"Einen Tag vor Silvester 2010 passierte der Unfall. Seither bin ich ab dem sechsten Halswirbel querschnittsgelähmt. Ich war mit meiner damaligen Freundin in der Nähe von Innsbruck snowboarden. Wie so viele Male zuvor bin ich etwas abseits im Tiefschnee gefahren. Hinter einer kleinen Erhöhung waren Steine, die ich nicht sehen konnte. Ich blieb hängen und prallte mit voller Wucht mit dem Kopf gegen einen Stein.
Ich war ohne Helm unterwegs. Allerdings sagten mir danach die Ärzte, dass ich mir auch mit Helm meinen Halswirbel gebrochen hätte. An den Moment selbst kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, was meine Freunde damals berichtet haben. Dass ich wohl relativ ruhig gewesen sei, aber gesagt hätte, dass meine Arme kribbeln. Jemand fragte, ob ich die Beine bewegen kann. Ich verneinte. Aber ich habe keine Panik bekommen.
Ich war wohl kurz bewusstlos, aber im Helikopter schon wieder ansprechbar. Ich wurde in die Klinik nach Innsbruck geflogen, wo ich operiert wurde. Dort wurde mir dann erklärt, was passiert war. Allerdings hatte ich so starke Medikamente bekommen, dass es eine Woche dauerte, bis ich wieder etwas mitbekommen habe. Ich konnte mir Dinge erst wieder merken, als in meinem Bewusstsein schon verankert war, dass meine Beine nicht mehr funktionieren. Anfangs habe ich noch gehofft, dass die Funktionen wiederkommen, wie im Film.
Überwogen hat immer die Zuversicht
Aber je länger nichts passiert ist, umso mehr habe ich die Situation angenommen und versucht, die Hoffnung zu unterdrücken. Erst in der Reha habe ich dann komplett begriffen, dass keine Funktionen zurückkommen werden. Enttäuschung, Trauer und Angst habe ich schon gefühlt, aber diese Gefühle waren nie überwältigend. Sie wurden durch die Fähigkeiten, die ich schrittweise wieder erlernte, kompensiert. Überwogen hat immer die Zuversicht, aus meiner jetzigen Situation was zu machen. Ich habe mir noch im Krankenhaus überlegt, wie ich meinen nächsten Job in der Organisation des Ticketings für die Frauen-Fußball-WM auch im Rollstuhl bewältigen kann.
Ich bin ab den Brustwarzen abwärts gelähmt. Im Trizeps habe ich nur noch ganz wenig Funktion, im Bizeps schon und in der Hand, in den Fingern wiederum nicht. Aber über einen Trick kann ich trotzdem greifen. Durch das Anspannen des Handgelenks ziehen sich meine Finger zusammen. In der Reha wurden dafür meine Finger an die Handinnenseite getapt, damit sich die Sehnen verkürzen. Außerdem kann ich den Zeigefinger ein wenig bewegen. Da habe ich Glück gehabt.
Im Nachhinein denke ich, dass mir das unmittelbare Bewusstsein, dass ich mich schwer verletzt habe, geholfen hat, niemals in einen Schockzustand oder eine Depression zu verfallen. Auch wenn ich mich nicht an die erste Woche erinnern kann, war das wohl die entscheidende Zeit, in der ich die Querschnittslähmung angenommen habe.
Nach vier Wochen in der Klinik wurde ich ein halbes Jahr in die Reha verlegt. Ich musste dort alles neu lernen. Am Anfang habe ich anderthalb Stunden gebraucht, um mich selbst anzuziehen. Mir das erste Mal wieder alleine die Zähne zu putzen, war für mich mit 29 Jahren ein Erfolgserlebnis. Bei allen Menschen, die ich in der Reha kennengelernt habe, war nur ein sehr geringer Teil dabei, der sich hängen ließ und sich aufgab. Die meisten wollen schnell wieder einen möglichst hohen Grad an Selbständigkeit erlangen.
Sicher ist vieles komplizierter und erfordert mehr Planung. Und wenn Dinge nicht so klappen, wie ich mir das vorgestellt habe, bin ich sehr frustriert. Aber heute brauche ich nicht mal mehr 20 Minuten, um mich morgens anzuziehen. Meinen Rollstuhl und mich kann ich in weniger als vier Minuten ins Auto verladen, etwa um als Ko-Trainer eine Fußballmannschaft zu trainieren. Ich habe mich relativ schnell an die neue Situation gewöhnt.
Früher habe ich mich über den Sport definiert. Ich habe in einem Verein Fußball gespielt, bin viel Snowboard gefahren und habe Eishockey gespielt. Das geht heute nicht mehr. Den Sport habe ich trotzdem in meinem Leben gehalten. Ich bin weiterhin sehr sportinteressiert und spiele auch gerne Tischtennis. Mit meinen Freunden organisiere ich jedes Jahr das Fußballturnier Benekickt'z. Ursprünglich haben sie es als Benefiz-Veranstaltung für mich ins Leben gerufen. Aber dann wollte ich selbst mitorganisieren und das Geld an andere Menschen mit Querschnittslähmung spenden. Dieses Jahr fand es zum fünften Mal statt.
Das mit dem sechsten Halswirbel ist insofern gut, als ich relativ selbständig bin: Ich brauche zwar etwas länger als andere, aber ich habe mich eben angepasst: So arbeite ich heute etwa 30 Stunden in der Woche beim Land Tirol in der Arbeitsmarktförderung. Ich kümmere mich um Förderungen des Landes für Projekte gegen Arbeitslosigkeit. Als der Unfall passierte, war ich gerade mit meinem BWL-Studium fertig und wäre für einen neuen Job nach Frankfurt am Main gezogen.
Die Prioritäten im Leben haben sich verschoben
Doch danach wollte ich lieber in meinem sozialen Umfeld bleiben, weil man am Anfang doch noch viel Hilfe braucht. Inzwischen kann ich es mir wieder vorstellen, auch woanders hinzuziehen, wenn es denn einen Grund dafür gäbe. Mein Freundeskreis ist noch genau der gleiche wie vor dem Unfall. Manche sagen, ich sei harmonischer, weniger aufbrausend, und ich merke selbst, dass sich meine Prioritäten im Leben verschoben haben. Ich brauche keine Karriere mehr um jeden Preis. Ich muss nicht mehr im schnellsten Auto fahren und ich packe mir meinen Tag nicht mehr so voll. Aber ich war schon immer ein pragmatischer und optimistischer Mensch. Das habe ich von meiner Mutter. In der Erst-Reha schickte mich der Psychologe wieder weg mit der Begründung, ich bräuchte ihn nicht. Bis heute wird mir immer wieder ein hoher Grad an Resilienz bescheinigt.
Mit meiner damaligen Freundin, die mich nach dem Unfall in allem unterstütze, klappte es dann aufgrund der Umstellung nicht mehr. Es ist sehr schwierig, wenn gewohnte Gemeinsamkeiten durch den Unfall wegbrechen und sich das gemeinsame Leben so drastisch ändert. Seit einem Jahr habe ich wieder eine Beziehung. Sie hat mich so kennengelernt, wie ich jetzt bin. Ihre Fähigkeit, mich als Menschen und nicht als Rollstuhlfahrer zu sehen, hat mich von Anfang an begeistert. Das hat mir geholfen, den Rollstuhl unter mir immer mehr zu vergessen.
Klar habe auch ich mal den Gedanken, warum gerade mir das passiert ist. Aber das sind, selbst für mich überraschend, nur kurze Momente. Ich hatte, so blöd das klingen mag, ein gutes Alter, um in den Rollstuhl zu kommen. Gerade wohl auch, weil ich ab dem Alter von 15 Jahren schon ziemlich viel erlebt habe: viele Reisen etwa. Im Vergleich zu einem 18-Jährigen, der noch nicht auf der ganzen Welt unterwegs war. Ich habe einfach nicht das Gefühl, dass ich aufgrund der Tatsache, dass ich im Rollstuhl sitze, viel verpasst habe.
Ich freue mich über Hilfe, aber nicht über Bevormundung
Ich erlebe sehr viel Hilfsbereitschaft. Mittlerweile lasse ich mir im Alltag gerne helfen, wenn ich darauf angewiesen bin. Aber ich kann es nicht leiden, wenn mir jemand hilft, ohne mich zu fragen, mich zum Beispiel schiebt, weil er denkt, mir einen Gefallen zu tun.
Einmal wollte mich ein junger Mann unaufgefordert eine Brücke hochschieben und ich sagte ihm, er solle das lassen. Daraufhin war er sauer und sagte, dann helfe er eben nie wieder jemandem. Als ich oben war und es wieder leicht bergab ging, überholte ich ihn und seine Freunde. Ich lächelte ihn an und fragte, ob ich ihn mitnehmen solle, ich sei ja jetzt viel schneller als er. Wir haben beide gelacht und ich glaube, er hat damit verstanden, worum es mir ging.
Ich freue mich, wenn mir jemand Hilfe anbietet, aber nicht, wenn ich bevormundet und übergangen werde. Das ist in solchen Fällen wie die Brücke hochschieben noch in Ordnung. Aber wenn es etwa um den Beruf geht, ist es schmerzhafter. Manches wird mir nicht mehr zugetraut, nur weil ich im Rollstuhl bin. Das ist für mich frustrierender als etwa nicht mehr die Treppe hochlaufen zu können.
Heute geht es mir gut - trotz Rollstuhls und Querschnittslähmung. Ich versuche immer zu sehen, was ich alles kann und nicht, was ich nicht kann. Denn ich habe immer noch sehr, sehr viele Möglichkeiten."
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Benedikt von Ulm-Erbach, 34, Innsbruck