Live-Fernsehen in den USA:Süchtigmacher dringend gesucht

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Szenenbild aus der Serie The Walking Dead (Foto: obs)

Immer weniger Amerikaner sehen sich TV-Sendungen live an. Für die Sender ein Problem, da die Zahl der Live-Zuschauer die Höhe der Werbeerlöse bestimmt. Die Verantwortlichen suchen fieberhaft nach Lösungen - bei einer spielt Twitter die Hauptrolle.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist gerade eine nervenaufreibende Zeit für Produzenten, Regisseure und Schauspieler in Hollywood - nicht deshalb, weil sie noch Kostüme für die prächtigen Halloween-Partys brauchen würden: Sie fürchten, dass ihre jeweilige Fernsehserie abgesetzt wird. "Nielsen Ratings' Victims" nennt man diese Shows, die bereits nach wenigen Folgen eingestellt werden - weil schlicht und ergreifend zu wenige Menschen zugesehen haben.

Die ersten Opfer gibt es bereits: We are Men mit dem einstigen Monk-Darsteller Tony Shalhoub wurde nach zwei Episoden abgesetzt, weil im Schnitt nur sechs Millionen Menschen einschalteten, für Lucky 7 (knapp drei Millionen) war ebenfalls nach nur zwei Folgen Schluss. Nun verkündete der Sender NBC, Ironside (weniger als fünf Millionen bei der dritten Folge) mit Blair Underwood und Welcome to the Family (2,5 Millionen) nicht fortzusetzen.

So funktioniert der Dominoeffekt im amerikanischen Fernsehen seit Jahrzehnten: Weniger Zuschauer bedeuten, dass weniger Firmen in den Pausen werben beziehungsweise deutlich weniger Geld für einen Spot bezahlen möchten. Dadurch wird eine Show schnell zu einem finanziellen Misserfolg, den sich die Sender nicht leisten können oder wollen. Schnell weg damit, heißt es dann, NBC zeigt etwa bis zum Jahresende lieber die Nachrichtensendung Dateline und einige Weihnachtsspeziale mit Kelly Clarkson und Michael Bublé, als an Ironside festzuhalten.

Wie Netflix "Breaking Bad" rettete

Die Sender verlassen sich bei ihren Entscheidungen zumeist auf die Nielsen Ratings. Die sind seit Jahrzehnten der Gradmesser für den Erfolg einer Sendung und die Währung für die Sender, Werbeinseln zu verkaufen. Nur: Wie viele Menschen sehen eine Sendung tatsächlich? In Zeiten von digitalen Videorekordern und Streaming-Diensten wie Netflix, Amazon Prime oder Hulu gilt das Nielsen-Rating als anachronistische Messform.

Breaking Bad etwa, mittlerweile als die wohl beste Fernsehserie in der Geschichte gefeiert, stand in den ersten beiden Staffeln kurz vor der Absetzung - in der zweiten Staffel sahen durchschnittlich gerade einmal 1,2 Millionen Menschen zu. Dann kaufte Netflix die Show, die Zuschauer konnten Staffeln in einem Rutsch ansehen. "Netflix hat uns gerettet", sagt Erfinder Vince Gilligan, "ich glaube nicht, dass wir es sonst über die zweite Staffel hinaus geschafft hätten." Der Rest ist bekannt: Das Serienfinale sahen 10,3 Millionen Menschen live, ein Werbespot kostete 350.000 US-Dollar.

Die Fernsehsender freilich haben das Problem, dass Live-Zuschauer immer noch von immenser Bedeutung sind. Wer eine Sendung aufnimmt und später am Abend ansieht, der kann in den Werbepausen nach vorne spulen. Der Satellitenanbieter Dish stellte vor einem Jahr das Produkt "Auto Hop" vor, das Werbefilme automatisch aus Fernsehsendungen herausschneidet.

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Die Sender werden deshalb kreativ, um die Einnahmen mit Fernsehsendungen zu steigern und Sicherheit zu gewinnen. CBS etwa ging noch vor der Ausstrahlung der Serie Under the Dome eine Kooperation mit Amazon Prime ein. "Durch diesen Deal und die internationalen Verkäufe war die Show profitabel, noch bevor eine Folge gezeigt wurde", sagt CBS-Chef Leslie Moonves, der die Partnerschaft mit Amazon für die zweite Staffel erneuerte.

Es ist zu erwarten, dass andere Sender dem Beispiel folgen und ihre Shows an Amazon oder Netflix verkaufen werden. Doch nicht alle sind von diesem Modell begeistert. "Es ist eine Veränderung zum Schlechten für das gesamte Ökosystem", sagt etwa John Landgraf, Chef des Senders FX. "Man enthält die Sendung den Zuschauern vor, die keine Abonnenten sind."

Angst vor dem Spoiler

Es gibt noch eine zweite Strategie, denn die Sender haben erkannt: Live-Fernsehen ist noch nicht tot, es braucht nur Sendungen, die die Zuschauer unbedingt live sehen möchten. Die Einschaltquoten für Sportereignisse wie Football-Spiele (22 Millionen am Sonntagabend) oder die Baseball-Playoffs sind nach wie vor auf hohem Niveau. Das ist nicht überraschend, weil die Menschen natürlich wissen wollen, wie eine Partie ausgeht und Angst haben, das Ergebnis vorher über das Internet zu erfahren.

Genau hier setzen die Sender nun an: Sie schüren bei potenziellen Zuschauern die Sorge, über eine Fernsehsendung Bescheid zu wissen, bevor sie sie gesehen haben. Dabei spielt der Kurznachrichtendienst Twitter eine entscheidende Rolle. Eine Studie von Nielsen zeigte kürzlich: Je mehr Tweets es zu einer bestimmten Sendung gibt, desto besser sind die Live-Einschaltquoten.

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Die Darsteller der erfolgreichen und mehrfach prämierten ABC-Politthrillers Scandal etwa twittern während der Ausstrahlung der Serie, sie berichten über die Dreharbeiten und beantworten live die Fragen der Zuschauer. "Ich schreibe so viel, dass mir danach die Finger wehtun", sagt Hauptdarstellerin Kerry Washington. Es hilft: Die Zahl der Zuschauer ist von durchschnittlich sieben Millionen (Staffel 1) auf 10,5 Millionen für die erste Folge der dritten Spielzeit gestiegen.

Strategische Partnerschaft mit Twitter

Der Comcast-Sender NBC ist gar eine strategische Partnerschaft mit Twitter eingegangen. Die Entwicklung "See It" ermöglicht es den Zuschauern, per Mausklick direkt von Twitter-Einträgen zu Serien wie Blacklist oder The Voice zu gelangen. "Das ist ein großer Schritt im Bereich des sozialen Fernsehens, die Twitter-Nutzer finden so die Sendungen, die sie gerne sehen - oder entdecken neue", sagt Comcast-Chef Brian Roberts.

Womöglich werden der Begriff "soziales Fernsehen" und die Zahl der Twitter-Einträge für die Fernsehsender bald ebenso bedeutsam sein wie die als veraltet geltende Einschaltquotenmessung. Zu den Sendungen mit den meisten Twitter-Einträgen gehören nämlich The Walking Dead, The Blacklist und Sleepy Hollow. Die Zombie-Serie ist derzeit auch von den Live-Einschaltquoten her die erfolgreichste Sendung, vom FBI-Thriller mit James Spader hat ABC gerade eine komplette Staffel geordert, Fox hat für Sleepy Hollow eine zweite Staffel bestellt.

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