"Born to Run" bei Arte:Bruce Springsteen, Mensch und Erlöser

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Es dauert nur ein paar Minuten, bis der Film die entscheidende Frage stellt - und interessant wird: Wie wurde aus Bruce Springsteen, dem Jungen aus New Jersey, der Mann, der er heute ist? (Foto: Art Maillet 1972)

In der Arte-Doku "Born to Run" erzählt der "Boss" von seinem Kampf mit der Depression - und vom lebenslangen Ringen mit dem Vater.

Von Julian Dörr

Dokumentationen über Bruce Springsteen sind ja ähnlich wie Bruce Springsteen selbst. Ehrliche, bodenständige Arbeiterromantik. Keine Überraschungen, keine Enttäuschungen. Man bekommt, was draufsteht. Da wäre zum Beispiel die Doku Wings for Wheels, die von Springsteens Durchbruch und der Startrampe für seinen künstlerischen und kommerziellen Höhenflug erzählt - Flügel statt Reifen, verstanden? Oder The Ties That Bind, in der es darum geht, wie Springsteen nach den ersten Mega-Erfolgen seinen Fokus weitet und sich den großen Geschichten und Themen zuwendet, die sein Land, die USA, zusammenhalten. Oder: Springsteen & I - ein aus Privatmaterial und Handyvideos zusammengeschnipselter globaler Fanfilm.

Und jetzt also Arte und eine Dokumentation mit dem Titel Born to Run. So heißt Springsteens größtes Album und auch sein vielleicht größter Song. So hat der Musiker aber auch seine im vergangenen Jahr veröffentlichte Autobiografie genannt. "Born to Run", das ist das Sujet Springsteens in drei Worten. Treffender geht nicht. Es ist auch: der am wenigsten überraschende Name für eine Springsteen-Dokumentation.

Psychische Erkrankungen
:"Ich mache seit 30 Jahren Psychoanalyse"

Auf der Frankfurter Buchmesse stellt Bruce Springsteen seine Memoiren vor. Sehr offen spricht er dabei auch über seine psychischen Erkrankungen.

Es dauert nur ein paar Minuten, bis sich die große Frage dieses Films aufdrängt: Wie wird man ein Mann? Genauer: Wie wurde aus Bruce Springsteen, dem Jungen aus New Jersey, der Mann, der er heute ist? Und hier wird es zum ersten Mal interessant. Denn es geht wohlgemerkt nicht darum, wie aus Springsteen der Superstar wurde mit dem Bandana, den Muckis und dem Gitarrenspiel, das jederzeit aussieht, als versuche er Wasser aus einem frühneuzeitlichen Brunnen zu pumpen. Es geht um den Menschen Springsteen. Das ist eine fürchterliche und meist inhaltsleere Floskel. Nicht in Born to Run. Regisseur Nigel Cole, bekannt geworden durch Kinokomödien wie Grasgeflüster und Kalender Girls, erzählt aus Springsteens Leben, indem er ihn selbst erzählen lässt. In Interviews, in seinen Songs und in vielen Auszügen aus seiner Autobiografie.

Auf einem Jahrmarkt beobachtet er tanzende Paare, und plötzlich trifft ihn die Verzweiflung

Coles Film ist so etwas wie die Begleitdoku zum Buch. Sie setzt die gleichen Schwerpunkte, sie wählt den gleichen Weg. Sie gräbt sich tief ein in Springsteens Familiengeschichte, in das italienisch-irische Erbe, die Last der Generationen. Natürlich geht es auch um Musik, um die berühmte E Street Band, die Springsteen wie ein gütiger Tyrann führt; es geht um Elvis und James Brown, den unendlichen Spaß und den melancholischen Blues. Aber eigentlich wird hier die Geschichte erzählt vom Kampf, der sich Leben nennt. Von Springsteens Ringen mit seinem Vater, den er einmal seinen größten Feind und seinen größten Helden in einer Person nennt.

Die Dokumentation lebt von den Stärken des Buches. Und ihre stärkste Stelle ist auch die stärkste Stelle der Autobiografie. Eines Abends steht Springsteen in einer Kleinstadt mitten in den USA. Keine Tour, kein Album, einfach nur durch das Land driften. Es ist Jahrmarkt, er beobachtet die tanzenden Paare, checkt die hübschesten Mädchen aus. Und plötzlich trifft ihn die Verzweiflung. Die Angst. Es ist der Beginn eines lebenslangen Kampfes mit psychischen Problemen. Springsteen legt seine Depressionen offen - ganz ohne das Künstlerklischee vom befreienden und inspirierenden Schmerz zu bedienen. Für diejenigen unter seinen vielen, vielen Fans, die in ihrem Leben schon einmal mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten, ist das ein unfassbarer Trost. Jeden kann es treffen, sogar den "Boss". Und darin liegt ja auch die große Anziehungskraft der Erlöserfigur Springsteen, die immer zugleich Boss und jedermann ist. Weshalb "Born to Run" am Ende auch der beste und wahrhaftigste Titel für eine Dokumentation über Bruce Springsteen ist. Weil das Wegrennen vor den eigenen Dämonen und den Schatten der Vergangenheit niemals aufhört. Bei niemandem.

Bruce Springsteen: Born to Run , Arte, 21.50 Uhr.

© SZ vom 02.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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