Wenigstens sind da die 148 800 Euro, auch wenn sonst nicht viel geblieben ist. Vor allem niemand, der sich noch für dieses Leben interessiert, also streift Sybille Wolf-Mohr die weißen Handschuhe über und beginnt, in dem fremden Dasein zu graben. Niemand ist mehr da, der liebt, der verachtet, ja, nicht einmal mehr jemand, dem die Verstorbene einfach nur gleichgültig ist, also beginnt Wolf-Mohr zu suchen, in diesen drei Kisten. Ziemlich mickrig sieht er aus, der Rest eines Lebens. Neun Jahrzehnte, zusammengefallen zu ein paar Packen Papier, abgestellt in einem Archiv. Mit Füllfeder niedergeschriebene Worte, Eintrittskarten zum Sonatenabend, zwei Mark das Stück. Das ist alles, was geblieben ist. Ein bisschen Kram und viel Geld.
Doch selbst um die 148 800 Euro schert sich niemand mehr, sonst säße Sibylle Wolf-Mohr nicht hier in diesem kargen Lesezimmer und würde mit dem Finger Zeile für Zeile vergilbtes Papier abtasten. Wolf-Mohr, 49, sieht nicht unbedingt aus, wie man sich eine Detektivin so vorstellt, mit ihren Lackschuhen, der Anzughose, den Bügelfalten. Eher wie eine Maklerin für Luxusimmobilien, wie sie da am Besuchertisch klebt, filigrane Ringe an den Fingern; elegant, nicht protzig.
Aber mit Wohlstand hat ihre Arbeit ja auch zu tun, schließlich beginnt sie erst nach Erben zu fahnden, wenn es um viel Geld geht, mindestens 25 000 Euro sollten es schon sein. "Ich will und muss ja auch verdienen", sagt Wolf-Mohr, hievt ein weiteres Stück vergangenes Leben auf die Tischplatte. Es dauert Jahre, bis sie die Menschen gefunden hat, von denen sie zu Beginn nicht einmal weiß, ob es sie gibt. Jahre, bis sie verdient.
Erben ist schön. Erben ist ungerecht. Erben verpflichtet. Erben befreit. Nichts verändert Deutschland in den kommenden Jahren so stark wie die Milliarden, die von einer Generation an die nächste gehen. Was das Erben mit uns macht - ein Themenschwerpunkt der Volontäre der Süddeutschen Zeitung.
Wolf-Mohr ist eine von wenigen Hundert Erbenermittlern in Deutschland, für diesen Beruf gibt es keine Ausbildung, keinen Abschluss. Auch deshalb streifen immer wieder windige Gestalten durch die Nachlassgerichte, doch Erben zu prellen, das funktioniert vielleicht zweimal, dreimal. Dann bleiben die Aufträge aus. Wolf-Mohr dagegen sucht und findet schon seit mehr als fünfzehn Jahren Erben, hat den Beruf von ihrem Vater geerbt. Die Profession wird immer wichtiger in einer Welt, in der sich die Bande vieler Familien über Länder und Kontinente hinweg spannen.
Die Ermittler erhalten die besonders komplizierten Fälle
Denn wenn ein Mensch stirbt und da niemand ist, der Anspruch auf sein Erbe zu haben scheint, fällt sein Besitz dem Staat zu. Die Frist beträgt 30 Jahre, in all diesen Jahren kann ein vergessener Neffe das Vermögen noch einfordern. Die mehr als 650 Nachlassgerichte im Land, angesiedelt bei den Amtsgerichten, prüfen die Fälle deshalb ziemlich genau. Sie beauftragen in der Regel einen Nachlasspfleger, der verkommene Wohnungen durchsucht, auch nach Hinweisen auf Verwandte. Wenn dieser Pfleger aber keinen Erben ausmacht, keine Tante, keinen Sohn, gibt er den Fall an private Ermittler ab.
Wie heute mal wieder, in diesem Büro in der Münchner Innenstadt, zehn Minuten Autofahrt vom Archiv. Der Nachlasspfleger, die Haare zurückgegelt, die Stimme hoch, schiebt eine Akte über seinen Tisch. "Ich entschuldige mich jetzt schon bei Ihnen", sagt er, "aber die Fälle müssen gemacht werden, auch wenn sie nerven." Er klatscht in die Hände und zieht die Augenbrauen nach oben, ha, er ist die Sache jetzt los.
Eine Münchnerin hat in ihrem Testament erlassen, Teile ihres Vermögens der Nichte in Georgia, USA, zu vermachen, allerdings ein paar Details vergessen. Sybille Wolf-Mohr schlägt den Ordner auf, blättert durch den Zellulosehaufen, tatsächlich, nicht mehr vermerkt als der Name. Kein Geburtsdatum, keine Adresse. Das passiert oft, sagt Wolf-Mohr und schüttelt den Kopf. Anfängerfehler. Sie klemmt die neue Akte unter ihren Arm, der Nachlasspfleger nickt, Handschlag, bis bald - als hätte sie nicht schon genug solcher Akten zu Hause in der Provinz.