Internationale Presseschau:"Schnallen Sie sich an. Es kommen Turbulenzen auf uns zu"

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  • Die Presse ist sich einig: Mit dem Amtsantritt von Donald Trump beginnt "eine neue Ära" für die USA und die Welt.
  • Die Bewertungen seiner ersten Rede (hier im Wortlaut) und seiner Absichten klaffen aber weit auseinander. Eine Auswahl internationaler Kommentare im Überblick.

Der britische Guardian überschreibt seinen Kommentar zu Trumps Amtseinführung mit dem Titel "Eine politische Kriegserklärung", denn: "Die präsidiale Stabübergabe ging mit allen gewohnten Höflichkeiten vonstatten, doch der Ton der Trump-Rede markierte einen beängstigenden Wandel in Amerika".

Die Times äußert sich ebenfalls ausgesprochen kritisch: "Mr. Trump hat eine Rede für ein Land am Abgrund gehalten. Es war absurd übertrieben, beinahe dumm. Nahezulegen, Amerika sei inmitten eines 'Blutbads' war eine Beleidigung für die Intelligenz des Publikums".

Die Zeitung Independent befindet: "Donald Trump hat die Demokratie untergraben, sobald er als Präsident vereidigt war. Die Menschen haben Politiker immer als selbstsüchtig angesehen, aber das ist etwas anderes. Trump hat nicht nur einzelne Politiker demontiert, sondern die komplette politische Klasse und das politische System, das ihn dorthin gebracht hat, wo er ist."

Die Londoner Financial Times kommentiert in Anspielung auf die bisherige Karriere des Unternehmers: "Die Führung einer Nation ist etwas anderes als die Leitung eines Immobilienkonzerns. Präsident Trump muss weit mehr tun, als nur gute Deals für Amerika abschließen."

Die russische Zeitung Moskowski Komsomolez konstatiert dagegen: "Es hat in Washington niemand versucht, den Kongress oder das Weiße Haus zu stürmen und jemanden vom 'alten Regime' an Laternenmasten zu hängen, wie es in Russland vor einem Jahrhundert der Fall war. Aber die Selbstwahrnehmung der amerikanischen Elite - oder zumindest des liberalen Teils - ist nicht viel anders. So hat sich vor 100 Jahren auch die russische Bourgeoisie gefühlt. Der Machtwechsel in Washington (...) wird im Westen zwar nicht als das Ende der Welt wahrgenommen, aber sicherlich als Katastrophe gesehen, als die hässliche Grimasse der Demokratie."

In der Neuen Zürcher Zeitung heißt es: "Trump schürte mit Erfolg das Gefühl, die USA würden als 'Hauptinvestor' dieser Weltordnung von anderen übervorteilt. Doch unterschätzt er wohl die Folgen, die es hätte, wenn Amerika als Garant dieses Systems wegfiele, kleinkrämerisch nur noch auf seinen kurzfristigen Vorteil bedacht wäre, seine Handelspartner mit willkürlichen Strafzöllen traktierte und seine Verbündeten im Stich ließe. (...) Mit seiner Wahl haben sich die Amerikaner auf ein riskantes Experiment eingelassen - ein Experiment, dessen Scheitern sie teuer bezahlen könnten."

Reaktionen auf Amtseinführung von Trump
:"Wir müssen uns warm anziehen"

Vizekanzler Sigmar Gabriel warnt davor, den neuen US-Präsidenten zu unterschätzen, Kanzlerin Merkel pocht auf Regeln: Politiker in Deutschland und der Welt äußern sich zu Donald Trumps Amtsantritt. Die Reaktionen im Überblick.

Die regierungsnahe ungarische Tageszeitung Magyar Idök wiederum kommentiert: "Dutzende Millionen Menschen, die gegen die bestehenden Verhältnisse revoltiert und ihr Vertrauen in Trump gesetzt haben, wollen jetzt Ergebnisse sehen. Der neue US-Präsident hat den Schutz der amerikanischen Märkte und die Liquidierung des islamistischen Terrorismus versprochen. Anstelle von Industriefriedhöfen versprach er Straßen, Eisenbahnen, Brücken. Auch ihn drängt die Zeit: Nächstes Jahr stehen Kongresswahlen an - gewissermaßen das Halbzeit-Zeugnis für Trump. 2019 setzt wiederum der Wahlkampf um die nächste Präsidentschaft ein. Die Uhr hat zu ticken begonnen."

Würden Trumps Protektionismus-Pläne nun tatsächlich von einem "vorpräsidialen Bluff" in die Realität umgewandelt, werde das mit Sicherheit zu "globalen Tumulten" führen, schreibt die englischsprachige China Daily in einem Leitartikel: Die Parole "America First" könne "leicht nach hinten losgehen". China und andere Nationen müssten gemeinsam versuchen, Washington die Vorteile einer "aktualisierten und wünschenswerten" Version der Globalisierung zu verdeutlichen. Auch warnt die Zeitung Trump davor, das "Ein-China-Prinzip" weiter in Frage zu stellen und zu versuchen, in Verhandlungen mit Peking die "Taiwan-Karte" zu spielen. Werde diese Grenze überschritten, könnten die Dinge schnell "schmutzig" werden.

Die parteinahe chinesische Global Times sieht mit dem Beginn der Ära-Trump "dramatische Veränderungen" auf die Welt zukommen. Trump werde überall und auch vor der eigenen Haustür "Brände" legen. "Warten wir ab, wann China an der Reihe ist."

Die belgische Zeitung De Standaard formuliert ebenfalls Befürchtungen: "Seinen Anhängern (...) erschien die Antrittsrede vermutlich herzerwärmend. Aber für den Rest der Welt stellt sich die große Frage, wie wir den Präsidenten der Vereinigten Staaten verstehen können. Die Hoffnung, dass Donald Trump aus seiner Reality-TV-Version von der Politik aufwacht, scheint vergeblich. (...) In seiner Antrittsrede hat Donald Trump alles für ein rücksichtsloses Regime in Stellung gebracht (...). Die Börsen mögen ob der Präsidentschaft Trumps guter Hoffnung sein, aber politisch werden es düstere Zeiten."

In der französischen Regionalzeitung Ouest-France werden besonders Trumps bisherige rhetorische Angriffe auf die europäische Idee thematisiert: "Für Donald Trump zählt die Europäische Union nicht. (...) Er hofft sogar, dass andere Länder dem britischen Beispiel folgen werden. Donald Trump greift auch Deutschland an. Er sieht das Land als hegemonial und entschlossen, sich der Europäischen Union zum Zweck seiner eigenen Größe zu bedienen. Dabei wissen wir, dass Deutschland nicht der einzige europäische Anführer sein will und oft über die Schwäche Frankreichs klagt, das man dort häufig 'die Grande Nation' nennt. (...) Aber Donald Trump sät den Zweifel und schürt einen Anti-Germanismus, der hier und da schlummert. Zum ersten Mal seit 1945 stellt ein Präsident der Vereinigten Staaten die Zusammenarbeit zwischen Amerika und der Europäische Union infrage (...)."

Antrittsrede von Donald Trump
:Viel Populismus, kaum etwas Konservatives

In seiner Antrittsrede macht US-Präsident Trump klar, dass er sich auf Amerika konzentrieren und für die "vergessenen Leute" kämpfen will. Versöhnliche Töne gibt es nur wenige.

Analyse von Matthias Kolb, Washington

Die konservative Zeitung Lidove noviny aus Tschechien schreibt: "Die Probleme, die Donald Trump hervorhebt, sind real. Doch er bleibt bei seiner negativen Abgrenzung gegenüber dem Establishment, gegenüber Washington selbst und gegenüber dem Ausland, das US-Amerikaner angeblich nur bestiehlt. Als vor 156 Jahren Abraham Lincoln als erster republikanischer US-Präsident seine Antrittsrede vortrug, da versprach er 'Groll gegen niemanden' und 'Nächstenliebe für alle'. Auch Trump sagte: 'Wir teilen ein Herz, eine Heimat.' Doch sein Appell an die Einheit klang nicht liebevoll, sondern paternalistisch und beschützend - ganz als ob dieser Vater und Beschützer des amerikanischen Volkes nur Trump selbst wäre. Willkommen in einer neuen Ära!"

Die rechtsliberale dänische Tageszeitung Jyllands-Posten kommt zu dem Schluss: "Wenn man Trump zugehört hat, könnte man den Eindruck bekommen, die USA seien ein Entwicklungsland. (...) Es könnte ein rhetorischer Kniff sein, den Anschein zu erwecken, dass das Land am Abgrund steht, denn von dort aus kann es nur aufwärts gehen. Und es sind nicht zuletzt die Millionen Amerikaner, die Jahrzehnte lang keinen Aufschwung gemerkt haben, die Trump ins Weiße Haus gebracht haben. Aber er muss bald liefern, wenn sich keine Enttäuschung einstellen soll."

Das neuseeländische Nachrichtenportal Stuff.co.nz geht unter anderem auf den Patriotismus in der Antrittsrede von US-Präsident Donald Trump ein: "Trumps ewig-gestrigen und rassistischen Ansichten zeigen sich nicht zuletzt in seiner ahistorischen Aussage, 'wenn Sie Ihr Herz dem Patriotismus öffnen, gibt es keinen Raum für Vorurteile'.Hat er niemals ein Buch gelesen oder gar aus Versehen in den History Channel geschaut? Die Rolle des Patriotismus beim Anschüren eines ethno-nationalistischen Konflikts ist universell in der Geschichte. Wie und warum Trump dies nicht sieht, würde jeden Teenager wundern."

Für den Sydney Morning Herald richtet Trump eine Warnung an die Welt: "Trump befehligt nun die größte wirtschaftliche und militärische Macht der Welt. Aber er hörte sich an, als habe er gerade Venezuela übernommen. Er hat eine Warnung an die Welt gerichtet - an die Gegner genauso wie an die Alliierten, die er mit seinen Angriffen auf die Nato, seinen Männerflirt mit Wladimir Putin und seine Attacken auf China, die EU und insbesondere Angela Merkel schon ausreichend verwirrt hat. Ihnen allen erzählte er, dass er soeben ein Treuegelübde auf die Amerikaner abgelegt habe - und dass sich die internationale Gemeinschaft hinten anstellen müsse. (...) Wie sagen die Flugbegleiter zu den Passagieren: 'Bitte bleiben Sie auf ihren Plätzen. Schnallen Sie sich an. Es kommen Turbulenzen auf uns zu.' "

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