La Boum:Der Angeber

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(Foto: Steffen Mackert)

Unsere Kolumnistin erfährt, wer in Paris einen Taschenaschenbecher hat. Und wer nicht.

Von Nadia Pantel, Paris

Ich weiß nicht, ob Sie Gefühle für einen Radiosender haben, aber die meisten Menschen, die ich in Paris kenne, haben starke Gefühle für FIP. Auf France Inter Paris, also FIP, läuft den ganzen Tag und die ganze Nacht nur Musik. Jetzt nicht sooo ungewöhnlich für einen Radiosender, aber bei FIP spielen sie Lieder, die man noch nicht kennt und trotzdem sofort mag. Als ich diese Woche nach einem zu späten Abendessen ein Taxi nahm und der Fahrer mich fragte, was ich hören will, sagte ich: "FIP!"

Was dann im Radio tatsächlich lief, kann ich Ihnen nicht sagen, weil der Fahrer interessanter war als die Musik. Es stellte sich heraus, dass er ein ziemlicher Angeber war, und ich hatte genug Wein getrunken, um das amüsant zu finden. Bei Angebern reicht eine kleine, freundliche Bemerkung und sie plustern sich sofort auf, in der Hoffnung auf größere, freundliche Bemerkungen. "Sie sind ja ungewöhnlich aufmerksam", sagte ich zum Taxifahrer, nachdem er mich die Musik aussuchen ließ. Und zehn Minuten später wusste ich, wo Claudia Cardinale wohnt, dass sie immer einen kleinen Taschenaschenbecher dabei hat und dass "die Leute nicht schlecht gestaunt" haben, als mein Taxifahrer mal mit Claudia Cardinale Zigaretten kaufen gegangen ist.

Als ich klein war, gehörte ich zu den Kindern, die nur wenig fernsehen durften, aber Western waren immer erlaubt. Daher stellte ich mir sofort Claudia Cardinale vor, wie sie zum Soundtrack von "Spiel mir das Lied vom Tod" die Seine entlang läuft, wunderschön und traurig aussieht und dabei Kette raucht. Das tut sie in "Spiel mir das Lied vom Tod" zwar nicht, aber einen Taschenaschenbecher kauft man sich ja nicht ohne Grund. Einen Taschenaschenbecher zu kaufen, gehört zu den höflichsten Gesten in einer Großstadt. Da ist man Claudia Cardinale und trägt brav seine Zigarettenstummel in der Manteltasche herum.

Der Taxifahrer war davon auch beeindruckt - "ganz tolle Frau". Er fuhr einen Umweg, um mir sowohl sein Haus als auch das von Claudia Cardinale zu zeigen. Das Haus vom Taxifahrer war aus rotem Backstein, in dem von Claudia Cardinale war unten ein Bankautomat drin, beide waren direkt gegenüber der Île Saint-Louis. "Wäre ich nicht Taxifahrer, wüsste ich gar nicht, dass Claudia Cardinale meine Nachbarin ist!"

Man wird übrigens, so erklärte es mir der Taxifahrer, zum Lieblingschauffeur von berühmten Leuten, indem man seine Kunden immer die Musik aussuchen lässt. Und man wird zur Lieblingskundin, wenn man nicht sagt: "Fahren Sie mich bitte einfach nach Hause, ich glaube Ihnen eh nicht, dass Sie der Nachbar von Claudia Cardinale sind." Zum Abschluss erzählte mir der Taxifahrer, wie er bei der Taufe von Vincent Bollorés Enkel dabei war. Wenn Sie nun nicht wissen, wer Vincent Bolloré ist, dann haben Sie das Glück, dass Sie nicht den französischen Wahlkampf verfolgen müssen. Sagen wir es so: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vincent Bolloré einen Taschenaschenbecher hat.

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