Michail Chodorkowskij hat noch immer dieses Mona-Lisa-Lächeln, es ist so undurchdringlich wie seine Antwort auf diese Frage: "Wollen Sie Russlands Präsident werden?" Gelächter löst die Frage bei den Zuhörern einer Podiumsdebatte von Le Monde aus. Chodorkowskij sagt nicht Ja, er sagt aber auch nicht Nein, er sagt: "Wenn das Land in einer Krise ist, wenn es nötig ist, eine Verfassungsreform durchzuführen, in der das Wichtigste die Umverteilung der Präsidentenmacht zugunsten der Gerichte, des Parlaments und der Zivilgesellschaft ist, dann bin ich bereit, diesen Teil der Arbeit zu erfüllen."
Eineinhalb Stunden lang kreist die Dokumentation von Cyril Tuschi, die der BR zu später Stunde zeigt, um die Frage, was Russlands einst berühmtester Häftling denn nun vorhat, drei Jahre, nachdem Präsident Wladimir Putin ihn begnadigt hat. Klar wird: Der frühere Chef des Ölkonzerns Yukos, in zwei fragwürdigen Prozessen zu langen Haftstrafen verurteilt, setzt sich vom Ausland aus für einen Systemwechsel in seiner Heimat ein. Die Umverteilung der Macht, die Schaffung eines Rechtsstaats: Er wisse, wie er es umsetzen könne, sagt Chodorkowskij, "das ist innerhalb von zwei, maximal drei Jahren zu schaffen." Wirklich?
Der deutsche Regisseur zeichnet das Porträt eines Mannes, der den Eindruck erweckt, irgendwann werde das System Putin einbrechen und Platz machen für eine echte Demokratie. Vehikel dazu ist für Chodorkowskij die reaktivierte Plattform Open Russia, ein Netzwerk, in dem er selber die Fäden spinnt zu Bürgerrechtlern und Oppositionellen.
Tuschis Sympathie für Chodorkowskij ist spürbar, es ist bereits sein zweiter Film über ihn
Wie schwierig dies ist, wird deutlich: Eine Razzia in Moskau, eine Menschenrechtsbeauftragte, die in der Provinz bedroht wird, ein Mitarbeiter, der aus Sorge vor einer Anklage nach Prag flüchtet. Der Film Chodorkowskijs neue Freiheit ist eine Art Doppelporträt: über den einstigen Oligarchen und über das politische Milieu in einem Land, in dem Gegner bekämpft werden, wenn sie als aufmüpfig gelten.
Tuschi hat für sein Epos zwischen Moskau und Tel Aviv Dutzende Interviews geführt und dies mit einer so großen Portion Filmmaterial angereichert, dass die Gesamtcollage den Zuschauer durchaus an die Grenze seiner Aufnahmekapazität führen könnte. Tuschis Sympathie für Chodorkowskij ist dabei spürbar, es ist bereits sein zweiter Film über ihn, kritische Momente sind rar. Und so behandelt der Regisseur die Frage nach der Relevanz von Chodorkowskijs Strippenzieherei auch nur en passant, am Ende des Films: "Sie laufen einfach weiter, egal wie klein die Chancen auf Erfolg sind", sagt Tuschi über die Kritiker des Kremls. Darüber hätte der Zuschauer vielleicht dann doch gern eher und etwas mehr erfahren.
Chodorkowskijs neue Freiheit, BR, 22.30 Uhr