Eltern von Pubertierenden können ein Lied davon singen: Jugendliche schenken Vorschriften und sogar Gesetzen keinerlei Beachtung, häufig nur um völlig sinnlose und bisweilen gefährliche Dinge zu tun. Auch zeigen sie eine auffällige Neigung, mit Alkohol und anderen Drogen zu experimentieren. Gerade bei Jungen fällt eine erhöhte Risikobereitschaft auf, die zum Beispiel dazu führt, dass sie im Straßenverkehr besonders gefährdet sind.
Außerdem stürzen Kinder in der Pubertät Erwachsene ständig in Verwirrung, wenn sie zum Beispiel aus nichtigem Anlass völlig impulsiv reagieren oder in tiefe Melancholie verfallen, die am nächsten Tag einer hysterischen Begeisterung für schräge Idole weicht.
In der Pubertät, daran gibt es keinen Zweifel, verändert sich die Psyche der Kinder in einer Weise, die für Erwachsene kaum nachvollziehbar ist - jedenfalls solange sie versuchen, die Gründe und Motive der Jugendlichen aus einer rationalen Perspektive heraus zu begreifen.
Vielleicht fällt es leichter, damit umzugehen, wenn man sich Folgendes klar macht: Die Entwicklung des Gehirns erinnert während der Pubertät an eine Großbaustelle. Einzelne Teile müssen erst ihre richtige Form entwickeln, bevor sie sich in das Bauwerk einfügen. Und das geschieht nicht im gleichmäßigen Tempo: Die einzelnen Bauabschnitte werden unterschiedlich schnell mit der Umgestaltung fertig.
Die Geschlechtshormone lösen etwa ab dem zehnten bis zwölften Lebensjahr die körperliche Entwicklung zur geschlechtlichen Reife aus. Alle unsere Verhaltensweisen, die über Reflexe hinausgehen, hängen aber mit der Hirnstruktur zusammen, also mit der Organisation verschiedener Regionen des Gehirns, und den Prozessen, die darin ablaufen. Diese Struktur steckt auch den Rahmen ab, in dem sich unsere Persönlichkeit, unser Charakter, unser Ich-Bewusstsein und damit unser Verhalten im sozialen Umfeld entwickeln. Dies ist eine Folge unserer Evolution zum modernen Menschen mit seinem breiten, aber letztlich doch begrenzten Spektrum an Verhaltensweisen und -tendenzen. Es ist kein Wunder, dass sich im Laufe dieses Umbauprozesses auch das Auftreten der Jugendlichen ändert - manchmal auch für sie selbst unvohersehbar, und von einem Moment zum anderen.
Die Hirnregionen verändern sich unterschiedlich schnell
Wissenschaftlich ist der Umbauprozess noch nicht bis ins letzte Detail geklärt. Doch einigen wichtigen Schritten auf dem Weg vom Kinder- zum Erwachsenengehirn ist die Forschung inzwischen auf die Spur gekommen.
Zum Start der Pubertät etwa kommt es zu einer "Reifung" der grauen Substanz der Großhirnrinde, die von den Nervenzellen und den Synapsen gebildet wird. Von diesen Verbindungen zwischen den Nervenzellen werden etwa während der Lernprozesse in der Kindheit sehr viele ausgebildet. Bei Jugendlichen aber wird ein großer Teil wieder aufgelöst. Nur solche, die tatsächlich immer wieder verwendet werden, bleiben erhalten. Zugleich kommt es offenbar zu einem Ausbau der Nervenfasern, über die die Informationen zwischen den Nervenzellen nun schneller vermittelt werden. Dieser Ausbau führt zu einer Zunahme der sogenannten weißen Substanz.
Die Geschwindigkeit der Hirn- und damit der Denkprozesse - die Rechenleistung des Gehirns - wächst dadurch um ein Vielfaches. Die Jugendlichen entwickeln die Fähigkeit, genauso "schnell" zu denken wie Erwachsene.
Das gilt jedoch zu Beginn der Pubertät zuerst einmal für Hirnteile, die für die Kontrolle der Bewegungen, für die Wahrnehmung, die Orientierung und die Sprache gebraucht werden. Und aufgrund der Reihenfolge, in der sich die verschiedenen Regionen verändern, unterliegt das Verhalten der Jugendlichen zunächst noch besonders stark dem Einfluss des sogenannten limbischen Systems.
Dessen Arbeit hängt mit den Emotionen zusammen. Insbesondere dem sogenannten Mandelkern (Amygdala), der Informationen von Außen verarbeitet, fällt dabei offenbar eine wichtige Rolle zu. Ebenfalls starken Einfluss hat der Nucleus accumbens mit seinen Dopaminrezeptoren. Wird der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet, so kommt es zu Glücksgefühlen. Wir Menschen streben Umstände an, die diese Reaktion hervorrufen - ein gutes Essen, Treffen mit Freunden. Dazu gehören aber auch Situationen, die uns aufgrund des Risikos, das wir dabei eingehen, einen "Kick" oder einen "Thrill" geben. Das geht Jugendlichen genauso wie Erwachsenen. Und wir können diese Gefühle in der Realität erleben, aber auch über Filme und Videospiele auslösen.
Doch weil die Zahl der Dopaminrezeptoren bei Jugendlichen offenbar noch relativ klein ist, scheinen sie Situationen, die Erwachsene schon für aufregend halten, als wenig spannend wahrzunehmen. Sie brauchen stärkere Auslöser. Vermutlich lässt sich so eine gewisse Neigung zu Drogen- und Alkohol erklären. Rauschmittelkonsum führt zur Ausschüttung von Dopamin.