Pubertät:"Hilfe, ich erkenne mein Kind nicht wieder"

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Schwierig und dennoch notwendig: Jugendliche müssen sich in der Pubertät von den Eltern abgrenzen, um in ihr eigenes Leben zu finden. (Foto: morningside / photocase.com)

Jugendliche in der Pubertät stoßen ihre Eltern vor den Kopf und brauchen sie trotzdem. Für Väter und Mütter bedeutet das eine manchmal anstrengende Gratwanderung. Wie Sie Ihrem Kind nah bleiben, auch wenn es Sie zurückweist.

Von Eva Dignös

Sie wollen aufbrechen, sich lösen, ihr eigenes Ding durchziehen - gleichzeitig suchen sie doch immer wieder die Sicherheit der Familie. Jungen und Mädchen in der Pubertät stürzen nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Eltern in Verwirrung. Oft genug gerät die Beziehung aus den Fugen, Missverständnisse und Konflikte sind die Folge. Doch Eltern können es schaffen, auch in stürmischen Zeiten den Kontakt zu ihrem Kind zu halten. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Dass für Kinder in der Pubertät die gleichaltrigen Freunde als Gesprächspartner immer wichtiger werden, ist ganz normal. Dass Eltern trotzdem noch wissen wollen, was ihren Nachwuchs beschäftigt, ebenfalls. Diplom-Psychologin Elisabeth Raffauf ist überzeugt: "Gespräche zwischen Eltern und Kindern funktionieren dann am besten, wenn die Kinder echtes Interesse spüren." Bei der typischen Frage "Na, wie war's heute in der Schule?" sei das eher nicht der Fall. "Die Kinder merken schnell, ob die Eltern wirklich wissen wollen, wie es ihnen geht, oder ob sie vor allem an der Note in der Mathe-Schulaufgabe interessiert sind", sagt die Psychologin und Autorin, die in einer Erziehungsberatungsstelle arbeitet und Gruppen für Eltern pubertierender Jugendlicher leitet.

Die Folge: Die Kinder schweigen, die Eltern feuern eine Frage nach der anderen ab, die Kinder machen erst recht dicht. Der Rat der Expertin: "Offen fragen 'Wie geht es dir?', von sich etwas erzählen und sich offen halten für Situationen, in denen die Jugendlichen von sich erzählen." Denn wenn der Sohn oder die Tochter weiß, dass die Eltern zuhören, wenn es darauf ankommt, dann ist auch die Chance groß, dass sie sich an Vater und Mutter wenden, wenn sie echte Sorgen haben und Hilfe brauchen.

Familienberater Jan-Uwe Rogge hält Rituale für einen guten Weg, um miteinander im Gespräch zu bleiben. Das kann die gemeinsame Mahlzeit ebenso sein wie der Spieleabend oder der Sonntagsspaziergang. "Dafür bleibt im Tagesablauf oft leider keine Zeit", sagt der Erziehungsexperte. So ein Ritual muss nicht für alle Zeiten zementiert sein. Wenn die Jugendlichen "keinen Bock mehr" auf den Spaziergang mit Mama und Papa haben, kann man ihn beispielsweise durch ein gemeinsames Abendessen ersetzen. "Nur ganz wegfallen lassen sollte man die Rituale nicht", sagt Rogge.

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So schwer es in der Praxis oft auch ist: Durchatmen, kurz nachdenken und dann erst auf eine provokante Aussage zu antworten, nimmt einer Situation oft ihre Brisanz. "Man sollte nicht über jedes Hölzchen springen, das die Jugendlichen hinhalten", sagt Erziehungsberater Ulrich Gerth. Den Eltern müsse klar sein: "Sie entscheiden, in welchen Konflikt sie hineingehen."

Wenn sie sich allerdings dazu entschließen, den Streit auszufechten, dann ist eine klare Linie wichtig. Dazu gehört auch der Mut zum "Nein". "Eltern müssen bereit sein, Normen und Grenzen zu setzen", sagt Jan-Uwe Rogge. Mit Unnachgiebigkeit und Härte hat das nichts zu tun, sondern eher mit Berechenbarkeit - und mit der Bereitschaft, auch mal über Kompromisse zu verhandeln.

Doch was tun, wenn die vereinbarten Regeln nicht eingehalten werden? Sanktionen wie Computer-Verbot oder Weggeh-Verbot beeindrucken Jugendliche meist wenig. Erziehungsberater Gerth hält positive Konsequenzen für die bessere Alternative: "Wenn ein Kind zum Beispiel Verlässlichkeit beim Nachhausekommen zeigt, könnte man es belohnen, indem man die Uhrzeiten ausweitet."

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Auch wenn es manchmal nicht leicht fällt: In solchen Situationen nachtragend zu sein, hilft nicht weiter, sagt Diplom-Psychologe Gerth. Einen Streit abhaken zu können, sei ein Zeichen elterlicher Souveränität: "Eltern müssen ihre erzieherische Verantwortung annehmen und Zuwendung nicht davon abhängig machen, dass der Jugendliche nach einem Streit auf sie zukommt."

Gerade wenn solche Konflikte länger andauern, sei das für Eltern "eine ganz schwierige Situation", weiß Elisabeth Raffauf aus ihren Elterngruppen. Väter und Mütter sollten einerseits signalisieren: "So redest Du nicht mit mir." Und sich andererseits nicht gekränkt aus der Beziehung verabschieden oder ihrerseits das Kind "angreifen".

Gut tut es, wenn Mutter oder Vater mit ihrem Frust nicht allein sind: "Es ist immer hilfreich, wenn man seine Kinder zu zweit erziehen kann - denn dann können sich die Eltern in solchen Situationen auch mal gegenseitig trösten", sagt Ulrich Gerth. Vor allem dürften sie sich nicht persönlich unter Druck setzen, jede Situation perfekt beherrschen zu müssen.

Wenn Eltern nicht mehr weiter wissen oder ein Konflikt sich zuspitzt, sollte man sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Erziehungsberatungsstellen können helfen, eingefahrene Muster zu überwinden, neue Ideen zu bekommen und die Kommunikation wieder zu verbessern. Adressen finden Eltern unter anderem auf den Internet-Beratungsseiten der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, auf Stadtportalen oder bei kirchlichen Einrichtungen wie der Caritas.

Manchmal hilft auch einfach die Erinnerung an gute Zeiten. Denn - auch wenn man sie im Moment gelegentlich nicht wiedererkennt - es sind ja immer noch dieselben Kinder, mit denen man die Erinnerung an wunderbare Erlebnisse teilt. Und: "Die Pubertät geht vorbei - es wird auch wieder anders werden", sagt Gerth.

Jugendliche und ihre Eltern wirken einander äußerlich so nah, wie es in früheren Generationen unvorstellbar war: derselbe Kleidungsstil, dieselbe Musik, dasselbe Handy-Modell und in den sozialen Netzwerken ist man auch miteinander befreundet. Warum fühlen sie sich während der Pubertät dann trotzdem so fremd?

In der Pubertät wird das jugendliche Gehirn fit gemacht für das selbstständige Leben. Alle Zeichen stehen auf Autonomie und Ablösung von den Eltern. "Doch das Erwachsenenalter und das Jugendalter vermischen sich immer mehr", erläutert Ulrich Gerth: "Das macht die Abgrenzung für die Jugendlichen sehr schwierig. Aber genau diese Abgrenzung muss während der Pubertät geschehen."

Bald wird das Kind auf eigenen Füßen stehen: Das ist für viele Eltern nicht immer leicht zu akzeptieren. Denn die heranwachsenden Kinder machen ihnen bewusst, dass sie auch selbst älter werden. "Damit haben viele Eltern Schwierigkeiten", sagt Familienberater Rogge. Statt als Eltern treten sie als "Freund" ihres Kindes auf: "Doch das wollen die Jugendlichen nicht, sie wollen keine freundschaftliche, sondern eine Eltern-Kind-Beziehung", betont Rogge.

Der erste Urlaub allein, eine Ausbildung in einer anderen Stadt - wenn die Kinder die ersten Schritte ins Erwachsenenleben machen, ist das für die Eltern auch mit Ängsten verbunden. Wie können sie das Loslassen meistern?

Der entscheidende Faktor ist das Vertrauen. "Man lässt die Kinder ja nicht vom einen auf den anderen Tag los", sagt Erziehungsberater Gerth. Der Prozess beginnt lange vor der Pubertät. "Wenn unsere Kinder uns gezeigt haben, dass sie verlässlich sind, dann können wir ihnen auch vertrauen und sie Dinge allein machen lassen." Wenn sie allerdings nie die Chance hatten, eine solche Verlässlichkeit an den Tag zu legen, weil sie beispielsweise nie allein zur Schule gehen durften oder unbeobachtet mit Freunden spielen, dann fällt die Loslösung umso schwerer.

Drogen, Gewalt, Kriminalität. Manchmal nimmt das Leben von Kindern in der Pubertät Wendungen, die Eltern verzweifeln lassen und sie vor die Frage stellen: Kann ich jetzt noch zu meinem Kind stehen?

Eltern lassen ihr Kind nicht im Stich, wenn sie Hilfe von Experten holen - oder auch, wenn es sein muss, die Polizei einschalten: "Hilfe zu holen, ist ein Zeichen von Souveränität", sagt Jan-Uwe Rogge. Auch Elisabeth Raffauf stellt klar: "Wenn es gefährlich wird, müssen Eltern handeln." Das bedeute ganz und gar nicht, dass man das Band zu seinem Kind kappe - im Gegenteil: "Das signalisiert dem Jugendlichen auch: Ich interessiere mich für dich."

Wo bleibt eigentlich das Positive? Hat die Pubertät auch gute Seiten?

Auch wenn man es nicht immer merkt: "Pubertierende sind ein Geschenk", findet Familienberater Rogge, "denn sie leben uns Veränderungen vor. Eltern können von ihnen, von ihrer Anarchie, ihrer Bereitschaft, sich zu verändern, auch lernen." Und Elisabeth Raffauf gibt zu bedenken: "Die Kinder sind nie so unverstellt wie in dieser Zeit. Eltern dürfen daran teilhaben."

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