ARD: Kanzlergeburtstag:Meine Nacht mit Helmut Kohl

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Die ARD feiert Altkanzler Kohl mit einem sechsstündigen Nachtprogramm. Unser Autor Sebastian Wolfrum hat sich den "Schwarzen Riesen" schon 24 Stunden vorher angeschaut.

Heißt es: "Kanzler der Einheit" oder "Herr über schwarze Kassen"? Würdigt man Dr. Helmut Kohl, den Historiker, oder lästert man über "Birne", den Langzeit-Gag von Titanic? Der Altkanzler aus Oggersheim hat immer im politischen Leben polarisiert. Aber er bleibt eine der wichtigsten Personen der neueren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, und weil Kohl am 3. April runden Geburtstag hat und 80 Jahre alt wird, widmet ihm die ARD Die lange Kohl-Nacht.

Früher hat der CDU-Veteran Kohl überall in der ARD "Rotfunk" und "Sozen" gesehen, während das ZDF ganz in Ordnung war, weil er dort jahrelang dem Verwaltungsrat vorstand und sein Freund Leo Kirch die Filme liefern durfte. Jetzt bietet sein ZDF zum Ehrentag eine Dokumentation auf, während das Erste am vorigen Montag schon einmal eine bewegte Eloge ohne Tiefgang sendete und nun in der Nacht von Freitag auf Samstag, von 23:30 Uhr bis 5:30 Uhr, sechs Stunden lang Kohl satt bietet.

Die Ehre solcher Nachtfüller wurde einst Rockstars zuteil, deren Konzerte live im Fernsehen übertragen wurden. Zum 80. aber soll Helmut Kohl rocken, der Altstar unter den Bonner Politikern, die es nach Berlin geschafft hatten.

SWR und WDR haben für ihre Schwarze-Riesen-Show ihre Archive nach Kohl-Filmbeiträgen durchforstet. Beim Kohl-Marathon collagieren die beiden Sender einfach Originalbeiträge aus Nachrichtensendungen, politischen Magazinen und Unterhaltungssendungen der vergangenen 45 Jahren. Man hat's ja. Der Pfälzer war schon da, als es noch kein Buntfernsehen gab.

Die Chefredakteure Jörg Schönenborn (WDR) und Fritz Frey (SWR), vom Typ her eher freundliche Protokollanten der Polit-Arena denn publizistische Wadenbeißer, führen zurückhaltend durch die Kohl-Nacht. Sie stehen mal in Speyer, dann in Bonn und schließlich in Berlin - also an den Schauplätzen des Aufsteigers aus der Provinz. So geben die ARD-Chefkräfte Hilfestellung, die vielen Beiträge zeitlich einzuordnen. Wertung ist ihre Sache nicht. Die Filme sprechen für sich selbst. Als Interview-Gast kommentiert Friedrich Nowottny, ehemaliger Intendant des WDR, die Jahre mit Kohl.

Es geht bei diesem XXL-Nachtporträt nicht strikt chronologisch zu, sondern es werden Themenblöcke abgearbeitet. Raritäten werden ausgebreitet, zum Beispiel in Schwarzweiß, als Doktor Kohl 1966 auf dem Fahrrad nach Hause fährt, rank und schlank, damals ein "junger Wilder" in der konservativen Partei. Das ARD-Opus verpasst nichts: Kohl beim Aufstieg innerhalb der Partei, Kohl in der Heimat Pfalz, Kohl auf Bundesebene.

Bimbes und Gummipuppen

Kohl im Kampf mit Franz Josef Strauß und Helmut Schmidt. Kohl im Spendenskandal. Tatsächlich stottert der Altkanzler in ARD-Interviews Antworten zu Schwarze-Kassen-Fragen dahin. Bis heute hat der Bundeskanzler a. D. nicht verraten, woher er den "Bimbes" hatte, wie Kohl Geld zuweilen nennt.

Von seinen außerparlamentarischen Gegnern wird wenig gezeigt. Nur kurz singen die Gummipuppen von Hallo Deutschland, nur einmal kommt das politische Kabarett in Person von Dieter Hildebrandt zu Wort. Und auch Hannelore Kohl, die Frau an seiner Seite, kommt kaum vor. Das hat sie hier mit seiner Bürochefin Juliane Weber gemein.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Helmut Kohl sich auf großer Bühne selbst in Szene setzt.

Ein wichtiges Thema der Doku-Collage ist die mediale Selbstdarstellung des Christdemokraten. Er inszenierte sich als wuchtiges Möbel der Demokratie und war öfter in Unterhaltungssendungen unterwegs, als man denkt. Bei Joachim Fuchsberger oder Alfred Biolek erzählte er Anekdotisches. Ausgesuchte, nicht allzu kritische Journalisten durften ihn zu Hause besuchen. Kohl teilte die Welt streng in Freund und Feind auf. Freunde haben es gut, Feinde werden ignoriert. Die Hunde bellten, und seine Karawane zog weiter.

Der letzte große Block der Kohl-Nacht gehört der deutschen Wiedervereinigung. Über den ermatteten Zuschauer geht nach fünf Stunden ein Bilderregen von Auftritten in der DDR, mit Michail Gorbatschow, beim Verlesen des Zehn-Punkte-Programms nieder. Der Kanzler der Einheit - diese Bilder dürften Helmut Kohl gefallen.

Dafür aber eine lange Nacht? Sechs Stunden sind wirklich lang. Das hat den Vorteil, dass die Filmemacher viel Zeit haben, ihre Helmut-Kohl-Story zu erzählen. Nichts muss gekürzt werden. Allein das Interview mit Biolek dauert mehr als 20 Minuten. Und so entsteht aus den vielen ungeschnittenen Beiträgen, gestückelt aus mehreren Jahrzehnten und aus verschiedenen Fernsehformaten, am Ende doch ein recht genaues Porträt.

Wenn der Morgen dämmert, könnte der Zuschauer etwas schlauer sein - falls er noch nicht in den verdienten Schlaf gefallen ist. Es darf ja auch weggezappt werden. Für die einen wird er danach Dr. Helmut Kohl, der Held, bleiben - und für die anderen aber doch "Birne", der Glück gehabt hat.

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