Von Flüchtlingen ist oft die Rede, vom Flüchtling eher selten. Doch Mitgefühl erregt weniger die Menge als ein einzelner Mensch. Erst recht, wenn dieser im eigenen Dachstuhl wohnt - so wie beim Bundestagsabgeordneten Martin Patzelt. Der CDU-Politiker hat in seinem Haus zwei Männer aus Eritrea aufgenommen. In Maybrit Illners Talk-Runde tauchen sie nicht auf. Selbst Patzelt sitzt erst einmal nur im Publikum.
Stattdessen diskutieren Menschen mit deutschem Pass über das Thema: "Fluchtpunkt Deutschland - zwischen Hilfe und rechter Gewalt". Grünen-Stadträtin Ines Kummer aus Freital, die einen Pflegesohn aus Ghana hat, liefert ein Stimmungsbild aus ihrer Stadt: "Sie müssen sich das vorstellen, Sie sind Flüchtling, sitzen in einem Bus, kommen aus einem Kriegsgebiet, kommen in Freital an" - mit der Hoffnung, Ruhe zu haben. Und dann sei da dieser "Mob". Menschen, die brüllen: Kriminelle Ausländer raus! Alle Asylanten raus! Da sei man sprachlos, sagt Kummer, "wie Menschen so empathielos sein können."
Blogger und Autor Sascha Lobo erklärt, dass "so schnell in die Kohlenstoffwelt hineindiffundiert", was man "im Netz schon länger beobachten konnte." Rechte Hetze im Internet sei inzwischen deutlich organisierter. Lobo resümiert: "Wir haben in Deutschland ein massives Rassismus-Problem."
"Das kann man nicht wegmerkeln!"
Die Polizei sei in der aktuellen Situation überfordert, gehe bereits "auf dem Zahnfleisch", klagt André Schulz, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Er kritisiert den massiven Personalabbau, vor allem in den neuen Bundesländern. Seit Jahren weise man auf Missstände hin, "die in der Politik keinen Widerhall finden." Schulz bemängelt auch die zu enge Definition von Terrorismus in Deutschland. "Ich sage ja, wer Asylbewerberheime ansteckt, ist ein Terrorist, wir dürfen ihn aber nicht so nennen."
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt nimmt sich die Bundeskanzlerin vor und fragt: Warum ist Merkel während ihrer gesamten Amtszeit in keinem Flüchtlingsheim gewesen? Da gibt es einen Anschlag nach dem anderen und "wir haben eine Bundeskanzlerin, die das aussitzt." Aber, das könne man nicht "wegmerkeln."
Wunderbar wegillnern lassen sich an diesem Abend dagegen Fragen nach den Ursachen von Flucht. Haben sie nicht auch mit deutscher Außenpolitik zu tun?
"Wer, wenn nicht wir?"
Wie so oft in der Debatte stehen auch in Illners Studio die Probleme im Vordergrund, nicht das Potenzial, das die Neuankömmlinge mitbringen. Dabei sind die Asylsuchenden von heute die Arbeitnehmer und Rentenzahler von morgen. "Wir sind ein starkes Land, wer kann das denn schaffen, wenn nicht wir?", sagt Göring-Eckardt. "Da sind Leute, die haben Berufe, die werden bei uns gebraucht. Da kommen Ingenieure, da kommen Ärzte, da kommen Krankenschwestern."
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betont dagegen, dass die EU-Außengrenzen stärker gesichert werden müssten. Sein Sparringspartner Sascha Lobo macht Dampf: "Wir brauchen diese Leute", kontert er, "und das, was Sie mit Asylmissbrauch völlig falsch bezeichnen, ist das Fehlen eines Einwanderungsgesetzes, das Sie seit Jahren verhindern."
Diese TV-Debatte geht in die Breite statt in die Tiefe. Was bleibt hängen? Der Appell der Freitaler Stadträtin Kummer: "Leute, kommt doch mal ins Heim! Redet mit den Menschen. Die bringen alle Geschichten mit!" Aber auch Lobos bittere Bestandsaufnahme: "Ich glaube, dass sich eine ganz merkwürdige Form von NSU 2.0 entwickelt. Das sind Leute, die terroristisch handeln, um die Politik zu beeinflussen."
Mitreden alleine reicht nicht
"Mitreden" lautet das Motto bei Maybrit Illner. Doch das reicht nicht. Gerade für die Auswahl der Gäste müsste es auch bedeuten: Mitreden lassen! Warum bezieht man die Menschen nicht ein, die übers Meer gekommen und unter Stacheldraht durchgekrochen sind? Warum hört man nicht die Geschichten derer, die auf der Flucht nach Europa ihr Leben riskiert haben?
In den letzten zehn Minuten der Sendung schwenkt die Kamera noch einmal auf den Politiker Patzelt. Zum Schluss sagt der - im Stehen: "Hinter jeden anerkannten Flüchtling" müsse sich ein deutscher Bürger stellen und in der Öffentlichkeit mit ihm auftreten. In Patzelts Vorort von Frankfurt an der Oder habe sich die Mentalität in einem Jahr "wahrnehmbar verändert". Warum? "Weil Flüchtlinge einen Namen bekommen haben und ein Gesicht." Schade, dass dies in Maybrit Illners Sendung nicht auch möglich war.