"Rompan Todo" auf Netflix:Stromgitarren und Diktatoren

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Die linke Wand war die Herrentoilette, die rechte dafür das Damenklo: In Mexiko war Rockmusik lange verboten, also trafen sich Bands und Fans illegal in dunklen Kellerlöchern. Hier spielt "El Tri" in Mexiko-Stadt Anfang der Achtzigerjahre. (Foto: Netflix)

Netflix erzählt in der wilden Doku-Reihe "Reißt alles nieder" die Geschichte des lateinamerikanischen Rock.

Von Christoph Gurk

Am 20. Oktober 1972 waren die hinteren Ränge des Luna-Park-Stadions in Buenos Aires dicht gefüllt. Vorne aber, bei den teuren Sitzplätzen, gab es noch Platz. Als die ersten Jugendlichen anfingen, über Absperrungen zu springen, stürmte die Polizei das Konzert. Es kam zu einer üblen Saalschlacht, Fäuste flogen und auch Stühle. Auf der Bühne stand Giuliano Canterini, besser bekannt als Billy Bond, zusammen mit seiner Band La pesada del Rock und schrie: "Rompan todo!", schlagt alles kurz und klein.

Netflix hat diese Anekdote nun zusammen mit Hunderten anderen in eine Doku-Reihe gepackt. Rompan todo heißt sie auf Spanisch, Reißt alles nieder etwas brav auf Deutsch. In sechs Teilen wird die Geschichte des lateinamerikanischen Rock erzählt. Die Serie ist für viele Fans ein Juwel, für alle anderen ein echter Gewinn, schließlich hat die Region Bands hervorgebracht, die außerhalb zwar oft unbekannt waren, aber dennoch fantastische Musik gemacht haben - selbst grausamen Militärdiktaturen zum Trotz.

Reißt alles nieder beginnt in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. In Mexiko, Uruguay oder Argentinien entstanden damals Bands, die entweder englische Songs auf Spanisch coverten oder aber eigene Lieder schrieben, die so sehr nach den Beatles klangen, dass Radiohörer sie nicht vom Original unterscheiden konnten.

Rock mit Tango-Texten, indigene Elemente in Protestsongs

Bald aber begannen die Musiker auch eigene, lateinamerikanische Elemente einzubauen. In Buenos Aires entstanden Rocksongs mit Texten, die einem Tango hätten entstammen können; in Chile wiederum mischten Musiker indigene Elemente mit Protestsongs, die dann zum Soundtrack für den sozialen Umbruch werden sollten, den der sozialistische Präsident Salvador Allende plante. So weit aber kam es nicht, stattdessen rollten Panzer an, die Militärs putschten, nicht nur in Chile, sondern auch in Argentinien und vielen anderen Ländern Lateinamerikas. Rock wurde teils verboten, durfte nicht im Radio gespielt werden, Konzerte fanden, wenn überhaupt, in dunklen Kellerlöchern statt, immer wieder kam die Polizei.

Auch Gustavo Santaolalla verbrachte damals Tage und Nächte im Knast. Den argentinischen Militärs passten seine langen Haaren genauso wenig wie die Musik seiner Band Arco Iris. Santaolalla floh in die USA und wurde von dort aus zu einer der Schlüsselfiguren des lateinamerikanischen Rocks. Er entdeckte und produzierte Bands und Musiker wie León Gieco, Café Tacuba oder Los Prisioneros.

Bei Reißt alles nieder war Santaolalla nun Produzent. Ihm dürfte es zu verdanken sein, dass in der Doku-Reihe so gut wie alle Größen des Genres zu Wort kommen - von Andrés Calamaro über Fito Páez, Vicentico, Soda Stereo, Molotov bis hin zu jenem Billy Bond, der, mit der Kaffeetasse in der Hand, von jener Nacht erzählt, in der er dazu aufrief, das Stadion Luna Park zu zerlegen. Das alles macht die sechs Folgen zu einem buchstäblich wilden Ritt. Manches geht unter, anderes zu schnell, aber schließlich geht es um Musik und die ist ohne Frage: großartig.

Rompan Todo, Reißt alles nieder - Die Geschichte des Rock in Lateinamerika. Netflix

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