TV-Serien:Küss meinen Hintern, Zicke!

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Drogendrama in der Wüste New Mexikos: Szene aus "Breaking Bad". (Foto: Visual Press Agency)

Über deutsche Kriminalfilme zu lästern, ist schick. Und wohlfeil. Klar sind sie anders als die - auch immer schick - hochgelobten US-Serien. Aber warum ist das so? Der Versuch einer Antwort.

Von Bernd Graff

Kritik an Krimis im deutschen Fernsehen ist beliebt. Und kaum etwas ist so wohlfeil und billig. Hingerotzt seien sie, dafür langatmig erzählt, der Zuschauer sei unterfordert durch die ständige Wiederholung von Selbstverständlichkeiten.

Ende Januar etwa erschien im Spiegel eine Abrechnung mit deutschen Serien, Reihen, Kriminalfilmspielen unter dem Titel " Im Zauderland".

Nein, das war keine Abrechnung, nicht einmal eine Generalabrechnung war das. Es war eine Hinrichtung erster Klasse. Georg Diez und Thomas Hüetlin, die Autoren des Artikels, führten gegen die bieder-blass gebliebenen deutschen die erfolgreichen internationale Serien, vor allem amerikanische wie Homeland und Breaking Bad ins Feld, die für ein "verunsicherndes Fernsehen, verstörendes, kluges, ernsthaftes, erwachsenes Fernsehen" stünden, ein "Fernsehen, das uns näher an das Wesen unserer Zeit bringt als Bücher, Filme, Computerspiele."

Das sei "das Fernsehen für das frühe 21. Jahrhundert". Hierzulande herrsche dagegen "Kreativitätsverhinderung", "Fernsehen in Deutschland ist, wie es ist: mutlos, gefahrlos. Placebo-Fernsehen." ARD und ZDF hätten sich eben noch immer nicht "aus den fünfziger Jahren in die Gegenwart vorgearbeitet."

Nun kann man den Impuls, dem die Spiegel-Autoren hier nachgehen, sogar verstehen. Denn, ja, es gibt gewaltige Unterschiede zwischen deutschem und (trans-)kontinentalem Filmerzählen. Allein, in ihrer holzschnittartig verkürzenden Klage schießt diese Analyse dann doch weit über ihr Ziel hinaus.

Denn sie unterschlägt, dass es gewaltige ästhetisch-historische wie mentalitätsgeschichtliche Unterschiede zwischen hüben und drüben gibt, die andere Weisen der Erzählung, der Bild- und Personenführung bestimmen, erzwingen, ermöglichen.

Und es ist nicht ganz unwichtig, sich diesen Ausschnitt aus der Film-Historie einmal vor Augen zu führen. Denn er hat viel mit deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert überhaupt zu tun.

Die deutsche Filmästhetik hat mit den vor den Nazis fliehenden Filmschaffenden jede Form für Abstraktion aus ästhetischem Expressionismus, Nihilismus und den Roaring Twenties der Weimarer Republik eingebüßt. Amerika hat aber genau diese Exilanten-Ästhetik, etwa die eines Fritz Lang, begierig aufgesogen.

Nach dem Krieg knüpfte die deutsche Fernsehkrimi-Produktion darum an die naturalistisch-psychologische Ästhetik des Theaters an - von dort kamen Schauspieler wie Regisseure -, nicht an die des Films.

In den USA hingegen operierte die Fernsehproduktion mit jenen unter anderem von Exilanten hervorgebrachten Erzählformen des Kinos, die sich bis dahin etabliert hatten. Dort regierten die Bilder des Film Noir, hier die von Agatha Christie und "Arsen und Spitzenhäubchen". Dort der Existentialismus eines The Fugitive, hier die bedächtig-betuliche Ermittlungsarbeit eines Kommissars, Alten oder Derricks. Dort die Bespielung des Außenraums, hier die Salonbefragung. Die exotischste Umwelt, die Erik Ode als Kommissar in seinen Filmen zu sehen bekommt, ist der Linoleumboden seiner Amtsstube.

Die völlig unterschiedlichen Mentalitäten in den Kulturen bringen deutschen und internationalen Krimi noch weiter auseinander. Wenn Krimis Ausdruck der Haltung sind, die eine Gesellschaft zu sich selber hat, dann stehen Amerikaner gerade relativ ernüchtert vor dem Zusammenbruch ihres Gemeinwesens, das den Einzelnen auf sich selber zurückwirft, das verletzte Helden und beschädigte Autoritäten hervorbringt. Krimi in den USA ist dieses Drama des Verwundeten in einer unbekümmert sozialdarwinistischen Welt, die sich nicht für ihn interessiert. Wohl aber der Zuschauer. Eben auch, weil die Serienhelden Amerikas den Slang der Straße aufgreifen und sogar auf die Spitze treiben: "Kiss My Ass, Bitch!" - einem Mann zugerufen, klingt jedenfalls authentischer nach prallen Leben als das in Jahre gekommene: "Wo waren Sie gestern Abend zwischen 21 und 22 Uhr?"

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Doch Krimi in Deutschland ist - völlig gegenteilig - schon immer "social engineering" gewesen, die Arbeit an der Verbesserung des Gemeinwesens, personifiziert am bösen Verbrecher, der vom ethisch meist gefestigten, logisch operierenden Sachverstand des Ermittlers überführt wird. Denn Tat und Täter stehen hierzulande immer noch ein als Indizien für eine gesamtgesellschaftliche Problematik, einen allgemeinen Missstand, der im "Fall" nur auf den Punkt gebracht ist: Die vernachlässigte Alleinerziehende, der schlimme Menschenhandel, die Korrumpiertheit der Mächtigen. Jeder gelöste Kriminalfall im deutschen Krimi ist darum auch ein Stück Sozialhygiene und bringt die Welt wieder ein Stück in Ordnung.

In den USA entsteht aus der Konfrontation von Täter und Ermittler eher die spannende Situation des Duells, hier eher die entspannende der Überführung und Problemlösung. In den USA bleibt das Drama auch mit dem Ende des Krimis, hier fällt der Vorhang. Denn der Fall ist gelöst.

Man muss sich darum immer klarmachen, dass US-Krimis ihre ästhetischen Wurzeln eher im Western haben, in Deutschland eher im Kammerspiel. Darum wäre es nur verwunderlich, wenn amerikanische Serien eine (deutsche) Bildsprache benutzten, die ihr nur fremd sein kann - et vice versa.

Es sind also die unterschiedlichen ästhetischen Wurzeln, die unterschiedlichen Haltungen zu Gesellschaft und Konflikt, die US-Krimis so anders als deutsche Reihen machen. Und - für den Zuschauer - besser, interessanter und unvorhersehbarer. Denn sie erzählen spannender. Lösung ist also nicht immer die beste Lösung.

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