ARD-Film "Sie hat es verdient":Ferres-Frauen schaffen alles

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In einer penetranten Hätschel-Tätschel-Idylle spielt Veronica Ferres eine Frau, die stark ist, alles schafft und nichts verschrecken kann. In einem fast obszön bösen Film über den Mord an einer Schülerin.

Ralf Wiegand

Wenn dieser Fernsehfilm noch eine halbe Stunde länger ginge als die eh schon kaum zu ertragenden 90 Minuten, die er dauert, Veronica Ferres würde es mit ein bisschen Überlänge sicher gelingen, all die aus den Fugen geratenen Welten wieder ins Lot zu bringen. Sie würde ihre kleine zerstörte Familie wieder heile machen und die paar anderen kaputten Familien mit den kaputten Kindern und den kaputten Eltern auch, sofern sie die Normallänge des Films überlebt haben.

Die Umgangsformen im Elternhaus der 16-jährigen Susanne sind sensationell, ihre Eltern Nora (Veronica Ferres, l.) und Hendrik (Martin Feifel) lieben sich und das behütete Töchterchen sehr. Das kann in einem ARD-Film kein gutes Ende nehmen. (Foto: ARD Degeto/Ebling)

Doch der ARD-Film Sie hat es verdient endet pünktlich nach eineinhalb Stunden, und so ist Schluss, als Veronica Ferres alias Nora Wagner, deren Tochter von Mitschülern aus banalem Grund brutal ermordet worden ist, zum ersten Mal den Golden-Retriever-Welpen streichelt. Der will doch auch nur eine glückliche Familie haben. Der kann doch auch nichts dafür.

Man würde der Co-Produzentin und Hauptdarstellerin Ferres wünschen, einfach mal angemessen zusammenbrechen zu dürfen und bis zum Schluss nicht mehr aufstehen zu müssen. Aber das geht nicht bei den Ferres-Frauen; Frauen, die La Ferres spielt, müssen stark sein, müssen wieder auf die Beine kommen, müssen dem Schicksal trotzen, selbst wenn ihnen der ganze schicksalhafte Dreck mitten ins Gesicht klatscht. Die Ferres-Frau in diesem Fall will sogar die Mörderin ihrer geliebten Tochter verstehen, ein Mädchen, deren eigene Mutter es verstoßen hat. Ferres-Frauen schaffen alles, sie verstehen sogar das Unbegreifliche.

Trotz des Welpengestreichels und des Ich-verstehe-Dich-Blicks ist Sie hat es verdient ein fast obszön böses Stück, ein in grimmscher Tradition grausames Märchen, das der Regisseur und Drehbuchautor Thomas Stiller erzählt. Ein Märchen ist es wegen seiner Symbolik und getrennten Welten. Hier das Opfer Susanne Wagner, man beachte: Susanne. Deren Eltern Nora und Hendrik Wagner sollen zwar ein modernes Paar darstellen, das eine 16-jährige Tochter hat und trotzdem noch am helllichten Tag Geschlechtsverkehr auf dem Wohnzimmerteppich ausübt, das aber diese Tochter allen Ernstes Susanne genannt hat.

Jede Figur, jeder Name ist anstrengend symbolbeladen. In Susannes Haus ist alles hell und freundlich, die Umgangsformen sind sensationell, Papa fährt Töchterchen in die Schule und gibt ihr zum Abschied ungestraft ein Küsschen. "Meine Eltern sind soooo süß", sagt Susanne.

Womöglich ist es sogar Absicht, dass sich der Zuschauer ertappen könnte, diese Hätschel-Tätschel-Idylle als noch kränker zu empfinden als den Haushalt von Marianne und Robert, keine Nachnamen, wie bei den Tätern in den Polizeiberichten. Tochter Linda ist etwa so alt wie Susanne, aber ihr Vater Robert gibt ihr kein Küsschen auf dem Schulweg, er missbraucht sie. Linda nennt ihn "die Maus", sie ist von der Gedemütigten längst zur Herrscherin geworden. Überdies haben Marianne und Robert neben Linda, die "am liebsten nur noch vögeln und kiffen" würde, wenn sie nicht gerade Autos demoliert, Omas zu Boden wirft, Krieg mit ihrer Mutter führt oder Susanne tötet, noch den Sohn Oskar. Mit Down-Syndrom. Ja, Oskar trommelt ab und zu auf dem Teller. Und doch liebt Linda ihn, nur ihn. Alle anderen sind ihr egal. In Lindas Welt ist alles dunkelbraun, und ihre gelangweilten Freunde Josch und Kati tun, was sie sagt. Lauter Mäuse.

Der Film will erklären, dass nichts Böses ohne Grund entsteht, also muss jemand dieses abgrundtief Böse in Linda ergründen. Das bleibt mal wieder an der Ferres hängen. Der Film macht aber vor allem Angst, denn es mag ja durchaus sein, dass niemand grundlos böse wird - jeder aber kann Opfer des grundlos Bösen werden. Selbst die schlimmste, Abu-Ghraib-artige Gewalt spielt hier hinterm Jägerzaun auf dem Reihenhausboden. Spätestens, wenn Susannes Kopf gegen die Wand schlägt und knackt wie eine Nuss und Linda "Fester!" ruft, möchte man abschalten.

Man ist ja nicht die Ferres. Man hält ja nicht alles aus.

Sie hat es verdient, ARD, 20.15 Uhr

© SZ vom 14.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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