Fernsehen:"Me Too"-Skandal um John de Mol

Lesezeit: 2 min

"Wenn niemand was sagt, können wir nichts tun": John de Mol. (Foto: Imago Images/ANP)

Europas erfolgreichster Fernsehmacher ist in Schwierigkeiten: Gegen John de Mols Erfindung "The Voice of Holland" gibt es schwerwiegende Missbrauchsvorwürfe. Mit seiner Reaktion löst er einen Aufschrei aus.

Von Thomas Kirchner

Wenn man bedenkt, wie lange der Niederländer John de Mol, 66, schon im Geschäft ist, hat er nun erstaunlich hilflos agiert. Um den Medienproduzenten tobt ein "Me Too"-Skandal, der die gesamte Unterhaltungsbranche in seiner Heimat durchrüttelt. Es geht um Dutzende mutmaßliche sexuelle Übergriffe bei "The Voice of Holland", der Talentshow, die de Mol 2010 selbst erfand und für die er bis 2019 verantwortlich war. Unter anderen wird Jeroen Rietbergen, Chef der "Voice"-Band und Lebensgefährte seiner berühmten Schwester Linda de Mol, beschuldigt, bei 19 jungen Frauen die Grenze überschritten zu haben. Betreuern und Coaches wird Vergewaltigung vorgeworfen. Auch Minderjährige waren offenbar Opfer.

Zutage gebracht wurde all dies von Boos (Wütend), einem jungen Youtube-Format des öffentlich-rechtlichen Senders BNNVARA. Und dort reagierte de Mol am Donnerstag zum ersten Mal. Er sei "völlig verwirrt", sagte er, gab sich zerknirscht, lieferte ein mea culpa. In seiner Zeit bei der Show habe er allerdings nie etwas mitbekommen von Problemen. Nur 2019 habe er von einem anzüglichen Bild gehört, das Rietbergen verschickt haben soll. Er habe ihm kräftig den Kopf gewaschen. Rietbergen habe aber nichts zu bestimmen bei "The Voice" und insofern auch keine Machtposition inne.

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Die Verantwortung sieht de Mol vor allem bei den Opfern. Warum sie denn still geblieben seien? Es gebe doch genug Anlaufstellen in seinem Unternehmen: "Wenn niemand was sagt, können wir nichts tun." Frauen hätten da "offensichtlich eine Art Schamgefühl".

Noch in der Sendung konterte eine Expertin: "Die Verantwortung liegt immer bei demjenigen, der die Grenze überschreitet, und nicht bei denjenigen, die darunter leiden. Ist das klar genug?" Es folgte ein Aufschrei in den sozialen Medien: Typisch weißer alter Mann, so der Tenor, keine Ahnung, wie das so funktioniert, wenn Männer Macht ausüben. Am Morgen nach der Ausstrahlung schalteten Mitarbeiterinnen von de Mols Medienkonzern eine seitengroße Zeitungsanzeige mit den Worten: "Das Verhalten der Frauen ist nicht das Problem."

Der Schöpfer der "Traumhochzeit"

Es war zuletzt ein bisschen ruhiger geworden um Europas erfolgreichsten Fernsehmacher. Vielleicht hat es damit zu tun, dass es eigentlich nichts mehr zu erreichen gibt für ihn. De Mol hat "Die Traumhochzeit" kreiert - und von seiner Schwester in Deutschland verkaufen lassen. Er hat legendäre TV-Formate wie "Big Brother", "Nur die Liebe zählt" oder eben "The Voice" erfunden und in Dutzende Länder verkauft, auch in die USA. Er hat die leichte, seichte Unterhaltung geprägt wie kaum ein anderer, mit einem Gespür für das, was sehr viele Menschen sehen wollen. Getreu dem Motto des früheren RTL-Chefs Helmut Thoma: "Der Wurm soll nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch."

Dabei wollte der Sohn eines Schlagersängers und einer Radiojournalistin Fußballer werden, bei Ajax Amsterdam, nicht weit von seiner Heimat im Nordosten Hollands. Dazu reichte es nicht, stattdessen verdingte er sich in der Unterhaltungsindustrie, gründete 1978 eine Firma. Der Erfolg kam erst Ende der Achtzigerjahre mit dem Privatfernsehen und der Zusammenarbeit mit Joop van den Ende, mit dem er Endemol gründete. Danach zeigte sich auch der brillante, kompromisslose Geschäftsmann de Mol. 2000, auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase, verkaufte er Endemol für 5,5 Milliarden Euro; sieben Jahre später kaufte er die Firma für etwa die Hälfte zurück, erwarb Anteile an vielen Sendern und schuf ein Konglomerat, das an den Italiener Silvio Berlusconi erinnert. De Mols Vermögen wird auf 2,7 Milliarden Euro geschätzt.

Noch hat die Staatsanwalt keine Ermittlungen in der Sache aufgenommen. Doch mit "The Voice" geht es wohl kaum weiter. RTL Nederland setzte die Show vorerst ab und kündigte eine Untersuchung an. Auch viele Werbeverträge wurden gekündigt.

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