La Boum:Gar nicht harmlos

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(Foto: Steffen Mackert)

Unsere Kolumnistin soll am Strand eine fremde Frau fotografieren - und fragt sich: Hätte Joan Didion das auch gemacht?

Von Nadia Pantel

"Haha, keine Sorge", sagte ich zu der Frau. Ich dachte, sie hätte zu mir gesagt, ich solle bitte kein Foto von ihr machen. Neben mir baute mein Sohn eine Sandburg, es waren gerade Herbstferien. Auf dem Weg zum Meer hatten wir an der Loire gehalten und brav eines der Schlösser besichtigt. Das Kind arbeitete nun an einer "Mauer, wo Ritter draufstehen und heiße Suppe runterkippen". Ich dokumentierte sein Gebuddel und merkte dann, dass sich im Bildhintergrund eine Frau auszog. Nur, anders als ich es gehört hatte, bat sie mich darum, sie zu fotografieren. "Pardon?", fragte ich. Sie gab mir ihr Handy. "Ich geh jetzt schwimmen, können Sie Bilder machen? Für meinen Mann?"

Während sie aus ihrer Hose stieg, sagte sie mir ihre PIN-Nummer. Sie lautete 1078. "Falls sich das Display sperrt." Sie watete in den Atlantik, 17 Grad, ich hatte einen Schal um. Ihre Wangen glühten, sie war gerade joggen gewesen. Auf den Fotos, die ich von ihr machte, war groß mein Schatten zu sehen, weil die Sonne so herbstlich niedrig stand. Weil mir das leid tat, winkte ich ihr zu, als sie schon weit rausgeschwommen war, damit sie noch ein Foto von sich hatte, auf dem sie zurückwinkt. Und dann schwamm sie noch weiter raus. Mir war es nach zehn Minuten zu blöd, ihr Handy zu halten, und ich legte es in ihren Schuh.

Wie ist es, wenn einen alle für harmlos halten?

Und dann dachte ich darüber nach, wie es ist, wenn einen alle für vollständig harmlos halten. Ich dachte an das Zitat der großen Journalistin und Schriftstellerin Joan Didion, das ich eigentlich nicht extra für diesen Text googeln wollte, wegen der Herbstferien, das ich dann aber doch am Abend im Bett nachschaute. In meiner Erinnerung sagte Didion so etwas wie: "Menschen unterschätzen mich, weil ich so klein bin." Tatsächlich sagte sie es natürlich viel besser: "Menschen neigen dazu, zu vergessen, dass meine Anwesenheit ihren Interessen zuwiderläuft." Didion hat unter anderem Hippies dabei zugeschaut, wie sie ihre Kinder Orangensaft mit LSD trinken lassen und diese Szene dann später als "Gold" bezeichnet.

Didion hätte der Frau vermutlich nicht gewinkt. Aber vielleicht hätte sie auch das Handy halten müssen. Wo ich im Kopf schon bei Didion war, blieb ich dort noch ein wenig. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass sie jeden Morgen mit einer kalten Diet Coke beginnt. Ich stellte sie mir dabei mit einer Sonnenbrille in ihrer Küche vor, Mann und Kind respektvoll schweigend daneben. Genau genommen stellte ich mir mich mit einer Sonnenbrille in der Küche vor, Mann und Kind respektvoll schweigend daneben.

Wobei eine Freundin mir kürzlich erklärte, das Zusammenleben mit Kleinkindern werde einfacher, wenn man sich vollständig auf sie einlasse. Statt Sonnenbrille also mitkneten, mitmatschen, mittrödeln. Um auf Kindergeschwindigkeit zu kommen, empfahl sie Microdosing. Also den Konsum sehr geringer Mengen psychoaktiver Drogen. Das machen jetzt angeblich alle so. Es klang irgendwie besser, als Kindern LSD zu geben, aber gleichzeitig auch wie etwas, bei dem man sich nicht von Joan Didion erwischen lassen sollte.

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Paris-Kolumne
:La Boum

Nadia Pantel ist SZ-Korrespondentin in Frankreich. Über ihr Leben in Paris schreibt sie jeden Freitag die Kolumne "La Boum". Hier gibt es alle bisher erschienenen Folgen zum Nachlesen.

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