Vorwürfe gegen Günter Wallraff:Der Mann, der vielleicht kein Einzeltäter war

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Mal wieder wird am Denkmal Wallraff gerüttelt: Der Erfolgsautor soll sich bei seinen Bestsellern helfen lassen und Mitarbeiter nicht ausreichend gewürdigt haben. Doch auch diese Diskussionen wird Wallraff wohl unbeschadet überstehen.

Hans Leyendecker

Vor ein paar Monaten hat sich der Journalist Marcus Jauer einem heroischen Selbstversuch ausgesetzt, um dem Phänomen Günter Wallraff beizukommen. Er ist in die Rolle des alten Rollenspielers geschlüpft und hat sich von einem Fachmann in fünfstündiger Arbeit als Wallraff maskieren lassen, was bei drei Jahrzehnten Altersunterschied bestimmt nicht einfach war.

Ob es nicht nur den guten, sondern auch einen anderen Günter Wallraff (auf dem Bild im Oktober 2009 in Frankfurt) gibt, der angeblich Beihilfe zum Sozialleistungsbetrug leistete, angeblich Steuerhinterziehung und Prozessbetrug begangen und ein bisschen ausgebeutet hat, prüft jetzt die Kölner Staatsanwaltschaft. Viel wird vermutlich nicht hängen bleiben, wenn überhaupt. (Foto: dapd)

In dem Stück, das dann 400 Zeilen lang wurde und im Feuilleton der FAZ erschien ("Der Mann, der Günter Wallraff war"), schildert der Reporter auch einen Besuch im "Kulturkaufhaus Dussmann" zu Berlin. Drei alte Wallraff-Bestseller in neuen Auflagen standen in den Regalen. Auf die Wie-nebenbei-Frage, die Autoren bei solchen Gelegenheiten gern stellen: "Verkaufen die sich denn?", antwortet eine Buchhändlerin: "Konstant, aber nicht enorm."

Seit Wallraff 1966 mit den Industriereportagen die Bühne der Literatur betrat, hat er konstant Bücher mit zumeist enormem Erfolg veröffentlicht. Das vierzigste Buch ( Aus der schönen neuen Welt - Expedition ins Landesinnere) ist im Herbst 2009 erschienen; einige der Werke sind Weltbestseller geworden, viele sind in viele Sprachen übersetzt worden. Den Schriftsteller Wallraff kennt man sogar in Neufundland. Auch Wallraff vertraute auf Maskenbilder - für Recherchen, die sich in Bestseller verwandelten. Ich - der andere hieß 2002 eines seiner Bücher. Der Titel scheint wieder aktuell zu sein.

Ob es nicht nur den guten, sondern auch einen anderen Wallraff gibt, der angeblich Beihilfe zum Sozialleistungsbetrug leistete, angeblich Steuerhinterziehung und Prozessbetrug begangen und ein bisschen ausgebeutet hat, prüft jetzt die Kölner Staatsanwaltschaft in drei getrennten Ermittlungsverfahren. Viel wird vermutlich nicht hängen bleiben, wenn überhaupt.

Das öffentliche Echo wird wahrscheinlich in keinem Verhältnis stehen zum anzunehmenden strafrechtlichen Ausgang der Verfahren. Doch über allem liegt ein Verdacht, der zwar den Staatsanwalt nicht interessiert, der aber für einen berühmten Schriftsteller von Bedeutung sein kann: Hat Wallraff allein oder gemeinsam mit anderen die unter dem Namen Wallraff erschienen Texte geschrieben? Gab oder gibt es ein Kollektiv, das schrieb oder schreibt? Hat er die Schreibhelfer, die manchmal Schreib-Maschinen waren, ausreichend gewürdigt? Daran schließt sich die Frage an: Muss jemand, der zum Teil unter Lebensgefahr recherchiert und schwerste Missstände aufdeckt, tatsächlich auch gut schreiben können?

"Eine Art erweiterte Lektoratsarbeit"

Wallraffs früherer Mitarbeiter Andre F., der die umlaufenden Vorwürfe in die Welt setzte, hat im Juli - bevor er Selbstanzeige beim Finanzamt machte - auch den Verdacht genährt, dass Wallraff sich beim Schreiben angeblich allzu sehr helfen lasse: "Und jetzt komm nicht und sage, es ist alles diktiert", schrieb Andre F. in einem Brief an Wallraff, den er Anfang August ins Internet stellte.

An der Demontage des Denkmals Wallraff haben sich schon viele vergeblich probiert. Vor einem Vierteljahrhundert versuchte der Konkret-Herausgeber Hermann Gremliza, Wallraff mit einem Karl-Kraus-Preis zu verhöhnen. Wer den Preis annahm, sollte zusagen, alles Schreiben zu unterlassen und einen nützlichen Beruf zu ergreifen: "Ich sage die Wahrheit, und Wallraff lügt nicht: Keins seiner Werke hat er geschrieben, und alle stammen von ihm", höhnte Gremliza. "Denn der weltberühmte Autor, der nicht schreiben kann, hat es vermocht, die verschiedenartigsten Autoren, deren Hilfe er sich versicherte, auf jenen einheitlichen Ton zu stimmen, der den echten Wallraff verbürgt".

Gremliza behauptete damals, das erste Bild-Buch Der Aufmacher geschrieben zu haben. Wallraff bestritt nicht, dass der Konkret-Mann bei der Abfassung des Buches geholfen habe, wertete Gremlizas Arbeit allerdings als "eine Art erweiterte Lektoratsarbeit, die vor allem dem Zeitdruck" geschuldet gewesen sei.

Andere haben sich als eine Art Ghostwriter für den Schriftsteller ausgegeben oder als Helfer bekannt. Es ging meist um Eitelkeiten und persönliche Verletzungen. Wallraff wertet die Attacke Gremlizas in der von Jürgen Gottschlich verfassten Wallraff-Biografie als "Versuch der Vernichtung zu einem Zeitpunkt, als ich angeschlagen war und alle über mich herfielen".

Rund sechzig Schriftsteller, Professoren, Verleger und Journalisten haben sich damals mit Wallraff solidarisiert und sich gegen den "Versuch eines Rufmord-Journalismus" verwahrt.

In kleiner Runde sagt Wallraff schon einmal: Auch der französische Schriftsteller Honoré de Balzac habe nicht alles selbst geschrieben - was die umlaufenden Fragen nicht wirklich beantwortet.

Von Heinrich Böll stammt eine Würdigung, die Wallraff vermutlich gefällt. Im Vorwort zu Wallraffs 13 Unerwünschte Reportagen schrieb Böll 1969: Wallraffs Berichte seien "in keiner Weise, auch nicht in der geringsten Nuance, schick. Sie sind auch nicht geeignet, der gelangweilten Schickeria Vokale oder Stimmungen zu liefern. Sie sind nicht flott, nicht elegant, schwer verdaulich".

Die Spielart des Rollenreporters, und Wallraff ist ja einer der größten, stammt aus den USA. Der Schriftsteller Upton Sinclair beschrieb die verheerenden Zustände in einem Schlachthof. Die Undercover-Reporterin Elizabeth Cochrane ließ sich verhaften, um authentisch über die Zustände in einem Frauen-Gefängnis berichten zu können. Beide waren gute Schreiber. Andere Rollenreporter waren das nicht.

Beschaffer gab es immer

Im normalen Journalismus hat es immer Beschaffer gegeben, deren Stärke die Recherche war, und es gab gute Reporter, die keine Beschaffer von brisanten Unterlagen waren. Die Geschichten der Beschaffer lasen sich oft schwer, die der Reporter waren manchmal Lockengeschichten. Eine Neuerung ist es, dass heute in einigen Redaktionen die besten Beschaffer mit den besten Schreibern zusammengespannt werden. Die Geschichten sind dann nicht mehr so schwer verdaulich.

Der Name Wallraff wird vermutlich alle Werkstattdiskussionen unbeschadet überstehen. In seinem Fall sind die Verdienste groß, die Schwächen klein. Hinzu kommt, dass einer der von ihm beschäftigten Helfer, der Kölner Journalist Albrecht Kieser, den Wallraff vor zwanzig Jahren kennenlernte, sehr solidarisch ist. "Für die Texte, die ich zum Teil von meinem Bürocomputer an Günter Wallraff gemailt habe, hat Günter Wallraff die Autorenschaft. Ich habe sie nie beansprucht und werde sie nicht beanspruchen", schrieb Kieser in einer Eidesstattlichen Versicherung. Er sei zu seiner "vollen Zufriedenheit" für seine Mitarbeit honoriert worden und wollte auch nicht als Mitarbeiter mit Blick auf mögliche Prozesse genannt werden.

Das Wochenblatt Die Zeit, das in den vergangenen Jahren zur journalistischen Plattform Wallraffs wurde, hat sich in der aktuellen Ausgabe sauber, auch umfänglich mit den zum Teil unberechtigten Vorwürfen gegen ihren Mitarbeiter beschäftigt und zu seiner Autorenschaft angemerkt: "Wallraff mag froh gewesen sein, dass er keinen Mitarbeiter nennen musste. Klüger wäre es gewesen, die Mitarbeit (. . .) der Öffentlichkeit und auch der Zeit auf eigene Initiative kundzutun, weil damit ja noch keine Zweifel an seiner Autorenschaft verbunden sind".

© SZ vom 17.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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