Es gibt diese Szene am Ende von Der Teufel trägt Prada, bei der einem erst jetzt bewusst wird, wie verniedlichend der Film mit Anna Wintour umgeht. Die junge Protagonistin hat sich losgesagt von ihrem Job als Assistentin der Chefredakteurin eines Magazins - sie war erniedrigt, beleidigt und ausgebeutet worden. Nun ist sie frei.
Die an Wintour angelehnte und von Meryl Streep herrlich diabolisch verkörperte Figur beobachtet die junge Frau, wie sie durch New York flaniert, und ihr entkommt ein augenrollendes Kichern.
Hach, sagt dieser Blick, hat die Hölle, durch die ich diese Frau geschickt habe, sie nicht prima aufs Leben vorbereitet?
Es gibt zahlreiche Anekdoten über die Zustände beim Magazin Vogue, dessen Chefredakteurin Wintour seit 1988 ist, und beim Verlag Condé Nast, wo Wintour seit 2013 die journalistischen Inhalte verantwortet. Die Anekdoten gehören zum Mythos des Medienhauses. Dort überleben demnach nur jene, die mit den Erniedrigungen umgehen können, damit sie irgendwann selbst einen Posten bekommen, in dem sie andere erniedrigen können. Und der Erfolg gab dem Unternehmen ja auch recht.
Nun aber geht es nicht mehr um Elitismus. Seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd geht es um Rassismus und systematische Benachteiligung von Nichtweißen. Es begann mit dem Rücktritt von Adam Rapoport, Chefredakteur des Lifestyle-Magazins Bon Appétit, vor knapp zwei Wochen. Auch um ihn und seine Mitarbeiterführung hatten sich Mythen gerankt. Seine afroamerikanische Assistentin Ryan Walker-Hartshorn ist Absolventin der Elite-Uni Stanford, aber bezieht ein Grundgehalt von nur 35 300 Dollar im Jahr; sie sagte dem Wirtschaftsportal Business Insider: "Ich bin die einzige schwarze Frau hier, und er behandelt mich wie eine Hilfsarbeiterin."
Tatsächlich zurücktreten musste Rapoport aber wegen eines Fotos, auf dem er als Lateinamerikaner verkleidet auf einer Halloween-Party zu sehen ist. Und weil er eine feindselige und wohl auch rassistische Kultur zuließ. Nichtweiße Mitarbeiter hätten zum Beispiel in den Videos, für die Bon Appétit bekannt ist, als stereotype Statisten einspringen müssen, wie eine Mitarbeiterein in der New York Times berichtete. "Ich kann mich noch immer nicht beruhigen", sagte Walker-Hartshorn. "Es ist schwierig, als nichtweiße Person dort zu arbeiten."
Der Furor richtet sich auch gegen Roger Lynch, 57, einst Leiter des Musik-Streamingdienstes Pandora und seit April vergangenen Jahres Geschäftsführer von Condé Nast. Er habe auf die vielen Beschwerden der Mitarbeiter in den vergangenen Monaten nicht reagiert, sein Umgang mit der aktuellen Krise wirke wie der eines routinierten Managers: reuige Entschuldigung und Versprechen auf Besserung, aber zu wenige konkrete Maßnahmen, die das Arbeitsklima für Nichtweiße verbessern. Es kam heraus, dass er seiner afroamerikanischen Assistentin zum Geburtstag das Buch "The Elements of Style" geschenkt hatte - ein Ratgeber für besseres Englisch.
Was das alles mit Wintour zu tun hat?
Als Leiterin des journalistischen Bereichs ist sie letztlich auch für Bon Appétit verantwortlich, in einer E-Mail an die Mitarbeiter schrieb sie laut New York Times: "Ich möchte ganz deutlich sagen, dass wir auch bei Vogue nicht genügend darauf geachtet haben, schwarze Redakteure, Autoren, Fotografen, Designer und andere Kreative zu fördern und ihnen Raum zu geben. Wir haben auch Fehler gemacht, indem wir Bilder und Geschichten veröffentlicht haben, die verletzend und intolerant gewesen sind. Ich übernehme dafür die volle Verantwortung."
Ein Bild, das Aufregung auslöste: das Cover im Jahr 2008, auf dem der afroamerikanische Basketballspieler LeBron James zu sehen ist. Er brüllt wütend und hält dabei das hellhäutige, blonde Model Gisele Bündchen im Arm. Man musste nicht einmal das Plakat eines "King-Kong"-Films danebenlegen, um die Metapher zu verstehen: James sollte der Gorilla sein und Bündchen die holde Maid.
Auf den ersten Skandal folgten weitere Enthüllungen, und in diesen Geschichten wird gerade das Bild eines Verlags gezeichnet, der seine Mitarbeiter aus den elitären Kreisen rekrutiert hat, in denen ranghohe Angestellte selbst verkehrten. Es waren meist Kinder vermögender Eltern, denen die schlechte Bezahlung egal war, so lange sie am Ende "Condé Nast" im Lebenslauf stehen hatten und vielleicht eine Empfehlung von Wintour persönlich bekamen - auch das wird im Film Der Teufel trägt Prada thematisiert.
Gibt es ein Kastensystem?
Das führte dazu, dass Kinder aus ärmeren Familien kaum eine Chance auf einen der begehrten Jobs hatten - darum geht es bei den Protesten derzeit: dass es ein Kastensystem gebe, in dem gerade Schwarze systematisch benachteiligt werden.
Wintour selbst ist nicht als Rassistin aufgefallen. Im Gegenteil: Sie hat die Halb-Inderin Radhika Jones gefördert und deren Vorhaben als Chefredakteurin von Vanity Fair unterstützt, das Magazin umzukrempeln und mehr Afroamerikaner wie Michael B. Jordan oder Janelle Monae auf den Titelseiten zu zeigen.
Laut New York Times sind diese Pläne bei traditionelleren (und hellhäutigen) Condé-Nast-Managerinnen auf Widerstand gestoßen - von Wintour aber regelrecht durchgeboxt worden. In einem Essay für vogue.com unterstützte sie kürzlich die Bewegung "Black Lives Matter" und forderte Joe Biden auf, eine dunkelhäutige Frau als mögliche Vizepräsidentin für den Wahlkampf gegen Donald Trump zu wählen. Nur: Ist das alles womöglich nur Fassade?
Ein Kommentar in der New York Times trägt den Titel: "Kann Anna Wintour die Bewegung für soziale Gerechtigkeit überleben?" Er endet mit den Worten des Afroamerikaners André Leon Talley, der kürzlich ein Buch veröffentlicht hat, in dem es auch um seine Beziehung zu Wintour geht: "Ich glaube nicht, dass sie jemals zulassen wird, dass irgendwas ihren weißen Privilegien im Weg stehen wird."
Geschäftsführer Roger Lynch zeigte sich am vergangenen Dienstag beim Branchen-Kongress NewFronts zerknirscht darüber, dass nun erst der Mord an George Floyd die Gesellschaft wachrüttle. Er kündigte eine Plattform für neue und diverse Inhalte an, die ein vielfältiges und gesellschaftlich repräsentativeres Publikum ansprechen, nicht nur das weiße. Lynch zufolge sind derzeit 30 Prozent der Condé Nast-Mitarbeiter people of color; der Konzern werde seinen Redaktionen künftig einen externen Anti-Rassismus-Ausschuss zur Seite stellen.