"Grenzgang" in der ARD:Kleinstadtkrisen

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Claudia Michelsen als Kerstin Werner und Lars Eidinger als Thomas Weidmann in "Grenzgang". (Foto: WDR)

Lars Eidinger begibt sich in der Romanverfilmung "Grenzgang" in das Liebesleben in der Provinz. Glattgescheitelt nimmt er an allem teil, inklusive Internet-Dating und Swingerclub. Das könnte leicht in die sarkastische Komödie kippen. Aber es bleibt ein Melodram.

Von Lothar Müller

Gibt es das, treuherzige Unberechenbarkeit? In den Augen des Schauspielers Lars Eidinger gibt es sie, in Grenzgang, dem Mittwochsfilm der ARD, kann man sie sehen. Thomas Weidmann, dessen akademische Karriere als Historiker in Berlin gescheitert ist, blickt - nach Bergenstadt in seine oberhessische Heimat zurückgekehrt und dort Lehrer geworden - durch diese Augen in die Welt. Und auf Kerstin Werner, die alleinerziehende Mutter, die durch die Augen der Schauspielerin Claudia Michelsen auf ihn zurückblickt, mal erwartungsvoll, mal resigniert, mal konsterniert. Das Tempo, in dem sie sich, beide um die 40 und sehr verloren, aufeinander zu bewegen: langsamer Walzer.

Als 2009 der Roman "Grenzgang" des Debütanten Stephan Thome, die Vorlage zu diesem Film, erschien, fand er nicht wegen stilistischer Glanztaten Anklang bei Publikum und Kritik, sondern wegen der Einbettung seiner melodramatischen Liebesgeschichte in ein überaus dichtes Porträt der deutschen Provinz. Den Grenzgang, bei dem die ganze Stadt alle sieben Jahre das alte Ritual der Grenzbegehung erneuert, gibt es im hessischen Biedenkopf, dem Geburtsort des Autors, wirklich. Aber der Roman setzte die Tradition nur ins Bild, um davor die Modernität der Provinz mit ihren Lebensläufen und Lebenskrisen in schicken Einfamilienhäusern umso deutlicher zu zeichnen.

Die Drehbuchautorin Hannah Hollinger hat das Personal des Romans geschickt verkleinert, den Zeitraum, den er über mehrere Grenzgänge umfasst, gestaucht und das Provinzporträt ausgedünnt. Hessisch spricht hier niemand. Die Regisseurin Brigitte Maria Bertele setzt diese Tendenz zum Kammerspiel konsequent um.

Spott und Hemmungslosigkeit

Natürlich lauern in den Augen und in der Gestik von Lars Eidinger, der als Steinewerfer den Film betritt und das Fenster seines Historischen Instituts in Berlin zertrümmert, Spott und Hemmungslosigkeit.

Aber die zügelt er hier, um eher glattgescheitelt und unschlüssig am modernen Liebesleben in der Provinz - samt Internet-Dating und Swingerclub - teilzunehmen. Mit dem maliziösen Hanns Zischler, der seinen Schuldirektor gibt, könnte er in die sarkastische Komödie flüchten, aber die Hindernisse sind zu groß.

Denn Kerstin Werner, die er beim Grenzgang vor sieben Jahren flüchtig geküsst hat und nun wiedersieht, hat eine demenzkranke Mutter (stoisch: Gertrud Roll) und den missmutig aufsässigen halbwüchsigen Sohn (verbittert: Sandro Lohmann). Also müssen Lars Eidinger und Claudia Michelsen im Melodram bleiben.

Das machen sie sehr schön, und wie dabei eine groteske Begegnung im Swingerclub zum Wendepunkt wird, sollte man nicht verraten. Für den Ex von Karin mit seinem schicken Auto (Harald Schrott) bleibt nur eine Rolle als Staffagefigur. Dass auch der Grenzgang, so bunt er daherkommt, eher Kulisse bleibt, ist schade.

Grenzgang , ARD, 20.15 Uhr.

© SZ vom 27.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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