"Schön doof" zum Wintergrillen:Würste bei Minus drei Grad

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Wintergrillen: Eine Familie brät Würstchen im Schnee. (Foto: imago stock&people)

Das, was Wintergriller tun, ist genauso überflüssig wie Sommerskifahren im Funsportpark.

Glosse von Christian Mayer

Schön war der Sommer 2015, er war ein Fest, oft glühte die Kohle bis weit nach Mitternacht. In den Münchner Gärten, auf den Balkonen und auch an der Isar saßen die Menschen vor ihrem Schweinehalsgrat, den Hühnchenspießen und den Rinderlenden. Glückliche Fleischfresser, die sich am Freudenfeuer nicht wärmen mussten, es hatte ja 28 Grad draußen, das T-Shirt klebte am Leib, der Weißwein kühlte das Gemüt. So muss Grillen sein: ein heißes Versprechen, das perfekte Stück Fleisch auf dem Rost, manche Männer halten das schon für Erotik und zeigen stolz ihre marinierten Fingernägel.

Irgendwann aber ist auch mal gut, es kommt der Herbst, der Grill verstaubt im Keller. Dann isst man halt gemeinsam mit den Freunden Coq au Vin in der warmen Stube und erinnert sich an den Sommer, der so schön . . .

Typologie der Griller
:Du bist, wie du grillst

Es könnte so schön sein: Ein lauer Freitagabend im Sommer und jede Menge Freunde, die sich zum Grillen treffen. Wären da nicht der Gourmet-Snob mit seinem Fleischthermometer und der Pyromane, der in seiner Euphorie das Grillgut mit flüssigem Anzünder tränkt. Eine Typologie von Menschen am Grill.

Von Christina Metallinos

Aber halt: Eine wachsende Zahl von Leuten will es einfach nicht wahrhaben, dass die Saison erst wieder Mitte Mai 2016 losgeht. Sie sind süchtig nach dem Geruch von Holzkohle. Die Welt ist für sie eine Kugel, die man auf die Terrasse stellt, und dann wird der August simuliert. Wintergrillen heißt diese Disziplin, es gibt mittlerweile überall in Deutschland Wettbewerbe und Seminare, eine ganze Branche versorgt die Hardcore-Röster mit Infrarotstrahlern, Feuerkörben, Windlichtern und, ganz wichtig, Polarkleidung, wie man sie sonst nur aus Lappland kennt.

Beschämend alberne Trockenübung

Neulich gab es so eine Veranstaltung bei einem Freund in Nymphenburg, der es immer außerordentlich gut meint mit seinen Freunden. Draußen waren es gefühlte drei Grad Minus, aber der Gastgeber hielt seine Opfer mit immer neuen Tricks davon ab, vom eisigen Vorgarten ins Innere des Hauses zu flüchten. Mit dem Argument, gleich gebe es die beste Currywurst außerhalb von Berlin, fesselte er seine Zuhörer an die Feuerstelle.

Die beste Currywurst außerhalb von Berlin war dann trotz fachmännischen Einsatzes eines brandneuen Barbeque-Thermometers auf der einen Seite schwarz und auf der anderen Seite weiß, dafür aber mit einer blutroten Soße geschmacklich unkenntlich gemacht worden. Schon blöd, wenn die Sonne um halb fünf untergeht und man nichts mehr erkennt. Während die Gäste gerade bibbernd versicherten, dass diese schnöde erkaltete Currywurst tatsächlich ein Gedicht sei, ging der italienische Daunenanorak einer der weiblichen Gäste dramatisch in Flammen auf: Die Trägerin war beim Rösten ihrer gelatinefreien Marshmellows aus dem Tritt geraten, wurde aber durch einen beherzten Griff zum Weißbierglas gerettet. Ein Glücksfall, denn nun konnte die Party endlich in der Küche fortgesetzt werden.

Regionale Grillvorlieben
:Gott lenkt, der Saarländer schwenkt

Im Saarland gehört das Grillen zur Identität. Die Bewohner des kleinen Landes bedienen sich dabei einer ganz besonderen, dreibeinigen Apparatur. Und sie schwören darauf, dass diese Art der Fleischzubereitung sämtlichen anderen Varianten überlegen sei.

Von Oliver Klasen

Wintergrillen erinnert ein wenig an Sommerskifahren im Funsportpark, eine völlig überflüssige und beschämend alberne Trockenübung, bei der man sich schnell mal die Haxen bricht. Klar, kann man machen, aber der Körper braucht es nicht unbedingt, auch wenn die Kugelgrillproduzenten einem das Gegenteil versichern.

Lassen wir doch das Grillen, diese herrlich archaische Tätigkeit, dem Sommer.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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