Kolumne: Vor Gericht:Karierter Kanzler

Lesezeit: 2 min

Manchmal mag er auch die Bühne: Olaf Scholz, hier auf einer Wahlkampfveranstaltung in München 2021. (Foto: Stephan Rumpf)

Bevor Olaf Scholz Politiker wurde, arbeitete er als Anwalt in Hamburg. Und legte damals durchaus bemerkenswerte Auftritte hin.

Von Ronen Steinke

Als Olaf Scholz im Jahr 1987 vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein - laut Protokoll - nicht in einem weißen Hemd, sondern "in einem grün-weiß karierten Hemd ohne Krawatte" erschien, wäre er beinahe von der Verhandlung ausgeschlossen worden. Scholz war noch ganz jung. Er war erst seit zwei Jahren Anwalt. Und der Verstoß gegen die Kleiderordnung war auch nicht Ausdruck einer Punk-Attitüde. An Arbeitsgerichten geht es meist weniger förmlich zu. Da kann man bei der Kleiderordnung schon mal durcheinanderkommen.

Aber Scholz' damaliger Chef, der Hamburger Arbeitsrechtler Klaus Bertelsmann, fand es so lustig, dass er das Protokoll über den Fauxpas dieses Berufsanfängers aufgehoben hat. Er hat viele Jahre für Gewerkschaften und Betriebsräte gekämpft und seine Kanzlei inzwischen altersbedingt geschlossen, weil ihm das lieber war, als sie in die Hände von jüngeren Anwälten zu übergeben, die nicht mehr exklusiv für die kleinen Leute kämpfen würden. Der junge Kollege Scholz, so findet er heute lakonisch, habe sich ja "beruflich verschlechtert".

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Der heutige Kanzler arbeitete als Anwalt, bis er 1998 in den Bundestag einzog. "Arbeitsrecht war damals nichts, womit man Geld verdienen konnte", sagt der inzwischen im Ruhestand befindliche Hamburger Kollege Stefan Lunk. Die Anwälte in der Stadt kannten sich, und wenn man heute die älteren nach Scholz fragt, hört man meist Anerkennung: Er sei einfach "wahnsinnig gut vorbereitet" gewesen, wenn er zu einer Verhandlung erschien, erinnert sich der Anwalt Wolfgang Pütz. "Zack, Tasche auf, Akte raus." Und persönlich? Scholz, das sei jemand gewesen, der anderen auch mal "schwallartig" die Rechtslage erläutern konnte.

"Im Arbeitsrecht ging es damals krawalliger zu", sagt ein Richter, der mit Scholz in dieser Zeit ein paar Mal zu tun hatte, vor allem bei Schlichtungsgesprächen. Helmut Nause, der spätere Präsident des Landesarbeitsgerichts Hamburg, erinnert sich an die vielen Stunden, die sie in einem Sitzungsraum eines Elektrokonzerns verbrachten, der - gegen den Protest des Betriebsrats - seine Kantinenmitarbeiter vor die Tür setzen wollte. Scholz war "nicht gerade ein Charmebolzen", erinnert sich Nause, "aber er hatte Ahnung, und er hat gekonnt sein Ziel verfolgt". Als der Konzern nicht nachgeben wollte, machte Scholz ihn mit einer Verzögerungstaktik mürbe. Aussitzen. Das konnte er.

Scholz' eigene Kanzlei, die er 1990 gründete, gibt es heute noch. "Zimmermann, Scholz & Partner" findet man hinter dem Hauptbahnhof, in Hamburg-St. Georg. Unten ist ein Imbiss, nebenan eine Tankstelle. Auf der Website wird Scholz noch immer als Anwalt geführt, allerdings findet sich dort auch der Hinweis: "Rechtsanwältin Gabriele Zimmermann aus unserer Kanzlei ist gemäß Paragraf 47 Absatz 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung zu seiner Vertreterin bestellt." Die Vertreterin des Bundeskanzlers ist für Nachfragen nicht erreichbar.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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