Arte-Dokumentation "Schattenkampf":Hitlers einsame Gegner

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Manchmal ein wenig Ungehorsam, manchmal eine spektakuläre Aktion: Die Arte-Dokumentation "Schattenkampf" zeigt die Schicksale von Männern und Frauen, die den Nationalsozialismus besonders früh bekämpften. Nämlich schon in den Jahren, als ganz Europa den Nazis beinahe widerstandslos folgte.

Jens Bisky

Warschau, 31. August 1939. Mädchen sitzen am Ufer, Kinder spielen, ein Schiff fährt vorüber, tanzende, fröhliche Menschen. Wenige Stunden später bombardiert die Luftwaffe den Flughafen. Wladyslaw Bartoszewski war damals 17. Seine Mutter weckte ihn wegen des Lärms: Hitlers erste Opfer in Warschau, sagt er, heute außenpolitischer Berater des polnischen Ministerpräsidenten, kamen im Schlaf um.

Vertraute Dramaturgie, aber Geschichten, für die es an der Zeit war, erzählt zu werden: In Interviews und Spielszenen berichtet "Schattenkampf" von Menschen wie dem Norweger Gunnar Sonsteby. (Foto: ECPAD/Evrard Taquet)

So beginnt die sechsteilige Arte-Dokumentation Schattenkampf von Bernard George. Die Dramaturgie wirkt vertraut, man kennt den jähen Wechsel zwischen Frieden und Krieg aus vielen Filmen. Und auch das Nebeneinander von Dokumentaraufnahmen, Zeitzeugeninterviews und nachgespielten Szenen ist nur zu bekannt. Die Geschichten aber, die hier erzählt werden, hat man so noch nicht gehört.

Es geht um die Lebensschicksale von Männern und Frauen, die den Nationalsozialismus bekämpften und damit in jenen Jahren bereits begannen, als diesem ganz Europa beinahe widerstandslos anheim zu fallen schien.

Darunter sind heute Prominente wie Bartoszewski oder der in Berlin geborene Stéphane Hessel, dessen Bestseller "Empört Euch!" dazu aufruft, die Tugenden der Résistance in der Gegenwart wiederzubeleben. Wenn man den Widerstandskämpfern aus Polen, Jugoslawien, Dänemark, Norwegen, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und aus einigen Ländern mehr über Stunden hinweg zugehört hat, wird man die Hoffnung Hessels nicht mehr unverständlich finden.

So unterschiedlich die einzelnen sind, die hier zu Wort kommen, sie strahlen in den Gesprächen einen menschenfreundlichen Ernst, eine heitere Würde aus, wie man sie im Fernsehen fast nie zu sehen bekommt. Es war an der Zeit, sie erzählen zu lassen.

Kleine Akte des Ungehorsams

Glücklicherweise verzichtet die Dokumentation auf Heroisierung. Da werden keine Denkmalssockel gebaut. Das Interesse gilt Abläufen, Entscheidungen. Der Widerstand beginnt mit dem Entschluss, nicht wegzuschauen, sich nicht zu unterwerfen.

Berichtet wird von kleinen Akten des Ungehorsams und spektakulären Aktionen: Am 30. Mai 1941 schleichen sich Manolis Klezos und Apostolos Sandas nachts auf die Akropolis und reißen die Hakenkreuzfahne, die dort seit wenigen Tagen hängt, herunter.

Im November 1942 gelingt es griechischen Partisanen - Linke und Republikaner agieren ausnahmsweise gemeinsam - die Eisenbahnbrücke von Gorgopotamos zu sprengen, die für den deutschen Nachschub strategische Bedeutung besaß. Im Oktober 1943 kann der dänische Widerstand etwa 7000 der insgesamt 8000 dänischen Juden nach Schweden evakuieren und damit retten.

Holocaust-Gedenktag
:"Seit Jahrhunderten wurden wir verfolgt"

Seit 1996 gedenkt Deutschland am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus. Im Bundestag sprach erstmals ein Vertreter der Sinti und Roma zu diesem Anlass.

Ein außergewöhnlicher Fall ist der des jungen Deutschen Hans Heisel, der als Besatzungssoldat in Paris zum Kommunisten wird, Flugblätter verteilt. Eines Tages bedrängt ihn eine Frau der Résistance, sie bräuchte dringend eine Pistole. Schließlich gibt er ihr seine Dienstwaffe. Erst 1970 erfährt er, dass aus seiner Pistole am 28. September 1943 auf den SS-Oberst Julius Ritter geschossen wurde.

Widerstand gegen die Nazis: Hannie wurde in den Dünen von Haarlem in den Niederlanden hingerichtet. Ihre beiden Freundinnen Truus Menger-Oversteegen und Freddie Dekker-Oversteegen konnten sie nicht retten. (Foto: ECPAD/Taquet Evrard)

Der Stolz, dass seine Waffe ihren Dienst getan hat, ist Heisel anzumerken, und der Zuschauer sollte wissen, dass Heisel in der Bundesrepublik 1959 wegen "Fortsetzung der KPD-Arbeit" zu 15 Monaten Haft verurteilt wurde.

Die Dokumentation verschweigt die Spannungen und Verwerfungen innerhalb des Widerstands nicht. Dass der Feind feststand, reichte nicht aus, um Kämpfe gegeneinander zu verhindern. Zunehmend nutzten die Alliierten den Widerstand in den besetzten Ländern für ihre Zwecke und ließen ihn auch im Stich, wenn es ihren politischen Zielen entsprach.

So hat Stalin zugesehen, wie die Deutschen Warschau zerstörten, um seine Marionetten in Polen installieren zu können. So hat Churchill in Griechenland die Kommunisten ausgeschaltet, um den britischen Einfluss im Mittelmeer zu sichern.

Die Dokumentation, die von Folge zu Folge besser wird, kann kein vollständiges Bild geben. Der Bilderteppich der Spielfilmszenen wirkt oft unangemessen, folgen diese doch lediglich den Konventionen der Spannungsdramaturgie.

"Die Begegnung mit der Freiheit war überwältigend"

Aber es fallen Sätze, die man nicht vergisst: zum Beispiel die der ungewöhnlich sympathischen Truus Menegr-Oversteegen, deren Freude über die Befreiung angesichts der Toten verhalten bleibt.

Bartoszewski sagt, dass er später im Gefängnis unter den Kommunisten nicht besser behandelt worden sei als in Auschwitz. Der Zweite Weltkrieg habe für sein Land erst 1989 geendet. Der Partisan Rosario Bentivegna hatte in seinem Leben zwei schönste Tage: die Kommunion im Alter von neun Jahren und, als er zwanzig war, den Sturz Mussolinis: "Die Begegnung mit Gott war schon wundervoll, aber die Begegnung mit der Freiheit war überwältigend."

Schattenkampf - Europas Résistance gegen die Nazis, Arte, am 12., 19. und 26. Oktober, 20.15 Uhr, je zwei Folgen.

© SZ vom 12.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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