Probleme in der Vorpubertät:Die vergessene Generation der Lücke-Kinder

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Zur Altersgruppe der Zehn- bis 14-Jährigen gehören etwa 3,7 Millionen Kinder in Deutschland (Foto: Robert Haubrich; Count*0 / photocase.de)

Zu alt für den Spielplatz, zu jung für den Jugendtreff: Kinder zwischen zehn und 14 Jahren werden besser betreut als früher, passen aber trotzdem nirgendwo so richtig hin. Noch dazu müssen sie sich in einer Welt der Patchworkfamilien und des Cybermobbings zurechtfinden.

Von Ulrike Heidenreich

Schlüsselkinder - das waren die, die früher mit einem Haustürschlüssel am Lederband herumliefen. Von der Schule gingen sie nach Hause und wärmten sich das Mittagessen auf. Man wusste nicht, ob man sie beneiden sollte um ihre Selbständigkeit oder bemitleiden für ihr Alleinsein.

Die Schlüsselkinder gibt es nicht mehr - jedenfalls nicht mehr so viele wie in den 1960er- und 1970er-Jahren, als die Mütter anfingen zu arbeiten und die Nachmittagsbetreuung noch nicht erfunden war. Statt ihrer entdeckt die Forschung nun in der gleichen Altersgruppe als Nachfolgemodell die "Lücke-Kinder". Diese sind zehn bis 14 Jahre alt und auch irgendwo verloren. Zwar werden sie im Hort betreut, finden sich aber in einer Welt mit Internet und Drogen zusehends schwer zurecht.

"Analyse einer vergessenen Gruppe" - so haben Forscher vom Universitätsklinikum Ulm ihre Studie betitelt, die nun startet. Jugendpsychiater, Pädagogen und Bindungsforscher wollen zwei Jahre lang in die soziale Welt der "Lücke-Kinder" eintauchen, die zu alt für den Spielplatz sind und zu jung für den Jugendtreff.

3,7 Millionen Kinder

"In dieser Phase des Heranwachsens werden Weichen für eine gelingende oder weniger glückende Adoleszenz gestellt", sagt Teamleiter Jörg Fegert, der auch das Bundesfamilienministerium berät. Zur Lebenswelt der Zehn- bis 14-Jährigen gebe es kaum empirisch abgesicherte Aussagen. Immerhin gehören zu dieser Altersgruppe etwa 3,7 Millionen Kinder in Deutschland.

Um ihre Vorgänger, die klassischen Schlüsselkinder, hatte man sich nicht so viele Gedanken gemacht. Zwar ist dieser Ausdruck im westdeutschen Sprachgebrauch ähnlich negativ behaftet wie jener von der Rabenmutter. Doch die Schlüsselkinder kamen schon irgendwie klar, notfalls mit dem Dosenöffner.

"Natürlich werden die Kinder berufstätiger Eltern inzwischen nachmittags intensiver betreut", sagt die Ulmer Entwicklungspsychologin Ute Ziegenhain. Die Altersgruppe, die nirgendwo so richtig hineinpassen will, und von Forschern der "späten Kindheit" oder "Vorpubertät" zugerechnet wird, müsse heutzutage aber mit ganz neuen Problemen kämpfen.

Da sind zum einen die Familienstrukturen, die sich rasant verändert haben. "Wie finden sich die Kinder in Patchworkfamilien oder bei Alleinerziehenden zurecht? Mit wem setzen sie sich auseinander, wenn sie provozieren und cool sein wollen?", fragt Ziegenhain. In diese Phase des Übergangs fällt zudem der Wechsel von der Grund- auf eine weiterführende Schule.

"Die Phase ist sensibel"

"Es wird heutzutage mehr Leistung als früher verlangt, die Kinder sind oft überfordert." Das Internet, die Gefahr von Cybermobbing und der leichtere Zugang zu Rauschmitteln in Form von Designerdrogen mache die "Lücke-Kinder" zur gefährdeten Spezies; sie müssten früher als bisher Verantwortung übernehmen.

Bewusst berücksichtigt die Studie keine Kinder aus sozial belasteten Familien. Die Forscher wollen "ganz normale" Lebensläufe beleuchten und daraus Forderungen für eine bessere freizeitpädagogische Betreuung ableiten. Denn 80 Prozent der Kinder in Deutschland wüchsen unauffällig auf, so die Soziologen.

Sie schauen in jene Familien, in denen Eltern meinen, sich jetzt endlich entspannen zu dürfen, weil die Kinder aus den Babyschuhen heraus und die durchwachten Nächte vorbei sind. Dabei geht das Abenteuer jetzt richtig los. Ziegenhain: "Die Phase ist sensibel, denn jetzt müssen die Kinder mit sich ins Reine kommen."

© SZ vom 14.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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