Kolumne "La Boum":Beißreflexe auf dem Fahrrad

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(Foto: Steffen Mackert)

Unsere Kolumnistin erkennt einen Zusammenhang zwischen der Tour de France und dem Dachs. Und zieht daraus neue Erkenntnisse.

Von Nadia Pantel

Sie erinnern sich vielleicht, dass ich hier an dieser Stelle vor ein paar Wochen behauptet habe, ich sei ein Dachs, der Fahrrad fährt. Und nun habe ich gelernt: Der Dachs ist das erfolgreichste Fahrradtier aller Zeiten. Als hätte ich es geahnt! In Wahrheit ahnte ich nichts, ich bekam nur einen sehr freundlichen Leserbrief. Ein Mensch mit einem exzellent sortierten Postkartenarchiv schickte mir eine Karte, auf die vorne ein Schwarz-Weiß-Foto eines sehr erschöpften und eingeschlammten Mannes gedruckt war. Hinten drauf stand: "Soweit ich weiß, hat ein Kaninchen nie die Tour de France gewonnen. Ein Dachs aber fünfmal." Dazu waren die Zahlen der Siegerjahre notiert: 1978, 1979, 1981, 1982, 1985. Eine nicht so komplizierte Google-Recherche später kannte ich einen Namen, den ich bestimmt vorher schon hätte kennen sollen: Bernard Hinault.

Bernard Hinault, genannt "Le Blaireau", der Dachs, war nicht nur fünf Mal der schnellste Tour-de-France-Fahrer, er ist auch der letzte Franzose, der überhaupt die Tour de France gewonnen hat. Ich gehöre zu den Menschen, die die Tour de France wegen der Landschaftsbilder schauen und Fußball nur dann, wenn es dazu Erdnussflips gibt. Deshalb bin ich dem Dachs erst mit großer Verspätung begegnet. Ich fühlte mich ihm aber direkt nah, weil er seinen Spitznamen komplett angenommen hat. Ein Dachs auf einem Fahrrad - für Bernard Hinault eine ebenso überzeugende Vorstellung wie für mich.

Der Nachmittag war enttäuschend. Es waren die Jahre nach dem Dachs

Nur identifizierte Hinault sich offensichtlich eher mit der aggressiven Variante Dachs. Er habe dieselben Reaktionen wie ein Dachs, auf den Jagd gemacht wird, sagte Hinault dem Magazin Bretons: "Wenn man mich stört, ziehe ich mich in mein Loch zurück. Wenn ich wieder rauskomme, beiße ich." Oha. Ich habe mir Dachse immer viel gemütlicher vorgestellt, aber ich habe auch noch nie etwas gewonnen, wo man schwitzen muss.

Als die Tour de France mal nicht weit vom Dorf meiner Oma vorbeifuhr, haben wir uns zu den Menschen gestellt, die dort auf die Fahrer warteten. Ich war vielleicht fünf. Und ich dachte, dass es wie im Fernsehen sein wird. Dass sich Männer mit schmerzverzerrten Gesichtern an uns vorbeikämpfen werden, dass wir ihnen zujubeln würden und dass sie dadurch wieder Kraft schöpfen würden. Ich hatte unter anderem nicht verstanden, dass wir nicht zu einer Bergetappe gingen, weil es in der Nähe von Bordeaux keine Alpenpässe gibt, sondern zu so einem total langweiligen Routinetag, den sich selbst Radsportfans nur wegen der Landschaft anschauen.

Die Fahrer kamen, vor mir standen große Menschen, ich sah nix und hörte das Surren der Reifen. Und dann war es vorbei. Das alles ging so schnell, dass ich danach immerhin begriffen hatte, warum es Radrennen heißt. Vielleicht war es aber auch so ein enttäuschender Nachmittag, weil es die Jahre nach dem Dachs waren. Ich glaube sogar, dass da kein einziges Tier auf einem Fahrrad saß. Wie schade.

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