Qualität der Haute Cuisine bedroht:Auf dem Trockenen

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Allein unter Abstinenzlern: Ein Abend im Londoner Sternelokal "Hakkasan" zeigt, warum die Umverteilung des weltweiten Wohlstandes die Kultur der Haute Cuisine gefährdet.

A. Kreye

Man findet das Restaurant Hakkasan nicht gleich. In einer versteckten Londoner Gasse stehen an diesem Abend zwei Bentley-Limousinen mit laufendem Motor. Hinter einer Doppeltür führt eine Treppe ins Kellergeschoss, aus dem der dumpfe Bass elektronischer Musik nach oben tönt. Unten angekommen findet man sich in einem Gedränge von Leuten, die jene Sorte Kleidung tragen, die in den Boutiquen internationaler Flughäfen viel zu viel Geld kosten.

Für Europa ist das Hakkasan ein seltener Glücksfall, weil man hier exzellente chinesische Küche serviert bekommt. Eigentlich ist das Hakkasan sogar weltweit eine Seltenheit, weil der Chefkoch Tong Chee Hwee so gut ist, dass ihm der "Guide Michelin" im Jahr 2003 einen Stern verlieh. Chinesische Lokale haben es bei den Testern des "Guide Michelin" traditionell besonders schwer, was damit zu tun hat, dass die chinesische Küche noch älter und kultivierter ist als die französische. Das führt unter Kulturnationen schon mal zu einer Art weltgeschichtlichem Sozialneid.

Was die Tester des "Guide Michelin" nicht bedachten, ist jedoch die Tatsache, dass es wahrscheinlich die Gäste von Lokalen wie dem Hakkasan sein werden, welche die Hochkultur der Sterneküche in Gefahr bringen könnten, und keineswegs der fremdländische Koch mit seinen ungewöhnlichen Ideen. Denn kaum hat man Platz genommen, fühlt man sich mit einem Male sehr fremd. Am Tische links sitzen zwei stoische Somalier, an der langgezogenen Tafel haben eine Gruppe junger Araber und ihre Gespielinnen Platz genommen, zwei Tische weiter kippen sich drei Herren aus dem Kaukasischen klaren Alkohol in ihre Gläser. Nur an einem der umliegenden Tische finden sich ein paar einheimische Briten.

Umverteilung des globalen Wohlstandes

Im Hakkasan wird also Praxis, was der indische Politologe Parag Khanna in einer Theorie schon schön beschrieben hat: der rasende Aufstieg der Schwellenländer von Satellitenstaaten zu ernsthaften Konkurrenten. Demnach ist dieser Aufstieg vor allem eine Umverteilung des globalen Wohlstandes, wie ihn die Linken der 1960er- Jahre immer eingefordert haben. Die Krise? Sie hat diesen Prozess nur beschleunigt.

Zu dieser Umverteilung gehört auch eine neue Gewichtung kultureller Parameter. In Metropolen wie London ist das derzeit ein wenig wie damals nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Arbeiterklasse begann, ins Theater zu gehen und ihre Kinder auf die Oberschulen zu schicken. So ganz unbeschadet elitär konnte die Hoch- und Bildungskultur da nicht mehr bleiben, was zu Phänomenen wie "Rock meets Classic"-Konzerten und unbekleideten Opernstatisten führte.

Ähnlich ist nun die Qualität der Haute Cuisine bedroht. Und das schmeckt man. Der "Crystal Dumpling" ist nicht besser als die Teigtäschchen aus Chinatown, die Ohrschnecke ist zu kaufest, die Garnelen in Lilienzwiebelsauce sind nicht mehr der Rede wert. Die Enttäuschung ist leicht zu erklären. Da ist zum einen der "Las Vegas Effekt": Kaum ein Sternekoch, der in einem der Hotels am Strip der Casinostadt nicht eine Filiale eröffnet hat. Doch selbst bei Alain Ducasse gibt es da nur noch Mittelmaß.

Nimmt man nun an diesem Abend im Hakkasan mal das Schlimmste an: Die Herren am Tisch links finanzieren somalische Piraten, die jungen Araber verpulvern die Petrodollars ihrer Väter, und die Kaukasier mit den in die Jeans gestopften Seidenpullis verschachern gerade die Ressourcen ihres Heimatlandes auf dem Schwarzmarkt. In allen drei Fällen ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Gäste über kulinarische Vergleichswerte verfügen, ähnlich gering wie bei den Vegas-Touristen aus dem amerikanischen und europäischen Hinterland.

Das Geldproletariat der Gegenwart

Schwerer wiegen an diesem Abend im Hakkasan jedoch die Getränkebestellungen. Die Somalier trinken Tee, die Araber Limonade, die Herren aus dem Kaukasus bestellen Fusel. So rechnet sich das nicht. Die Faustformel für ein profitables Lokal lautet: zwei Drittel Umsatz mit Alkohol, ein Drittel mit der Küche. In Sternelokalen verschiebt sich das noch einmal, weil jeder Stern enormen Mehraufwand bedeutet. Der lässt sich nur mit teuren Weinkarten finanzieren, nicht mit Tee und Fusel. Die Rechnung für elitären Genuss geht in der globalisierten Welt nicht mehr auf.

Kein Wunder, dass die meisten Sternelokale inzwischen in der Provinz zu finden sind. Da verirrt sich das Geldproletariat der Gegenwart nicht hin.

© SZ vom 16.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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