Lokaljournalismus:Angst um die Eigenständigkeit

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Seit dem Verkauf der "Mitteldeutschen Zeitung" an den Bauer-Verlag wird über eine Zusammenlegung mit der "Volksstimme" spekuliert. Die Verunsicherung bei den Mitarbeitern ist groß.

Von Ulrike Nimz

Das Jahr war noch jung, als die Belegschaft der Mitteldeutschen Zeitung (MZ) erfuhr, an wen ihr Blatt verkauft werden sollte. Monatelang hatte es Gerüchte gegeben auf den Redaktionsfluren, nach der Ankündigung der Dumont-Mediengruppe, alle Regionalzeitungstitel abstoßen zu wollen. "Hauptsache, nicht Bauer", soll ein geläufiges Stoßgebet gewesen sein. Eine "etwas absurde Veranstaltung" sei das gewesen, sagt einer, der am 15. Januar in der Kantine des Pressehauses dabei war. "Die Alteigentümer haben nicht mal ein Tränchen verdrückt, es war alles sehr sachlich. Nach dem Motto: War schön mit euch, macht's gut."

Auch die neuen Verleger waren an diesem Tag von der Elbe an die Saale gereist. Heinz Bauer sei an der Seite seiner Tochter Yvonne aufgetreten. Beide hätten kaum ein Wort an die versammelte Belegschaft gerichtet, erzählen Mitarbeiter. Stattdessen habe der Geschäftsführer der Magdeburger Volksstimme gesprochen, die bereits seit 1991 zum Hamburger Großverlag gehört. Er komme doch auch von der Magdeburger Börde, soll er versucht haben, den Saal für sich zu gewinnen. "Da haben die Ersten schon die Augen verdreht." Seitdem fällt im Haus häufiger das Wort "Synergien". Die einen sprechen darüber wie Automechaniker über eine notwendige Reparatur. Die anderen wie Patienten über eine schlimme Diagnose. Manche auf Anfrage lieber gar nicht, wie die Chefredaktion der MZ.

Wie Synergien aussehen können, ist in Thüringen zu besichtigen

Während die Volksstimme den Norden Sachsen-Anhalts abdeckt, hat die Mitteldeutsche Zeitung ihre Leser vor allem im Süden des Landes, gemeinsame Auflage knapp 300 000 Exemplare. Die Kollegen begegneten sich mit "freundschaftlicher Nichtbeachtung", sagt ein Redakteur. Die unterschiedlichen Verbreitungsgebiete sind Relikte einstiger DDR-Bezirke und der Grund, warum das Bundeskartellamt kein Problem darin sah, dass zwei große Tageszeitungen nun zu einem Verlag gehören.

Bei der Mitteldeutschen Zeitung ist die Verunsicherung seit der Übernahme nicht kleiner geworden. Man fürchtet um die Eigenständigkeit der Redaktion. Wie Synergien aussehen können, ist im Nachbarland Thüringen zu besichtigen, wo die Funke-Mediengruppe drei Tageszeitungen verlegt, die sich in Farbe und Titel unterscheiden, aber kaum noch im Inhalt. In Halle geht man davon aus, dass es zunächst auf Verlagsebene "richtig krachen" wird. Die Lokalredaktionen seien hingegen schon jetzt dünn besetzt. Wer da kürze, könne es gleich sein lassen, sagen Mitarbeiter.

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In der Corona-Zeit habe es ein paar Mails mit Durchhalteparolen gegeben, aber keine klaren Ansagen, was die künftige Arbeit in beiden Häusern betrifft. Man habe Arbeitsgruppen gebildet, die Redaktionssysteme sollen vereinheitlicht werden. "Man muss die Zeitungen so nah aneinander bringen, dass beide profitieren und so weit voneinander entfernt lassen, dass sie unverwechselbar bleiben", sagt ein Redakteur. Viele Kollegen würden sich trotzdem nach anderen Stellen umschauen. "Aber wer tut das bei einer Regionalzeitung nicht?"

Manche fürchten nun ein Meinungsmonopol in Sachsen-Anhalt

Michael Pommert, Vorsitzender des Betriebsrates der MZ, wirkt überrumpelt, wenn man ihn nach Synergien und der Stimmung in der Redaktion fragt, eigentlich will er gar nichts sagen. "Natürlich gibt es Kollegen, die sich wegen ihrer Zukunft sorgen", aber Anzeichen dafür, dass die Redaktion von Einsparungen betroffen sein könnte, eher nicht. "Lokaljournalismus geht nur vor Ort", Bauer habe das begriffen, sagt Pommert, dann kommt erneut ein Aber: "Wenn Sie mich nächste Woche anrufen, kann das wieder anders sein."

In der Redaktion sagen sie über ihren Betriebsratschef, er sei eher "Typ Beamter", keiner, der auf die Barrikaden gehe. Wie man die Rolle des erzürnten Gewerkschafters ausfüllt, weiß Uwe Gajowski. Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes in Sachsen-Anhalt hat selbst MZ-Vergangenheit, war von 1991 bis 2002 Leiter der Lokalredaktion in Zeitz. "Der Bauer-Deal hat nur Verlierer", sagt Gajowski. "Ich kann nicht erkennen, was Leser und Mitarbeiter davon haben sollen, wenn es in Sachsen-Anhalt ein Meinungsmonopol gibt." Gajowski glaubt, es werde lediglich eine Schonfrist geben, bis die Umstrukturierung beginne. "Mir kann keiner erzählen, dass es auf lange Sicht zwei Kultur- oder Wirtschaftsredaktionen gibt. Bauer ist dafür bekannt, Kosten drastisch zu reduzieren." Das zeige das Beispiel Volksstimme, 40 Mini-GmbHs, alle knapp unter der Mitbestimmungsschwelle. Gajowski glaubt, dass das die Blaupause ist.

Die Bauer Media Group selbst lässt die Frage, ob die Umstrukturierung der Volksstimme Vorbild für die Mitteldeutsche Zeitung sei, offen. "Im Zuge der Integration wachsen zwei starke Medienhäuser auf Augenhöhe zusammen", heißt es in einem Statement. Man sei dabei, sich ein gemeinsames Bild der Strukturen und Prozesse zu machen. "Was wir jetzt schon sagen können: Die Integration unserer Unternehmen findet ausschließlich auf unternehmerischer Ebene statt, während die Redaktionen in gewohnter Qualität unabhängig voneinander arbeiten."

Tatsächlich haben renommierte Schreiber der Volksstimme den Rücken gekehrt, arbeiten nun in Pressestellen von Unternehmen, Ministerien, anderen Medienhäusern. Einige von ihnen halten die Befürchtungen der MZ-Kollegen für berechtigt. Die Volksstimme sei unter Bauer "auf Verschleiß gefahren" worden. Es habe keine Investitionen in digitale Geschäftsmodelle gegeben, man habe sich auf die "Rentnerabonnenten" konzentriert.

Ein Ex-Mitarbeiter beschreibt das "Agenturmodell", nach dem die Redaktion eine Zeit lang arbeitete: Journalisten als scheinselbständige Subunternehmer, nach Zeilen oder mit niedrigen Tagespauschalen bezahlt. Regelmäßig sei es zur Vermischung von wirtschaftlichen Interessen gekommen.

Die Volksstimme ist in der Vergangenheit mehrfach vom Deutschen Presserat gerügt worden. In einem Fall war der Autor eines Textes über Investitionen einer Genossenschaft gleichzeitig Redakteur für deren Kundenmagazin. Die Fluktuation sei hoch im Unternehmen, heißt es. Es gebe kaum Aufstiegschancen, keinen Haustarifvertrag. Anders als die Gehälter steige die Arbeitsbelastung im Lokalen stetig. In einer aktuellen internen Befragung sagen fast 90 Prozent der Mitarbeiter, sie seien unterbesetzt. "Warum sollten gut ausgebildete Leute für die Zeitung arbeiten, wenn sie woanders besser verdienen und pünktlich Feierabend haben?", fragt ein Ehemaliger. Für den Journalismus im Land, für die Demokratie sei das fatal.

Ein halbes Jahr nach der Mitarbeiterversammlung in der Kantine war in Querfurt ein Zweijähriger getötet worden, in der MZ erschien unter der Zeile "Stadt unter Schock" eine Reportage. Die Volksstimme übernahm den Text, druckte ihn auf der Titelseite. Sogar die Überschrift blieb die gleiche.

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