Arte-Doku "Exit":Das Böse tief im Innern

Lesezeit: 2 min

Die Doku erzählt auch von Angela, die heute Gewaltprävention lehrt. (Foto: Saint Usant/dpa)
  • In "Exit - Mein Weg aus dem Hass" untersucht die norwegische Filmemacherin Karen Winther, wie der Ausstieg aus extremistischen Gruppen gelingen kann.
  • Die Arte-Doku hat zwar nicht auf alle Fragen eine Antwort, stellt aber alle wichtigen Fragen.

Von Ann-Kathrin Eckardt

Karen Winthers Weg in den Hass beginnt mit einem Film über Christiane F. Eigentlich soll er die Schüler warnen, davor, wie schnell ein Leben zu Ende gehen kann, wenn man den Drogen verfällt. Doch bei Winther bewirkt er genau das Gegenteil: Sie ist fasziniert von der Musik und Atmosphäre, von einer Welt, die sie noch nie zuvor gesehen hat, dunkel und gefährlich. "Alles, was ich wollte, war, wie sie zu sein: auf Heroin in einem Berliner Club." Gerade mal zwölf ist Karen Winther da.

Mit Ausschnitten aus dem Film Christiane F. beginnt deshalb auch die Doku der norwegischen Filmemacherin Exit - Mein Weg aus dem Hass. Die Außenseiterin fühlt sich angezogen von allem, was nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Als Jugendliche schließt sie sich einer linksextremen Gruppe an. Mit 16 wechselt sie die Seiten, wird rechtsextrem. Zwei Jahre gehört sie zur norwegischen rechtsextremen Szene, fährt zu Neonazi-Konzerten, verprügelt Menschen. Heute, sagt sie, sei für sie schwer nachzuvollziehen, was sie damals so angezogen habe. "Die Musik, die Filme, die wir sahen, das war fast wie eine Droge. Ich erinnere mich, wie verboten sich die Nazisymbole anfühlten. Mein Herz fing dann an, schneller zu schlagen." Und noch eine Erklärung hat sie für sich gefunden: "Ich wollte Menschen wehtun, egal wie. Tief im Inneren frage ich mich, ob in mir etwas Böses steckt." Es sind Sätze wie diese, die aus einer interessanten eine sehr persönliche, schonungslose Dokumentation machen, eine, die zwar nicht auf alle Fragen eine Antwort hat, aber alle wichtigen Fragen stellt.

Früher trat er einer Schwangeren in den Bauch - heute lebt der Ex-Nazi in Angst um sein Kind

Diese richtet Winther nicht nur an sich selbst. In 52 Minuten reist sie auch nach Deutschland, USA und Frankreich, trifft dort andere Aussteiger, die den Mut haben, über ihre Vergangenheit zu sprechen: Angela aus Florida war Mitglied der rechtsextremen Aryan Nations, musste ins Gefängnis und engagiert sich heute in der Gewaltprävention. David aus Frankreich ließ sich in Afghanistan für den Dschihad ausbilden und saß jahrelang wegen seiner Mitgliedschaft in der Armed Islamic Group im Gefängnis. Manuel war eine Größe in der deutschen Neonazi-Szene und extrem gewaltbereit, trat zum Beispiel einer am Boden liegenden hochschwangeren Frau in den Bauch. Heute ist er selbst Vater und lebt mit der ständigen Angst vor Vergeltung. Seine größte Sorge ist, dass seine einjährige Tochter "von dem ganzen Stress" mitgeprägt wird. An Manuel wird deutlich, wie lange und wie stark die Mitgliedschaft in einer extremistischen Organisation das spätere Leben beeinflusst. Oder besser gesagt: beeinträchtigt.

Auch Karen Winther ist nach jedem Terroranschlag, oder wenn von extremistischer Gewalt die Rede ist, aufgewühlt. Immer noch, 23 Jahre nach ihrem Ausstieg, bei dem ihr ausgerechnet eine Freundin aus der linksradikalen Szene half. Wie lange braucht man, um endlich zur Ruhe zu kommen und mit sich selbst Frieden zu schließen? Das will sie auch von Ingo Hasselbach wissen, ihrem früheren Idol, das in den Neunzigern eine Führungsgröße der Ostberliner Neonazi-Szene war und später die Organisation Exit Deutschland mitbegründete. Dessen Antwort ist nicht die erhoffte: "Ich glaube, du hast ein Leben lang damit zu tun."

Exit - Mein Weg aus dem Hass , Arte, 22 Uhr.

© SZ vom 29.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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