In Dave Eggers Roman "The Circle" sieht sich die Protagonistin Mae gezwungen, freiwillig ihrer totalen digitalen Vermessung, Bewertung und Quantifizierung und schließlich Transparenz zuzustimmen. Wie viele dystopische Romane antizipiert dieser Elemente einer totalitären Zukunft in überzeichneter, aber eben nicht völlig unrealistischer Weise. Die imaginierte Basistechnologie im Roman ist das Unified Operating System, das alle Daten, Passwörter und Social-Media-Aktivitäten bündelt und schließlich zum Instrument der sozialen Kontrolle wird.
So weit, so fiktional. Wenn da nicht die chinesische Regierung wäre, die sich anschickt, Eggers' Fiktion zu verwirklichen. Chinas Machthaber wollen bis zum Jahr 2020 einen Social Score entwickeln, der Daten aus möglichst allen gesellschaftlichen Feldern bündelt: Kauf- und Surfverhalten, Verkehrsdelikte, juristische Streitigkeiten, Konflikte mit dem Arbeitgeber oder sogar Auffälligkeiten der Kinder.
Der Social Score wiederum verschafft entsprechende Vorteile bei der Wohnungssuche, Kreditaufnahme oder beim Umgang mit Behörden, berichtet der Berliner Soziologie Steffen Mau in seinem jüngsten Buch "Das metrische Wir". Darin beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten der sozialen Kontrolle im Zeitalter der Digitalisierung, aber soziologisch tiefergelegt, indem er die Mechanismen der zunehmenden Quantifizierung des Sozialen analysiert - und wie wir freiwillig und unfreiwillig dabei mitmachen.
Unsere Gesellschaft, so Maus These, werde zunehmend eine der Scores, Screenings, Rankings und Bewertungen. Die Quantifizierung des Sozialen führe in eine Gesellschaft, in welcher der Wettbewerb, der soziale Vergleich allgegenwärtig, ja geradezu universell werde. Sie bringe neue Formen von sozialer Unterscheidung und damit Ungleichheiten hervor.
Mau zeigt, dass die Logik der Quantifizierung fast alle gesellschaftlichen Felder erfasst hat: von öffentlichen Institutionen wie Krankenhäusern oder Universitäten, über Produktion, Handel und Konsum bis hin zur individuellen Lebensführung, zu Hobbys, Liebesleben, Geldverhältnissen oder sportlichen Aktivitäten, bis hin sogar zu den Emotionen. Überall entstehen kalkulative Vergleichspraktiken, die gesellschaftliche Teilbereiche zu einem Quasi-Markt werden lassen, in denen Werte nicht in Preisen, sondern in Wertungen ausgedrückt werden.
Es gibt kein Entkommen aus der Quantifizierung. Die meisten machen freiwillig mit, die anderen können sich kaum entziehen. Man würde sich aus den Kanälen der sozialen Kommunikation ausschließen. Schließlich verstrickt das Netz aus Rankings und Ratings uns alle derart, dass wir unsere Autonomie und Subjektivität in den metrischen Fremd- und Eigenerwartungen verlieren. Das Leben findet nur noch im Komparativ statt. Richard David Precht hatte in seinem Bestseller noch gefragt, "Wer bin ich, und wenn ja wie viele?" Die Sinnsuche hat nach Mau ein Ende, denn der kompetitive Mensch kennt nur noch eine Wertigkeit, die zählt: Ich bin, wie viele Klicks und Sternchen ich habe.
Während die Befürworter der zahlengesteuerten Performancemessung deren Neutralität und Objektivität betonen, zeigt Mau, wie es sich bei der Quantifizierung im doppelten Sinne um ein Vermessen handelt. Es wird zwar gemessen, aber gleichzeitig immer ein wenig "falsch" gezählt. Die Reduktion von komplexen Zusammenhängen in Indikatoren und Kennziffern lässt darin die Welt in eine Zahl schrumpfen, die ebenso viel offenlegt, wie sie unsichtbar werden lässt. Denn es kommt schließlich darauf an, welcher Faktor wie stark gewichtet wird und welche Faktoren man überhaupt berücksichtigt. Hinter dem Schleier der Neutralität stehen handfeste, häufig ökonomische Interessen. So schneiden etwa Staaten, die ihre Arbeitsmärkte liberalisieren, bei den internationalen Ratingagenturen besser ab.