Neue Chefin für die ARD-Tochter Degeto:Niveau für's Melodram

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Diese Personalie überrascht: Etliche Kandidaten waren für die Leitung der ARD Produktionstochter Degeto gehandelt worden, doch nun kommt ein neuer Name ins Spiel: SWR-Spielfilmchefin Christine Strobl soll künftig dafür sorgen, dass bei der fiktionalen Süßstofffabrik des Senderverbundes wieder Normalität einkehrt.

Es müssen intensive Arbeitstage gewesen sein in den vergangenen Wochen für die Intendantin des Rundfunks Berlin Brandenburg (RBB). Vor drei Monaten bekam Dagmar Reim, 60, den Vorsitz im Aufsichtsrat der Degeto übertragen. Seither organisiert sie die Neuordnung der mächtigen Produktions- und Lizenzhandelstocher der ARD.

Mutig und durchsetzungskräftig: SWR-Filmchefin Christine Strobl ließ ein Drama über den Hitler-General Erwin Rommel entwickeln. Das Projekt hat zu einer mittelschweren Auseinandersetzung mit Mitgliedern der in Stuttgart lebenden Familie Rommel und ihr nahestehenden Beratern geführt. (Foto: SWR/Monika Maier)

Das für die deutsche Filmwirtschaft wichtige Unternehmen hatte Liquiditätsprobleme. Im Herbst des vergangenen Jahres kam heraus, dass der langjährige Degeto-Chef Hans-Wolfgang Jurgan die Etats für 2012 und 2013 bereits verplant hatte.

Die Folgen der Überflussbestellung bekamen die Produzenten und Verleiher zu spüren. Projekte wurden gestoppt, sofern das noch möglich war, und auch der Filmeinkauf wurde zurückgefahren. Die ARD musste 23 Millionen in kurzfristige Verbindlichkeiten investieren. Erst für 2014, ließ das Erste mitteilen, sei mit einer normalen Beauftragung zu rechnen - und entschuldigte sich bei den Produzenten.

Nachdem interne und externe Rechnungsprüfer die Bücher und Bilanzen der Degeto studiert hatten, trennte sich die ARD Ende November von Wolfgang Jurgan. Der Film-Manager, der so gerne an exotische Drehorte jettete, hatte Informationspflichten verletzt und, so war zu erfahren, das Controlling aus dem Auge verloren. Im Abschlussbericht der Kontrolleure stand allerdings auch, dass strafrechtlich nichts angefallen sei. Inzwischen ist Jurgan nicht mehr Angestellter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Anfang Februar wurde sein Dienstvertrag gelöst, dafür stimmten die Intendanten seinem Eintritt in den Ruhestand zu.

Nun hat Dagmar Reim offenbar entschieden, wer an die Spitze der Degeto aufsteigen soll. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll Christine Strobl die Geschäftsführung in Frankfurt übernehmen. Ein Co-Geschäftsführer, der das kaufmännische Management leitet, wird weiterhin gesucht. Und noch muss der Degeto-Aufsichtsrat Reims Personalie zustimmen, also die Intendantenrunde.

Wichtiges ARD-Programmereignis 2012

Viele waren für die ausgeschriebene Position im Gespräch, etwa Carl Bergengruen, Chef von Studio Hamburg, oder in einer frühen Phase Verena Kulenkampff, die Fernsehdirektorin des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Dass Christine Strobl die Aufgabe zugetraut wird, den für das Erste bedeutenden Programmlieferanten für die Zukunft auszurichten, ist auch eine Überraschung.

Erst im Februar 2011 war sie Spielfilmchefin des Südwestrundfunks (SWR) geworden. Dass sie nicht zielstrebig sei, wird man ihr also nicht vorwerfen. Auch kann ihr niemand einen Mangel an Mut und Durchsetzungskraft unterstellen. Sehr schnell nachdem sie die Verantwortung der vom SWR bezahlten Fiktion übernommen hatte, ließ sie ein Drama über den Hitler-General Erwin Rommel entwickeln.

Das Projekt hat zu einer mittelschweren Auseinandersetzung mit Mitgliedern der in Stuttgart lebenden Familie Rommel und ihr nahestehenden Beratern geführt. Inzwischen liegt der von Regisseur Niki Stein inszenierte Film vor und wird in der ARD als wichtiges Programmereignis 2012 gehandelt.

Früher plante Strobl im SWR Familien- und Kinderprogramme. Als eine ihrer besonderen Leistungen gilt die Modernisierung des Tigerenten Clubs. Das klingt nicht sehr weltläufig, jedenfalls nicht nach Tatort und profiliertem Fernsehspiel. Vielleicht ist Strobl wegen ihrer beruflichen Vergangenheit unterschätzt worden, irritiert hat sie das offenbar nicht. In der ARD nahm sie wie selbstverständlich ihren Platz ein, so auch in der Gemeinschaftsredaktion Haupt- und Vorabend.

Die 40-Jährige ist die älteste Tochter von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Sie studierte Jura und kam 1999 zum SWR. Dort war sie anfänglich für die Radiowelle SWR 4 und in der Intendanz tätig. Als Sender-Chef Peter Boudgoust dem Verwaltungsrat 2010 unterbreitete, Strobl solle die Hauptabteilung Film- und Familienprogramm steuern, regte sich im 3500 Mitarbeiter fassenden Sender vernehmbarer Widerstand.

Die familiären Umstände von Frau Strobl haben beim Auswahlverfahren weder positiv noch negativ eine Rolle gespielt", informierte Boudgoust. Allein "die Fach- und Führungskompetenz" sei entscheidend gewesen. Der eine oder andere, der vorgab, sich um die Qualität des SWR-Fernsehspiels zu sorgen, das beispielsweise mit Mogadischu internationale Anerkennung fand, suchte wohl einen Vorwand, dem SWR eine CDU-nahe Haltung zu unterstellen. Boudgoust hat das zurückgewiesen und Christine Strobl durchgesetzt.

Dass die Intendanten ihrer Berufung Mitte März zustimmen, ist sehr wahrscheinlich. Nach Monaten der Unruhe, Pannen und Peinlichkeiten, nachdem mittlerweile auch die Akte Jurgan geschlossen wurde, soll sich das Klima in der Frankfurter Produktionstochter und für alle, die mit der Degeto zusammenarbeiten, normalisieren.

Strobl würde Bettina Reitz ersetzen, Jurgans Co-Geschäftsführerin, die bald nach Eintritt ins Degeto-Management die wirtschaftliche Schieflage erkannte. Sie sorgte mit ARD-Programmdirektor Volker Herres, bislang dritter Degeto-Geschäftsführer, und der vom Hessischen Rundfunk (HR) geführten Task Force für Aufklärung.

Melodrama auf Niveau

Reitz war erst im Mai des vergangenen Jahres zur Degeto gewechselt. Zuvor hatte sie beim Bayerischen Rundfunk (BR) erfolgreich Spielfilme und Serien fertigen lassen, im Juni wird sie als Fernsehdirektorin ins Münchner Funkhaus zurückkehren. Ihre Mission war es, die fiktionale Süßstofffabrik der ARD zu modernisieren und zu profilieren. Man erwartete von ihr Melodrama auf Niveau für die Freitag- und Sonntagabende, dazu die Fortführung der wichtigen Kino-CoFinanzierung.

Das sind Aufgaben, die künftig Christine Strobl lösen muss. Ob sie schon im Sommer bei der Degeto beginnt, ist noch nicht entschieden, genauso wenig wie ihre Nachfolge beim SWR. Strobl war an diesem Sonntag nicht zu erreichen.

© SZ vom 05.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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