Theater-Produzentin Sonia Friedman:Mrs. Magic

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Theaterproduzentin Sonia Friedman. (Foto: Emilio Madrid-Kuser)
  • Im März startet in Hamburg das Stück "Harry Potter und das verwunschene Kind" von der Londoner Produzentin Sonia Friedman.
  • Friedmans Markenzeichen sind ihr legendäres Bauchgefühl und: ihr Erfolg.

Von Tanja Rest

Minuten vor dem folgenreichsten Gespräch ihres Lebens tat Sonia Friedman das Undenkbare und brach in Tränen aus. Ihre Augen liefen über, die Mascara rann ihr in Bächen über die Wangen. "Können Sie sich das vorstellen? Gibt es einen schlechteren Moment als diesen?" Schon als sie in Edinburgh gelandet und ihr der modrige Geruch der Stadt in die Nase gestiegen war, hatte sie schlucken müssen, und dann zeigte sich, dass der Ort des Treffens nur wenige Straßen von dem Haus entfernt lag, in dem ihr Vater zwanzig Jahre zuvor gestorben war. Der ferne Vater, der nie Wert darauf gelegt hatte, sie kennenzulernen. Als die Theaterproduzentin Sonia Friedmann auf die Tür zulief, hinter der die Schriftstellerin Joanne K. Rowling wartete, dachte sie: Mein Vater wäre jetzt so stolz auf mich. Dann kamen die Tränen. - "Und nun sehen Sie, ich heule schon wieder!"

Sonia Friedman Productions befindet sich im fünften Obergeschoss eines Londoner Geschäftshauses unweit des Leicester Square. Niemals hat man ein Büro betreten, in dem so viele Preise versammelt waren. 55 Olivier Awards für das West End, 30 Tony Awards für den Broadway, um nur die hochkarätigsten zu nennen. Die Wände sind plakatiert mit den Bühnengesichtern von Filmstars, Sienna Miller, Kristin Scott Thomas, Danny DeVito, Ralph Fiennes. Mittendrin sitzt an einem langen Besprechungstisch Sonia Friedman, 54. Die Frau, die J. K. Rowling dazu brachte, nach sieben "Harry Potter"-Büchern noch einen achten Teil zu schreiben, diesmal fürs Theater. Ohne die es "Harry Potter und das verwunschene Kind" also nicht geben würde.

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Nach London, New York, Melbourne, San Francisco wird das Stück im März auch in Hamburg starten (Regie: John Tiffany, deutsche Produktion: Maik Klokow). Das Mehr!-Theater am Großmarkt wird gerade für 1600 Zuschauer umgebaut, die Darsteller sind bereits ernannt, der Vorverkauf läuft seit Monaten wie geschnitten Brot. Es wird das ganz große Ding. Und darum ist man hier. Denn nicht in der Schreibstube von J. K. Rowling in Edinburgh, sondern im Büro von Sonia Friedman in London hat diese zauberhafte Geschichte ihren Anfang genommen.

Die britischen Zeitungen schreiben oft, sie sehe nicht aus wie ein West End Producer. Weil man aber niemals einen West-End-Produzenten getroffen hat und eine Produzentin schon gleich gar nicht, bleibt nur festzuhalten: Lederjacke, Jeans, Boots und müde Augen; sie erinnert an ein Rock-Chick, das die Nacht wieder durchgemacht hat. Ihr Blick ist zugewandt. Die zerzauste blonde Mähne und nur lückenhaft aufgetragene Wimperntusche sprechen für ein Leben in permanenter Eile, was angesichts ihres Pensums nicht erstaunlich wäre.

Sie buhlte vergeblich um die Anerkennung ihres Vaters. Die Wunde ist geblieben

Der Dramatiker Mark Ravenhill hat über Friedman mal gesagt: "Kein Theater, kein Projekt wird jemals groß genug sein für Sonia. Sie ist eine Frau auf der Suche nach einem Empire." Das ist eine durchaus präzise Beschreibung ihres Schaffens. Sie hat erst in London und später auch am Broadway Dinge erreicht, die keiner für möglich gehalten hatte. Sonia Friedman war es, die Madonna 2002 ins West End holte für "Up for Grabs", sie besetzte Keira Knightley und Elisabeth Moss in "The Children's Hour" und Benedict Cumberbatch als umjubelten "Hamlet". Manche halten sie wegen dieser Affinität zu Stars für kommerziell. Aber sie hat auch ein Stück über Guantanamo produziert, über die Aids-Katastrophe, Geschichten aus dem Flüchtlingslager von Calais. Alles Stoffe, von denen ihre Mitarbeiter sagten: "Um Himmels willen, Sonia, lass die Finger davon, das bricht uns das Genick." Beirren ließ sie sich nicht. Sie irrt sich insgesamt sehr selten.

Was einen guten Stoff ausmacht? "Es kann im Prinzip alles sein. Aber ich muss überrascht werden, gefordert sein, ich muss mir Fragen stellen, auf die ich noch keine Antwort habe. Dann sind die Chancen gut, dass es dem Publikum genauso geht." Der Daily Telegraph nannte sie "die Hohepriesterin des Bauchgefühls".

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(Foto: Manuel Harlan)

Spektakuläre Bühnenmagie: Szene aus dem Finale von "Harry Potter und das verwunschene Kind", das ab März auch in Hamburg gezeigt wird.

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(Foto: Manuel Harlan)

Hier im Londoner Palace Theatre feierte das Stück am 30. Juli 2016 Premiere. Und hier läuft es noch immer, täglich ausverkauft.

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(Foto: Matthew Murphy)

Die beiden Hauptfiguren: Albus Severus (li.), Sohn von Harry Potter, und sein bester Freund Scorpius Malfoy, Sohn von Draco Malfoy.

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(Foto: Matthew Murphy)

Auch der im sechsten Teil der Buchreihe verstorbene Hogwarts-Schulleiter Albus Dumbledore hat im Theater seinen Auftritt.

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(Foto: Matthew Murphy)

Diese drei dürften alle Potter-Fans gut kennen (v.l.n.r.): Hermine Granger, Ron Weasley und Harry Potter als Erwachsene.

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(Foto: Matthew Murphy)

Bei ihrer Reise zurück in der Zeit landen Albus und Scorpius auch bei den Fans des Quidditch-Teams von Gryffindor.

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(Foto: Matthew Murphy)

Natürlich gehört bei "Harry Potter" auch das Böse immer mit dazu: Parade der Todesser unter dem Wappen von Lord Voldemort.

Friedman ist, das sei hier gleich gestanden, eine Frau, die einen vom Fleck weg umhaut. Alles auf einmal: stark, furchtlos, verletzlich, wahnsinnig emotional, überwältigend offen. Definitiv workaholisch, ihr Job beginnt an sieben Tagen die Woche um zehn Uhr morgens und endet nie vor Mitternacht. Männergeschichten? Ein paar. Kinder? Keine. Urlaub? Niemals. Sie sagt, sie kümmere sich nicht genug um sich selbst - oder eben nur in dem Sinne, dass sie weiterarbeiten könne. "Aber ich habe mir das so ausgesucht. Es ist okay."

Es war eine komplizierte Kindheit, vorsichtig gesagt

Sie stammt aus einer Musikerfamilie. Ihr Vater, der Frau und Kinder früh verließ, war eine nationale Berühmtheit: der Violinist Leonard Friedman, der das Scottish Chamber Orchestra gegründet hat. Ihre Mutter Clair war Pianistin, zwei ihrer drei Geschwister stehen heute ebenfalls auf der Bühne; ihre Schwester, die Sängerin Maria Friedman, ist ein Star des West Ends. Weil die Mutter rund um die Uhr arbeiten musste, blieben die Geschwister sich selbst überlassen. Es war eine komplizierte Kindheit, vorsichtig gesagt.

Sonia war vier, als sie begann, Radio zu spielen. Sie erzählte Geschichten, die sie sich ausdachte, ihr Bruder begleitete sie auf dem Kavier und nahm alles auf. Sie nannten es: "The Sonia Friedman Show". Die Kassetten gibt es heute noch, Stunden um Stunden galoppierende Fantasie. "Wenn der einzige Weg zu überleben der ist, sich in anderer Leute Geschichten zu verlieren, weil du deine eigene Geschichte nicht erträgst: Dann ist es genau das, was du tust", sagt sie. Manchmal gingen sie in ein Konzert des Vaters. Hinterher stand sie dem Mann dann gegenüber, den sie um alles in der Welt stolz machen wollte, und er kannte nicht mal ihren Namen. Er riss eine Wunde, die niemals aufhörte zu bluten.

Den ersten Job gab ihr der große Laurence Olivier, nach einem Mittagessen mit seiner Frau Joan Plowright. Serviert wurde Hühnchensalat, gesprochen nicht viel, das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie fing 1986 am National Theatre als Stage Manager an.

Markenzeichen: Erfolg

In dieser Zeit begann um sie herum das große Sterben. Ein Virus, das ihre schwulen Freunde und Kollegen dahinraffte, jeden Monat eine Beerdigung, es ließ ihr keine Ruhe. "Ich konnte da nicht einfach zusehen. Ich musste etwas tun." Sie nahm ein Jahr Auszeit. Bezog mit einer Freundin ein Büro in Covent Garden und begann zu telefonieren., die ersten zehn Celebrities waren die schwersten. Dann wurde ihre Idee zum Selbstläufer, alle wollten dabei sein.

Am Welt-Aids-Tag 1988 standen in den Shops von Covent Garden mehr als 200 Prominente. Rick Astley empfing im Maßanzug in einem Geschäft für Herrenmode, Kylie Minogue assistierte im Frisiersalon, im Pub nebenan zapfte die Barfrau aus "East Enders" Bier. Es war ein folgenreicher Triumph. Nicht nur, weil der Platz um die Markthalle aus allen Nähten platzte und die Shop-Betreiber einen Teil ihrer Einnahmen an die Aids-Stiftung abzweigten. Sondern auch, weil Friedman an diesem Tag begriff, dass sie ein Talent dafür hatte, Leute zusammenzubringen und etwas Großes auf die Beine zu stellen. Sie sattelte um auf Produzentin. 2002 gründete sie ihre eigene Firma Sonia Friedman Productions. Der Erfolg wurde ihr Markenzeichen.

Es kommt der Herbst 2012. Friedman sitzt mit dem Film- und Theaterproduzenten Colin Callender zusammen. Es ist ein Meeting wie viele andere, aber irgendwie landen sie bei Harry Potter. Fünf Jahre zuvor ist der siebte und finale Teil der Reihe erschienen, im letzten Kapitel hat der erwachsene Harry seinen Sohn Albus Severus zum Hogwarts-Express gebracht, der ihn, wie schon den Vater, ins Zauberei-Internat befördern wird. Es liest sich wie ein Happy Ending. Ist es wirklich eins?

Sie überlegen, wie es wohl wäre, dieser Albus Severus Potter zu sein. Ein Junge, der nach zwei berühmten Zauberern benannt wurde und den allerberühmtesten zum Vater hat. Der also diese Doppelbürde der höchsten Erwartungen schultert. Sie fragen sich, was Harry Potter für ein Vater wäre. "Wie schafft man es, ein Kind großzuziehen, wenn man den eigenen Eltern nie begegnet ist? Wenn man eine Waise war und von den Stiefeltern misshandelt wurde? Und was macht das mit deinem Kind, wenn du eine Celebrity bist?" Sonia Friedman denkt an ihren eigenen Vater und hat ein Bauchgefühl, das sie noch gar nicht deuten kann. So beginnt es.

J. K. Rowling hat zu diesem Zeitpunkt legendärerweise alle Angebote abgelehnt. Eine Bearbeitung der Filme für die Bühne? No, thank you. Ein Harry-Potter-Musical? Kind regards, I'd rather not. Aber als ihr Management ein Projekt erwähnt, das Harrys Geschichte mit den Mitteln des Theaters fortschreibt, als Vater-Sohn-Konflikt, ist sie neugierig. Sie lädt Friedman und Colin Callender nach Edinburgh ein.

Nun kommt der Moment, in dem, wenn man so will, ein ganzes Leben kulminiert: ihr Know-how als Produzentin, ihre Lust am Geschichtenerzählen, ihr legendärer Instinkt. Covent Garden, die Erfahrung, dass sie Menschen mitreißen kann. Das Trauma des abwesenden Vaters, ihre Verletztheit. Der Moment also, in dem Sonia Friedman im Townhouse in Edinburgh die Klinke runterdrückt und eintritt, mit verquollenen Augen und notdürftig repariertem Make-up. Und zum ersten Mal in ihrem Leben Joanne K. Rowling gegenübersteht.

Wie sie es heute schildert, klingt die Begegnung wie ein weiblicher Pas de deux. Friedman entschuldigt sich für ihr verheultes Gesicht. Sie erzählt ihre Vater-Geschichte. Dann erzählt Rowling ihre eigene Vater-Geschichte, ebenfalls heillos. Sie betrachten einander und stellen fest, dass sie nicht nur fast gleich alt sind und sich äußerlich ähnlich sehen, sondern eine Verbindung zueinander haben. Sie reden über Väter, Mütter, Kinder, die riesige Verantwortung des Elternseins. Drei Stunden dauert ihr Gespräch. Der Rest ist Theatergeschichte.

Das Harry-Potter-Stück war eher klein geplant - bis J. K. Rowling Hand anlegte

"Harry Potter and the Cursed Child" eröffnete am 30. Juli 2016 im Palace Theatre zu stehenden Ovationen, die Kritiker waren hingerissen. Das Script landete auf den internationalen Bestsellerlisten, das Stück erhielt die noch nie da gewesene Zahl von neun Olivier Awards und war seither an jedem einzelnen Tag ausverkauft. Sonia Friedman wurde vom Stage Magazine dreimal in Folge zur wichtigsten Person des britischen Theaters gekürt. Das Time Magazine setzte sie 2018 auf seine Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Es war ein nicht enden wollender Triumph.

Die Idee, mit der Friedman und Colin Callendar damals nach Edinburgh geflogen sind, war winzig: "Das Duke of York, ein kleines Theater also, kaum 600 Sitze. Auf der Bühne würde, so dachten wir, Harry Potter auf einem Stuhl sitzen und zwei Stunden lang aus seinem Leben erzählen." Sie lacht. Denn als sich Rowling mit ihrem Co-Autor Jack Thorne und dem Regisseur John Tiffany ans Schreiben machte, wurde die Idee größer und größer. Am Ende stand ein zweiteiliger Theatertag von fünf Stunden Länge, bevölkert von all den geliebten und gefürchteten Figuren des Potter-Universums, gespielt von mehr als 30 Darstellern und befeuert von so viel Bühnenmagie, dass man sich die Augen reibt. Die spektakulärste Show, die man jemals in einem Theater gesehen hat.

Und nun die Frage: Wie macht man weiter nach einem solchen Hit? Sie zögert. Windet sich. Sagt: "Es ist kompliziert. Ich bin unglaublich stolz darauf, ich finde, es ist ein Meilenstein des Theaters. Aber ich habe noch 170 andere Stücke produziert, und sie liegen mir nicht weniger am Herzen."

Aktuell laufen vier Friedman-Produktionen in mehreren Ausgaben in Theatern auf der ganzen Welt, fünf weitere sind in Vorbereitung. Aus ihrer Firma ist inzwischen ein großer Apparat geworden, 40 Festangestellte, 800 Mitarbeiter insgesamt. Manchmal wacht sie jetzt auf und ist müde. Dann packt sie die Angst, dass sie mit wachsender Verantwortung, fortschreitendem Alter und immer heller strahlendem Erfolg ihre Furchtlosigkeit verliert. "Dabei war das am Anfang die Geheimwaffe, meine Superpower. Aber ich merke, es fällt mir schwerer."

Sie gesteht, wenn sie zu lange im Büro und in Meetings sitze, müsse sie sich erst wieder daran erinnern, für wen sie das alles eigentlich macht. "Darum gehe ich nachher in eines meiner Theater, stelle mich hinten irgendwo ins Publikum und schaue eine halbe Stunde lang meiner Schwester Maria zu. Es gibt nichts Beglückenderes als diese Live-Erfahrung." Hinterher wisse sie jedes Mal wieder, wo ihr Zuhause ist.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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