Historie:Das Erbe der Philhellenen

Historie: General Georgios Karaiskakis vor dem belagerten Parthenon, der Held mit Pistole und weißer Flagge - eine Darstellung des deutschen Malers Georg Christian Perlberg.

General Georgios Karaiskakis vor dem belagerten Parthenon, der Held mit Pistole und weißer Flagge - eine Darstellung des deutschen Malers Georg Christian Perlberg.

(Foto: Museum des Philhellenismus, Athen (phmus.org))

Vor allem junge Deutsche unterstützten die Griechen von 1821 an in ihrem Freiheitskampf gegen die Türken. Bis heute bewahrt man in Athen die Erinnerung an die Abenteurer, von denen einige das Land nachhaltig veränderten.

Von Christiane Schlötzer

Tiefgrüne Pinienwälder und wie von Riesen aufgetürmte, schroffe Felsen, die Täler Abgründe ins Nichts. Das war nicht die liebliche Landschaft, die der junge Heinrich Treiber aus seiner Heimat in Thüringen kannte. In sein Tagebuch notierte er: "Wir sind früh aufgebrochen. Eineinhalb Stunden ging es bergauf ... dann wieder zweieinhalb Stunden bergab, bis der Weg erneut plötzlich steil nach oben führte. Gegen Mittag stoppten wir in Salona, der Ort war fast ganz zerstört."

Zu Beginn des Jahres 1822 hat der junge Arzt Heinrich Treiber ein Schiff im italienischen Livorno bestiegen, um nach Griechenland überzusetzen, und nun hockt er in einem Kaff in der Nähe des antiken Delphi und weiß nicht, wie es weitergeht: "Wir hatten keine Nachrichten von der Peloponnes, und die Türken sammelten ihre Truppen auf den Abhängen des Parnass-Gebirges."

Es ist Krieg in Griechenland. Der Aufstand gegen die Osmanen, die fast 400 Jahre lang das griechische Kernland besetzt halten, hat 1821 auf der Halbinsel Peloponnes begonnen, und ein Jahr später ist immer noch nichts entschieden. Aber was sucht ein 25-jähriger Deutscher dort zwischen zerlumpten, hungrigen griechischen Fußsoldaten? Der Sohn eines Hofapothekers, aus Meiningen im windgeschützten Werra-Tal. Ein junger Mann mit besten Karriereaussichten, der in Jena, Erlangen und Paris Medizin studiert hat.

"In Paris hat er von der Bewegung der Philhellenen erfahren", sagt Nikos Apostolidis, "und das Nächste, was wir wissen, ist, dass er von Italien zusammen mit 20 bis 25 Philhellenen aufgebrochen ist und nach Ägina kam." Nikos Apostolidis, 95 Jahre alt, ist ein Ururenkel jenes Heinrich Aloisius Treiber aus Thüringen, der sich für den griechischen Freiheitskampf gegen die Osmanen begeisterte. Treibers Porträt blickt aus einem Goldrahmen auf das Athener Wohnzimmer von Apostolidis. Vor dem Ölgemälde steht der Grieche nun sehr aufrecht, als würde er vor seinem Vorfahren Haltung annehmen.

Bemerkt man eine Ähnlichkeit in der Augenpartie der beiden Männer, der eine im grünen Uniformrock, der andere im rot karierten Kurzarmhemd, dann lacht Apostolidis und sagt: "Ja, wenn ich auch so einen Schnurrbart hätte." Apostolidis trägt einen kurzgestutzten Oberlippenflaum, der Schnäuzer seines Urahns erinnert an den Preußen Wilhelm II., der allerdings erst deutscher Kaiser wurde, als Heinrich Treiber schon sechs Jahre auf dem Protestantischen Friedhof von Athen ruhte.

Der Griechenland-Schwärmer aus Thüringen starb 1882 als hochdekorierter Medizinprofessor der Athener Universität und Generalarzt der griechischen Armee. Zeitweise war er auch Leibarzt des ersten griechischen Königs. Die Großmächte entschieden, die Griechen bräuchten nach der erfolgreichen Revolution einen Monarchen, dafür fand sich der erst 17-jährige Wittelsbacher Otto I. aus Bayern, der 1833 in Griechenland eintraf. Da führte Treiber schon kein Tagebuch mehr. Leider, denn der Arzt war ein sorgfältiger Chronist. Von seiner Ankunft in Griechenland 1822 bis 1828, ein Jahr vor Kriegsende, machte er fast täglich Notizen.

Historie: Nikos Apostolidis ist der Ururenkel des deutschen Medizinprofessors Heinrich Treiber, der Leibarzt des ersten griechischen Königs wurde.

Nikos Apostolidis ist der Ururenkel des deutschen Medizinprofessors Heinrich Treiber, der Leibarzt des ersten griechischen Königs wurde.

(Foto: Christiane Schlötzer)

"Die Einträge sind oft nur kurz, weil er meist unterwegs war, er hat sein Tagebuch immer mitgeschleppt", sagt Nikos Apostolidis. Dessen Vater Christos hat das Tagebuch aus der Sütterlinschrift in eine lesbare Form übertragen und ins Griechische übersetzt. 1960 wurde es auf Griechisch in Athen veröffentlicht, eine deutsche Fassung soll demnächst erscheinen.

"Mein Deutsch habe ich nicht von Treiber", sagt Apostolidis, "meine Mutter war auch Deutsche." Apostolidis ist Ingenieur, er hat in Bergwerken in den USA und in Griechenland gearbeitet. Nun ist er Witwer, Kinder hat er keine. Es wird also keinen Urururenkel von Treiber geben. Heinrich Treiber heiratete in Athen eine Halbgriechin, deren Vater aus Korsika kam. Von sechs Kindern dieser Ehe starben zwei in jungen Jahren. Ein Sohn, Bernhard Treiber, spielte in Athen später eine nicht unbedeutende Rolle, man wird das auf Suche nach den Spuren der deutschen Philhellenen später noch erfahren.

Die Kriegsfreiwilligen waren oft enttäuscht, das Land sah anders aus als in ihrer Vorstellung

Am ausführlichsten beschäftigte sich der junge Treiber in seinem Tagebuch mit den antiken Ruinen in Athen. Als er erstmals am Fuß der Akropolis steht, beschreibt er seine Eindrücke auf mehreren Seiten. "Da erkennt man, was ihn eigentlich hierhergebracht hat", sagt sein Nachfahre. "Die Philhellenen dachten ja, Griechenland sei wie in der Antike." Da hatten sich die europäischen Kriegsfreiwilligen gründlich getäuscht. Diejenigen, die es wieder nach Hause schafften, zeigten sich meist bitter enttäuscht, dass die Griechen des 19. Jahrhunderts nicht ihren an Goethe, Schiller und Hölderlin geschulten idealisierten Vorstellungen entsprachen.

Altphilologen wie der Münchner Friedrich Thiersch hatten die Begeisterung für den Freiheitskampf in der Ferne geschürt. Sie priesen ihn gar als Chance, eine "altheilige Schuld" abzutragen, für alles, was die Europäer den antiken Griechen verdankten, von der Philosophie bis zum architektonischen Geniestreich des Parthenon.

Von den 940 namentlich bekannten Freiwilligen, die sich für den militanten Philhellenismus gewinnen ließen, stellten die Deutschen mit 342 die größte Gruppe - und mit 142 die meisten Toten. Es folgten, mit Abstand, Franzosen und Italiener. Treiber hat seinem Tagebuch eine Namensliste beigefügt. Sie liest sich wie ein deutsches Städteverzeichnis, von Hamburg über Berlin, Mainz und Köln.

Bei aller Antikenbegeisterung, die Motive der Griechenlandfahrer waren doch unterschiedlich, wie der in Jena zum Doktor der Philosophie promovierte Franz Lieber bemerkte: Da gab es neben den "Idealisten" auch "bejahrte Leutnants, deren Beförderung gestockt hatte", Unzufriedene, "die Familie und Heimat verlassen wollten oder mussten", dazu "Abenteurer und Nichtsnutze". Franz Lieber verließ Griechenland 1822 schon nach wenigen Monaten wieder, in abgerissenem Zustand. Er klagte über Disziplinlosigkeit und eine allseits herrschende "Unordnung" in dem Land, das er zu befreien wünschte. Weil er auch in Deutschland die Freiheit nicht fand, die er suchte, zog er später nach Amerika. Im Amerikanischen Bürgerkrieg wurde Lieber Berater von Präsident Abraham Lincoln.

Von wenigen deutschen Griechenlandkämpfern ist so genau bekannt, was aus ihnen wurde. Einige Rückkehrer schrieben sich den Frust von der Seele, notierten im Nachhinein, was sie in Hellas vorfanden: schlecht bewaffnete griechische Kameraden, von denen viele eher die Flucht ergriffen, als sich im direkten Kampf mit dem überlegenen Feind sinnlos zu opfern, was einige Idealisten aus Germania zu erstaunen schien. Die Missverständnisse waren wohl beidseitig. Wenn die fremden Kämpfer Verpflegung und Transporttiere bei überrumpelten Bauern requirierten, kam dies auch nicht gut an. "Treiber hat selbst nicht gekämpft", sagt Apostolidis, "er hat Verwundete betreut."

Portrait of Lord Byron 1788 1824 dressed in Greek costume and with the Acropolis of Athens in the

Dichter, Idealist, Freiheitskämpfer: Porträt von Lord Byron (1788-1824) im griechischen Gewand.

(Foto: imago stock&people/imago/United Archives Internatio)

Darunter war auch das berühmteste ausländische Aufstandsopfer: der britische Dichter Lord George Byron, der über sich selbst sagte: "Ich bin ein Narr der Leidenschaft." Byron war ein glühender Philhellene, er hatte schon 1810 erstmals Griechenland besucht, war in den Orient gereist. Danach wirbt er für die Revolution und unterstützt sie von England aus mit Spenden, bevor er im Juli 1823 von Genua nach Süden segelt. Er landet auf Kefalonia, die Insel steht zu jener Zeit unter englischer Oberhoheit. Byron merkt früh, dass seine hellenischen Helden nicht einig sind, dass sie bereits in einen Bürgerkrieg schlittern. Er macht sich im Dezember schließlich in das von den Osmanen immer wieder belagerte Mesolongi auf. Doch bevor sich der zartbesaitete Poet ins Kampfgewühl stürzen kann, ringt ihn ein Fieber nieder.

Einstein und Brad Pitt in einer Person: Lord Byron, der Superstar

Zu den Ärzten, die ihn zu retten versuchen, gehört Treiber. In seinem Tagebuch notiert er: "18. April 1824: Griechisches Osterfest. Medizinische Beratungen wegen des kranken Lord Byron. 19. April: Am Morgen neue Beratungen." Byron stirbt am Nachmittag desselben Tages. Treiber hält die Uhrzeit fest: 5.30 Uhr. "Er hat zusammen mit einem Kollegen dann die Leiche Byrons einbalsamiert", sagt Apostolidis. Das Tagebuch dazu: "21. April: Wir beenden die Einbalsamierung. 2. Mai: Der Leichnam von Lord Byron wurde auf ein Schiff gebracht." Es wird den Toten nach England zurückbringen.

"Byron war ein Superstar, er war Einstein und Brad Pitt in einer Person", sagt der Grieche Constantinos Velentzas, der sein Leben den Philhellenen gewidmet hat, weshalb er die zweite Station auf dieser Spurensuche ist. Velentzas, im Hauptberuf IT-Unternehmer, empfängt in seinem jüngst eröffneten "Museum des Philhellenismus" in Athen: vier Stockwerke voller Revolutions-Devotionalien, Gemälde, Waffen, Dokumente. Velentzas fallen nur drei, vier Namen noch lebender Nachkommen der fremden Freiwilligen in Griechenland ein, Apostolidis schon mitgezählt. "Wir verdanken den Deutschen viel", sagt der Grieche, womit er wohl weniger die nicht so erfolgreichen Fußsoldaten meint, "die kamen, weil sie Perikles verehrten", sondern die Künstler im Gefolge von König Otto. Dessen Vater, Ludwig I., finanzierte den Aufstand sogar mit. "Die Osmanen zwangen auch weiße Frauen in die Sklaverei", sagt der Museumsgründer. "Das empörte die Europäer." Wobei sie die Sünden des europäischen Kolonialismus gerne vergaßen. Ludwig I. aus Bayern ließ Porträts der Revolutionäre im fernen Griechenland anfertigten, meist idealisierte Darstellungen, die bis heute omnipräsent sind, in griechischen Geschichtsbüchern und aktuell in den vielen Ausstellungen zu den 200-Jahr-Feiern des Aufstands.

Velentzas zeigt in seinem Museum (phmus.org) eines der bekanntesten Gemälde: General Georgios Karaiskakis vor dem belagerten Parthenon, der Held mit Pistole und weißer Flagge. "Weiß, weil seine Motive ehrenhaft sind." Der Maler Georg Christian Perlberg (1806 bis 1884) ging nach seiner Zeit in Griechenland an die Münchner Kunstakademie. Das Bild hing lange in einem deutschen Wohnzimmer, verschwand dann im Keller, bevor es Velentzas auf einer Auktion entdeckte.

Als die Revolutionäre mit ihren Feuersteinpistolen um den Parthenon kämpften, war Athen ein Nest mit 5000 Einwohnern. Heute leben in der griechischen Hauptstadt und ihren Vororten etwa fünf Millionen Menschen - jeder zweite Einwohner des Landes. Die Revolution brachte den modernen griechischen Staat hervor, und der zugereiste König Otto erklärte 1834 Athen zur Hauptstadt. Damit entstand ein ungeheurer Bauboom. Otto holte seine Lieblingsarchitekten Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner aus München. Aber bald wollten auch Privatleute prachtvoll bauen.

Einige der schönsten Bauten Athens stammen von einem Sachsen: Ernst Ziller

"Es gab Zuzügler aus kosmopolitischen Städten wie Alexandria, Konstantinopel, Bukarest, Odessa und St. Petersburg", sie schätzten einen repräsentativen Stil, sagt die Archäologin und Kunsthistorikerin Marilena Cassimatis. Sie hat das Leben eines Mannes erforscht, der zu einem stadtprägenden Gestalter wurde: Ernst Ziller aus Sachsen. Er kam als 24-Jähriger nach Athen und hinterließ bis zu seinem Tod mit 86 Jahren mehr als 500 Bauten. Cassimatis hat es von ihrer Wohnung im Athener Zentrum nicht weit zu einem der schönsten Ziller-Werke: der Villa für den Troja-Ausgräber Heinrich Schliemann, heute das Numismatische Museum.

Ziller war anfangs Assistent eines Stararchitekten: Theophil Hansen. Der prägte mit seinen an der griechischen Klassik geschulten Repräsentationsbauten, wie Börse und Parlament, erst Wien, bevor er und sein Schüler Ziller den Klassizismus nach Athen zurückbrachten. "Ziller kannte die Antike sehr gut", sagt Cassimatis, die das verschollene Archiv des Baumeisters in Athen wiederentdeckt hat. So stieß sie auch auf jenen Bernhard Treiber, den Sohn des Arztes Treiber, der den sterbenden Byron vor sich hatte. Bernhard Treiber arbeitete in Athen als Bauleiter für Hansen, aber auf einer Baustelle kam es zu Unregelmäßigkeiten. "Dieser Treiber war wohl ein Schurke." So schickte Hansen den jungen Ziller nach Athen, er sollte nach dem Rechten sehen. "So ein verrückter Zufall", sagt die Historikerin.

Ziller und Treiber - in Deutschland sind diese Auswanderer heute vergessen. "Vielleicht, weil wir die Wittelsbacher rausgeschmissen haben", sagt Cassimatis und lacht. König Otto musste 1862 nach einem Aufstand das Land verlassen. "Irgendwann wurden die Propyläen am Königsplatz in München vor allem mit Hitler verbunden", sagt die Historikerin. Ludwig I. hat sie als Denkmal für den Freiheitskampf der Griechen errichten lassen.

Hitlers Truppen haben später auch ihre Spuren in Griechenland hinterlassen. Sie kamen nicht, um Griechenland zu befreien, wie die Deutschen des 19. Jahrhunderts, sie hinterließen Leid, Hunger und Tod. Sie bauten nicht, sie zerstörten.

Die älteste noch in Gebrauch befindliche Begräbnisstätte Athens trägt den Namen "Erster Friedhof", sie ist nicht weit vom Zentrum entfernt. Politiker, Widerstandskämpfer und Künstler ruhen hier, der Literaturnobelpreisträger Giorgos Seferis und die Schauspielerin Melina Mercouri. Der protestantische Teil der Totenstadt ist von einer niedrigen Mauer umgeben. Katzen huschen über die weißen Marmorsteine und durchs trockene Gras. Hier finden sich endlich auch die Frauen, die sich früh nach Griechenland wagten. Zum Beispiel Bettina von Savigny, Tochter eines Juristen am preußischen Hof. Sie verliebte sich in einen Griechen, der in Berlin bei ihrem Vater studierte. Die Briefe Bettinas an ihre Eltern sind erhalten. Sie schildern die Härten des Lebens in dem jungen Staat, Wohnungsmangel, Kälte, Krankheiten. Schonungslos ist Savignys Urteil auch über den Hof, wo sie eine "empörende Parteilichkeit gegen die Griechen und für die Bayern" wahrnimmt. Diese Frau, mehr Realistin als Romantikerin, starb schon mit 30 Jahren - an einer Epidemie. Ihr Grab mit ionischen Rosetten wirkt immer noch gepflegt.

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