Serie "Syrischer Alltag":"Meine Eltern mussten ein Vermögen zahlen, um mich aus dem Gefängnis zu bekommen"

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Ich selbst bin zweimal verhaftet worden und meine Eltern mussten ein Vermögen zahlen, um mich aus dem Gefängnis zu bekommen. Ich dachte nicht, dass ich je meinen Abschluss machen würde, weil ich eine Zeit lang nur für die Prüfungen nach Kalamoon gefahren bin. Aber dann habe ich es 2014 tatsächlich geschafft. Meine Familie wollte aus Angst, dass ihnen auf dem Weg etwas passieren würde, nicht zur Abschlussfeier kommen. Wir haben ewig diskutiert, weil der Abschluss meinen Eltern ja so viel bedeutet hat. Am Ende kamen immerhin meine Mutter und meine Schwester.

Was mich im Nachhinein wirklich freut, ist die Tatsache, dass wir uns mit unserer Ausbildung nicht zu verstecken brauchen. Ich habe in den vergangenen Monaten viel Kontakt zu Menschen aus anderen Ländern gehabt und es hat sich gezeigt, dass unsere Allgemeinbildung mindestens so gut ist wie die vieler Deutscher, Spanier, Franzosen oder Amerikaner. Die staatlichen Schulen in Syrien sind sehr gut, manchmal ist der Stoff ein bisschen veraltet, aber man lernt wirklich viel. Auch die reichen Leute schicken ihre Kinder dorthin.

"In einer idealen Welt würde ich nach Syrien zurückkehren"

Natürlich ist der Unterricht von der Regierung beeinflusst. Sie macht den Lehrplan. Schon in der Grundschule gibt es ein Fach ... ich kann den Namen nicht richtig übersetzen ... es geht jedenfalls um nationalistisch-patriotisches Verhalten. Da lernt man alles über Baschar al-Assad und seinen Vater Hafiz, die Baath-Partei und ihre großen Verdienste. Manchmal muss man auswendig lernen, wer was in einer bestimmten Rede oder über einen bestimmten Sachverhalt gesagt hat. Das muss man dann Wort für Wort wiedergeben können. Das Fach hat man zwölf Jahre lang, mindestens einmal pro Woche.

Auch im Arabischunterricht - für Schule und Uni braucht man Hocharabisch, das ist etwas anderes, als die Sprache, die wir im Alltag sprechen - hat man immer wieder mit Texten und Gedichten zu tun, die eine gewisse Färbung haben. Und dann ist da natürlich der Geschichtsunterricht. Viele Eltern sagen ihren Kindern, dass das meiste davon Quatsch ist, aber so wenig man an das alles glaubt, so sehr man sich auch dagegen wehrt, wird man unterbewusst wohl doch von diesen Dingen beeinflusst.

Jetzt bin ich hier in Deutschland. Gerade habe ich mit meinem Sprachkurs angefangen. Wenn es geht, möchte ich hier einen Master machen und dann den Beruf ausüben, den ich gelernt habe. In einer idealen Welt würde ich in ein paar Jahren nach Syrien zurückkehren. Ich würde dort eine Familie gründen und mit der Arbeitserfahrung, die ich in Deutschland gesammelt habe, helfen, mein Land wiederaufzubauen. Es gibt viele Landsleute, die das sagen. Aber seien wir ehrlich: So weit wird es wahrscheinlich nie kommen.

Serie "Syrischer Alltag"

Fünf Jahre Krieg in Syrien. Fünf Jahre Fassbomben, Tod und Zerstörung - und Millionen Flüchtlinge, die in den Nachbarländern und darüber hinaus Schutz suchen. Das Land, das Syrien einmal gewesen ist, gerät bei all dem Leid leicht in Vergessenheit. Wie war das Leben dort? Wer sind die Menschen, die aus Damaskus, Homs, Latakia kommen und in Deutschland mittlerweile die größte Flüchtlingsgruppe stellen? Wie haben sie gelernt, gefeiert und geliebt? Wie haben sie sich gekleidet und wohin sind sie verreist?

Für die Serie "Syrischer Alltag" haben acht Flüchtlinge mit uns über ihre Heimat gesprochen. Über das Leben vor dem Krieg, das in einer Diktatur stattfand und schon deshalb nicht immer sorgenfrei war. Dennoch: Die Protokolle sind Erinnerungen an eine glücklichere Zeit. Und sie zeigen, dass das Wort "Flüchtling" nur den Bruchteil einer Biografie beschreiben kann.

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