"Die Toten von Marnow":Einsatzzentrale Seenplatte

Lesezeit: 2 min

Gerne im Wasser: Petra Schmidt-Schaller als Kommissarin Lona Mendt. (Foto: NDR/Polyphon/Philipp Sichler)

Von wegen Polizeireviermief: Die ARD-Miniserie "Die Toten von Marnow" ist packendes Krimifernsehen.

Von Christine Dössel

Viele werden im Vorfeld müde abgewinkt haben: "Die Toten von Marnow"? Bitte nicht schon wieder eine Krimireihe aus den Regionalzonen des deutschen Mord-und-Totschlag-Fernsehens! Es gibt doch schon "Die Toten vom Bodensee" und "Die Toten von Salzburg" und all die Toten in den sonstigen Städte- und Landschaftskrimis. Auch die ostdeutsche Provinz, in der "Die Toten von Marnow" angesiedelt sind, ist durch den Spreewald-, den Ostsee-, den Erzgebirgs- und Usedom-Krimi schon hinreichend mit Leichen gepflastert.

Der Trailer ließ ebenfalls nichts anderes erwarten als die übliche Mainstream-Produktion nach Schema F, mit Trigger-Sätzen wie: "Die Frage ist doch, ob Täter und Opfer sich vielleicht kannten." Und so verkniffen hardboiled, wie Petra Schmidt-Schaller und Sascha Alexander Geršak als Cops im Walde auf dem Titelfoto blicken, bekam man ohnehin gleich das kalte Provinzkrimigrausen.

Aber dann das: Spannung von Anfang an, wendungsreiche Geschichte mit überraschenden Vorfällen und starken, aber auch fehlerhaften, korrumpierbaren Protagonisten, wie sie im deutschen Fernsehen völlig unüblich sind. Zeit für die Entwicklung von Figuren und Nebensträngen, aber ohne dass alles erklärt und auserzählt wird. Kameraführung, Schauspiel, Erzähltechnik: hohes internationales Serienniveau.

Sommer, Wasser und Natur statt Amtsroutine

Zudem herrscht kaum deutscher Polizeireviermief, kein Kaffeeautomaten- und Pommesbudenhumor. Das ist erstaunlich. Dafür gibt es biertrinkende Griller, deren Spaßniveau in einer Szene geradezu bedrohlich wird. Ermittelt wird hauptsächlich von einem Campingplatz an der Schweriner Seenplatte aus, wodurch die Amtsroutine wegfällt und stattdessen der Sommer, das Wasser, die Natur schön zur Geltung kommen. Aber auch die Bikinifigur von Petra Schmidt-Schaller.

Kurzum: Der Vierteiler "Die Toten von Marnow" ist richtig gutes, packendes Fernsehen. Alles beginnt mit dem Mord an einem Hartz-IV-Empfänger in einer Schweriner Plattenbausiedlung. Er wurde mit durchgeschnittener Kehle kopfüber im Bad aufgehängt, auf seiner Stirn eingeritzt das Wort "Kinderficker" - was sich als falsche Spur herausstellen wird. Bald darauf ein weiterer Toter mit Kehlschnitt, der Bewohner einer noblen Seniorenresidenz am See, ermordet am helllichten Tag in seinem Rollstuhl. Im Laufe der Episoden wird eine Mordserie daraus, deren Motiv dubiose Drahtzieher zu verschleiern suchen.

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Das Drehbuch von Grimme-Preisträger Holger Karsten Schmidt ("Gladbeck", "Das weiße Kaninchen") basiert auf tatsächlichen Ereignissen: Westdeutsche Pharmariesen haben in der DDR einst mit Wissen der Stasi Medikamente an Menschen getestet, eine üppige Devisenquelle. Ein früherer SED-Bonze (Michael Mendl) und ein dubioser Sommerfrischler-Typ vom LKA (Jörg Schüttauf), beide nicht die komplexesten Figuren, sind irgendwie darin verstrickt.

Die Kommissare Lona Mendt (Schmidt-Schaller) und Frank Elling (Geršak), den alle nur Elling nennen, geraten bei ihren Ermittlungen auf falsche Fährten und in Versuchungen, denen sie nicht widerstehen. Elling, ein Familienmensch mit Bierbauch, Eigenheim und längst nicht abbezahltem Pool, nimmt dummerweise Schmiergeld an. Die coole Mendt, deren biografische Hintergründe lange unklar bleiben, fordert in ihrem Wohnmobil den Sex mit dem jungen Polizeianfänger Sören Jasper (Anton Rubtsov) nicht nur heraus, sondern als Vorgesetzte "Me too"-übergriffig ein. Jaspers Schicksal ist in diesem Film ein ebenso harter Knaller wie Mendts Vergewaltigung und ihre Reaktion darauf.

Erzählt ist das alles in Cinemascope, mit schauspielerischen Feinheiten und Liebe zur Shit-happens-Dramaturgie (Regie: Andreas Herzog). Wie in guten Serien üblich, fesselt das menschliche Drumherum. Etwa Ellings Ehedrama, das nebenher miterzählt wird, und die Demenz seiner Mutter, gespielt von der wunderbaren Christine Schorn.

Die Toten von Marnow, ARD, Mittwoch und Donnerstag, 20.15 Uhr sowie in der Mediathek

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