kleiner Spoiler: meistens sehr, sehr weit.

Natürlich ist es unterhaltsam, dem Improvisationsgenie Sacha Baron Cohen dabei zuzuschauen, wie er mit seiner eigenen Schamlosigkeit die der anderen ins Spektakuläre steigert. Die Frage ist nur, ob dieser Humor noch in eine Zeit passt, in der vermeintlich konservative Politiker auch ohne Enthemmungshilfe von ganz allein Dinge sagen, die zur Zeit von Cohens größten Erfolgen noch unsagbar gewesen wären. Eine Zeit, in der der US-Präsident beinahe täglich bei Lügen ertappt wird - und es ihn nicht kümmert. Und in der, um auf diese Seite des Atlantiks zu blicken, offen überlegt wird, ob man Flüchtlinge im Mittelmeer nicht lieber ertrinken lassen sollte.

Ist es wirklich so viel schockierender, wenn republikanische Kongressabgeordnete in die Kamera hinein fordern, "begabte" Kinder zu bewaffnen, um Amokläufen an Schulen vorzubeugen? Die Bewaffnung von Lehrern schlagen sie im echten politischen Alltag ja bereits regelmäßig vor. Cohens Satire setzt den bekannten Fanatismen der amerikanischen Politik sicher noch ein saures Sahnehäubchen auf. Aber die Realität ist längst zu nah an seinen Scherzen dran, als dass die noch beeindrucken könnten.

Who is America?, bei Sky Ticket*, Sky Go*, Amazon* und Apple iTunes*

*Hinweis in Kooperation mit Just Watch: Über diese Links werden Sie auf eine Partnerwebsite weitergeleitet. Der Süddeutsche Verlag bekommt dafür in manchen Fällen eine Provision. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Berichterstattung der Redaktion der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 19.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Netflix
:Humor ist eben doch nicht die beste Medizin

Hannah Gadsby ist mit Witzen über ihr Lesbischsein bekannt geworden. Die schmerzhaften Erfahrungen verschwieg sie. In ihrem neuen Programm rechnet sie mit der Comedy ab - und wird dafür gefeiert.

Von Luise Checchin

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: