Pariser Modewoche:Mutig gegen Goliath

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Dries van Noten, Balenciaga, Rochas und Haider Ackermann: Bei den Schauen in Paris zeigen die kleineren Modehäuser Mutiges und so Schönes, "dass man danach gar nichts anderes mehr sehen möchte". Der Druck auf die Neuen bei Dior und Balmain wächst.

Peter Bäldle

Seit dem spektakulären Rauswurf von John Galliano als Chefdesigner bei Dior im März dieses Jahres hat sich die Pariser Modeszene merklich verändert. Auch andere Häuser trennen sich plötzlich von ihren exzentrischen Kreativstars und holen sich stattdessen No-Names ins Spiel: Designer, die wirklich kaum einer kennt. Die sind nicht nur billiger, sondern sie erfüllen auch klaglos die Vorgaben ihrer Chefs, wobei Verkäuflichkeit in Krisenzeiten an oberster Stelle rangiert. Dabei sind es doch gerade die unkonventionellen, gegen den Strich gebürsteten Kollektionen, die das Herz hüpfen lassen.

In Paris überzeugen die kleineren Modelabels - so wie Dries Van Noten mit bunten Fotoprints. (Foto: AP)

Der kommentarlose Abgang von Christophe Decarnin bei Balmain verwundert noch immer - noch überraschender aber war der plötzliche Abschied von Giles Daecon, einem Star der Londoner Szene, nach nur einer Saison bei Ungaro. Auf Chloés Hannah MacGibbon folgte Clare Waight Keller, von der man nur weiß, dass sie zuletzt Pullover für das Label Pringle of Scotland entwarf. Und der poetische Antonio Marras wurde bei Kenzo durch die gänzlich unbekannten Humberto Leon und Carol Lim ersetzt.

Nur gut, dass Dries Van Noten, der Belgier aus Antwerpen, sein eigener Herr ist. Mit einer seiner schönsten Kollektionen bisher eröffnet er diesmal die Pariser Designerschauen für Frühjahr/Sommer 2012. Dabei überrascht der Meisterkolorist, der wesentlichen Anteil daran hat, dass Farbe und Drucke wieder in Mode sind, mit Schwarz-Weiß-Kombinationen und grauschattierten Fotodrucken auf schlanken Kleidern, die er mal smaragdgrün, mal fuchsiafarben koloriert. Neu sind weite Trapezmäntel und Torero-Stickereien an Jacken, für die er sich von der großen Balenciaga-Ausstellung in San Francisco inspirieren ließ.

Es sind gerade die kleineren Häuser, die dem Pariser Schauenauftakt noch immer ein Feuerwerk an Kreativität bescheren. Für Rochas knüpft der ehemalige Versace-Chefdesigner Marco Zanini mit nostalgisch anmutender Fifties-Eleganz an die Tradition des einstigen Couturehauses an und zeigt durch schweren, pastellfarbenen Seidenduchesse, wie schön Glockenröcke auch heute noch schwingen.

Eher verwirrend hingegen ist die trashige Voodoo-Performance von Bernhard Willhelm in einer Galerie im Szeneviertel Marais, bei der fast trotzig zwischen provokanten Wegschnitten und zufälligen Drapierungen das Talent des schwäbischen Enfant terrible aus Ulm aufblitzt. Und mit Lady Gaga auf großer Leinwand im Hintergrund versucht Nicola Formichetti bei Mugler zu beweisen, dass er mehr kann, als sich exzentrische Kostümierungen für sie auszudenken. Mutig macht er sich an den schulterbetonten Entwürfen des einstigen Eighties-Stars Mugler zu schaffen, ohne aber deren Klasse zu erreichen mit Hilfe gerissener Säume und raffinierter Dékolletés.

Schmelzende Sitzplätze

Auch Nicolas Ghesquière provoziert, das erwartet man von ihm. Für Balenciaga zeigt er die kürzesten Shorts von Paris unter erstarrt wirkenden Jackenvolumen aus Seide und Neopren. Futuristisch wirken auch die steif abstehenden Collagenkleider, doch wirklich verblüffend sind seine präzise geschnittenen Denimhosen mit Bügelfalte und hohem Taillenbund zu Seidenblusen mit Schluppenschal.

Die Models balancieren auf hohen Absätzen über ein auch wirtschaftlich spiegelglattes Technoparkett, auf dem diesmal aber vor allem die Zuschauer zu Fall kommen. Aufgrund der ungewöhnlich hohen Pariser Oktobertemperaturen beginnt die Verleimung der Bänke zu schmelzen, weshalb Catherine Deneuve und Hollywood-Star Salma Hayek, die mit Balenciaga-Eigner François-Henri Pinault verheiratet ist, es vorziehen, die Schau im Stehen zu betrachten.

Die Erwartungshaltung bei Balmain ist in jeder Hinsicht hoch. Der erst 25-jährige Olivier Rousteing macht dann allerdings genau dort weiter, wo sein einstiger Chef aufhörte, also viel Sex, viel Glitzer und messerscharfe Schnitte. Nur das ungebändigte Rock'n'Roll-Feeling ist weg. Dafür sind die breitschultrigen Jacken, die Jeans und schenkelkurzen Tuniken noch perfekter verarbeitet, noch goldstrotzender und mit noch mehr funkelndem Strass bestickt. Auch wenn bodenlange Jeansröcke und gestutzte Cowboystiefel einen Hauch von Wildem Westen durch die Kollektion pusten, letzten Endes behalten doch Las Vegas und Liberace die Oberhand.

Zwischen Puppentaille und Mamas Kleiderschrank

Umso erstaunlicher ist angesichts all dessen der zunehmende Erfolg des erst 30-jährigen Guillaume Henry, der für das einst sehr konventionelle Couturehaus Carven eine junge, frische und auf den ersten Blick kreuzbrave Kollektion entwirft. Seine Inspiration ist eine Gratwanderung: Es sind jene Mädchen, die ihren Kinderkleidchen mit der leicht angehobenen Puppentaille zwar längst entwachsen sind, an denen aber elegante, wadenlange Futteralkleider aussehen, als hätten sie sie heimlich aus Mamas Kleiderschrank stibitzt. Dazu passen kleine, zugeknöpfte Krägelchen über unvermuteten Ausschnitten und Spitzenblenden, die Haut zeigen. Dazu: fröhliche Zickzacklinien, die den diskreten Charme der Bourgeoisie in Himbeere und Mimose kolorieren.

Das eigentliche Highlight aber sind Haider Ackermanns in Juwelenfarben schwelgende Draperien aus taftig schimmernden, ins Schwarz changierenden Seidenstoffen. Breitschultrige Männerjacketts zieht er über einen Hauch von Chiffon zu weiten, orientalischen Männerhosen, deren tiefe Falten schmal am Knöchel enden. Lila kombiniert er zu Mokka und Rubin, Türkis leuchtet neben Saphir, und Orange erhellt Olivgrün und Schwarz.

Dazu Männerschuhe im Pantoffelschnitt, bodenlange Morgenmäntel schaffen Dramatik. "Das ist so schön", sagt dazu Suzy Menkes, die Großkritikerin der Herald Tribune, "dass man danach gar nichts anderes mehr sehen möchte." Bei Chanel und Louis Vuitton werden sie sich anstrengen müssen.

© SZ vom 04.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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