ARD-Talk:Schweizer Muslima empört bei "Anne Will"

Lesezeit: 3 Min.

  • Die Einladung der Frauenbeauftragten des "Islamischen Zentralrats Schweiz", Nora Illi, in die Anne-Will-Sendung am Sonntagabend stößt auf Kritik.
  • Der Verein ist umstritten: Dort gebe es eine "radikalislamische bis hin zu islamistische Ausrichtung", räumt Moderatorin Will selbst ein.
  • Illi behauptet unter anderem, im Islam gebe es für Frauen "ganz viele Rechte und Möglichkeiten, sich auszuleben".

Dass über die Qualität eines Tatorts erregt diskutiert wird, ist keine Seltenheit. Am Sonntagabend sorgte allerdings nicht der ARD-Krimi für Diskussionen, sondern der nachfolgende Anne-Will-Talk. In der Sendung sollte es, wie schon im vorangegangenen Tatort, um die Anziehungskraft des sogenannten Islamischen Staates auf junge Menschen gehen. Thema: "Mein Leben für Allah - Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?"

Geladen war neben dem CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach und dem Islamismus-Experten Ahmad Mansour auch die Frauenbeauftragte des "Islamischen Zentralrats Schweiz", Nora Illi.

Allein die Einladung der 32-jährigen Konvertitin wird im Nachhinein zum Politikum: Denn der "Islamische Zentralrat Schweiz" ist, wie Will eingangs ihrer Sendung selbst einräumt, "kein offizielles Vertretungsorgan" aller in der Schweiz lebenden Muslime. Der Verein sei umstritten, weil er eine "radikalislamische bis hin zu islamistische Ausrichtung" habe, so die Moderatorin. Kritik an der Gästeauswahl übte unter anderem die frühere baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD).

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Auf die Frage von Will, warum sie mit 18 Jahren zum Islam konvertiert sei, führt Illi unter anderem an, dass sie die Rolle der Frau in dieser Religion interessiert habe: "Der Respekt, der mir entgegengebracht wurde". Will hakt nach, will wissen, wie konkret dieser Respekt aussehe - Illi sitzt ihr vollverschleiert gegenüber. Im Islam habe die Frau "ganz viele Rechte und Möglichkeiten, sich auszuleben", sagt Illi. "Wir müssen diesen Spagat, dem andere Frauen heute häufig ausgesetzt sind, zwischen Familienfrau und Karrierefrau weniger machen. Wir können uns in unserer Rolle selbst entfalten."

Illi: "Es ist für mich klar, dass der Widerstand in Syrien absolut legitim ist"

Die Moderatorin geht auf diese Erklärung nicht weiter ein, es ist der CDU-Politiker Bosbach, der Zweifel anbringt: "Dass im Islam die Rolle der Frau eine wesentlich bessere ist als in unserer Gesellschaft - das ist für mich nicht nachvollziehbar." Später verteidigt Illi ihre Vollverschleierung mit den Worten: "Ich persönlich habe mich für diese normative Option des Niqabs entschieden; für mich bedeutet es erstens Selbstbestimmung und zweitens auch Freiheit."

Für sie beginne die Radikalisierung da, wo man Muslime an der freien Ausübung ihrer Religion hindere, beispielsweise durch ein Verschleierungsverbot, so Illi. Auch islamophobe Ressentiments seien ein Grund. Psychologe und Islam-Experte Mansour widerspricht: Illi übernehme die Opferrolle. "Muslime können in dieser Gesellschaft sehr gut leben." Bosbach verweist auf die zahlreichen Moscheen und Gebetshäuser in Deutschland, außerdem gelte hierzulande die Religionsfreiheit: "Machen Sie sich eigentlich keine Sorgen um die Christen in Saudi-Arabien, denen noch nicht mal das religiöse Existenzminimum gewährt wird?"

Dass mit Illi keine gemäßigte Muslima in der Runde sitzen würde, dürfte der Redaktion von Anne Will bewusst gewesen sein. Bereits 2014 sprach sich Illi in einem Interview mit der Schweizer Boulevardzeitung Blick für die Legalisierung der Mehrehe in der Schweiz aus: "Im Islam geht es um Polygynie. (...) Polygynie (...) bedeutet: Ein Mann hat mehrere Frauen." Auf die Frage, ob sie die Gewaltideologie des IS teile, antwortet Illi damals: "Es ist für mich klar, dass der Widerstand in Syrien absolut legitim ist. Das Assad-Regime ist ein brutales Folterregime. Ich kann aus dem islamischen Kontext verstehen, dass es eine Motivation gibt, nach Syrien zu gehen. Solange die Opposition vereint gegen Assad kämpft, kann ich nur dahinterstehen." In der Talkrunde von Anne Will schränkt sie ein: Den IS lehne sie selbstverständlich ab.

An anderer Stelle zitiert die Anne-Will-Redaktion jedoch aus einem Beitrag, den Illi für die Webseite des Islamischen Zentralrats Schweiz verfasst hat. Titel: "Oh Schreck, die Tochter ist weg! Warum Eltern von Syrien-Ausreißerinnen einen kühlen Kopf bewahren sollten". Darin schreibt die Konvertitin: "Muslime sind (...) weltweit massivsten Repressionen ausgesetzt. (...) Kein Wunder also, dass die Versuchung riesig sein muss, aus diesem Elend auszubrechen, ja die Hijra (Einreise in ein islamisches Land, Anm. d. Will-Redaktion) nach dem Vorbild des Propheten (saws) zu vollziehen." Weiter heißt es, den Kampf gegen die Schergen Assads müsse man "als Zivilcourage hochloben", denn der Krieg sei eine "bitterharte Langzeitprüfung".

Anne Will hakt nach: Ermutige sie nicht mit dieser Botschaft, junge Frauen in den Heiligen Krieg zu ziehen? Illi verneint: Sie kenne aber eine junge Frau, die aufgrund ihres Kopftuches keine Lehrstelle gefunden habe und ständigen islamophoben Angriffen ausgesetzt gewesen sei - das sei ihre Motivation gewesen, nach Syrien zu gehen, das ihr als "gelobtes Land" erschienen sei. "Propaganda!", erregt sich Islamismus-Experte Mansour. "Das ist ein ganz klarer Ruf, dass die Menschen nach Syrien gehen - das kann man im öffentlichen Fernsehen nicht machen! Das darf man nicht!" Illi lässt sich nicht beirren: Eltern von Syrien-Ausreißern sollten in Kontakt mit ihren Kindern bleiben und "Verständnis zeigen für deren Intention".

Angesichts solcher Aussagen hätte es nach Meinung vieler eine starke Moderatorin gebraucht, die streitbare Wortbeiträge einordnet. Doch Will sei "kaum Herrin ihrer Sendung" gewesen und habe "das Durcheinander der Stimmen nicht unter Kontrolle" bekommen, kritisiert beispielsweise die Welt. Es obliegt Wills Gästen, Illi in die Schranken zu weisen. Am besten gelingt dies dem Islamismus-Experten Mansour: "Der radikale Islam, den Sie hier vertreten, ist nicht Teil dieser Gesellschaft."

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