Little Britain:Die Deutschen und der Hochentaster

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Der Westfalica-Katalog flog bei unserem Autor stets direkt ins Altpapier. Seit er jedoch in London wohnt, hat er eine Schwäche für ihn entwickelt. Aus der Ferne gibt er plötzlich Aufschluss über die Deutschen. Und zwar mehr, als einem Deutschen lieb sein kann.

Christian Zaschke

Seitdem meine Frau einmal irgendein Werkzeug bei einem Versandhandel namens "Westfalia" bestellt hat (es war, glaube ich, ein Geschenk, allerdings nicht für mich), bekommen wir alle paar Wochen den aktuellen Katalog zugeschickt. Ich habe ihn jahrelang ungelesen ins Altpapier befördert. Seitdem er mir jedoch dank Nachsendeauftrags nach London folgt, habe ich eine Schwäche für ihn entwickelt.

Auch so kann man beim Baum nach oben kommen. Und danach geht's ab zum spirelliertem Gemüse. (Foto: dpa)

In den Stunden, die ich mit der Lektüre verbringe, liegt ein Lächeln auf meinen Lippen, und ich denke fast zärtlich ans ferne Deutschland. Das liegt daran, dass der Westfalia-Katalog das Bild eines aufs angenehmste bekloppten Volkes zeichnet.

Die Firma verschickt nach eigenen Angaben täglich 10.000 bis 15.000 Lieferungen, also einige Millionen im Jahr. Das wiederum heißt, dass der Katalog etwas darüber erzählt, was die Deutschen sich nach Hause liefern lassen, was sie mögen, brauchen und vermutlich tatsächlich benutzen. Der Deutsche, so entnehme ich dem Katalog, hüllt seine Füße in "COOLMAX Funktionssocken mit Silberfaser gegen Fußgeruch". Mit dem Spiralschneider "Spirelli" (ultrascharfer, japanischer Klingenstahl) zaubert er im Nu Endlosschleifen aus Möhren, Rettich und Gurken.

Und mit dem Elektro-Hochentaster für 89.99 Euro . . . stimmt, ich habe beim ersten Lesen auch gedacht, dass ich auf gar keinen Fall wissen will, was genau diese Maschine wann und wo elektrisch betastet. Auch der Hinweis auf den "kraftvollen 850-Watt-Motor" und die "automatische Kettenschmierung" ließ mich das Schlimmste befürchten. Nicht ohne Grund, dachte ich, werden die etwas härter zupackenden Varianten des sexuellen Betastens hierzulande als "German" bezeichnet (in Deutschland hingegen als "Englisch", was einiges sagt über das Verhältnis von Deutschen und Briten).

Um diesen Themenkomplex nicht zuletzt der jungen Leute wegen (und ob meiner notorischen Verklemmtheit) nachgerade ruckzuck zu verlassen: Es handelt sich beim Hochentaster um einen Hoch-Entaster (die fast noch schönere Kopplung wäre: Hochent-Aster); er ermöglicht "sichereres und müheloses Sägen in bis zu 4 m Höhe", ist aber natürlich auch beim Entasten am Boden das Gerät der Wahl.

Menschen, die in fußgeruchsverhindernden Funktionssocken entasten und sich anschließend an spirelliertem Gemüse gütlich tun (oder umgekehrt) - das sind meine Landsleute. Könnte man den Westfalia-Katalog ins Englische übertragen, würden die Deutschen umgehend zum Lieblingsvolk der Briten. Es ist daher besonders bedauerlich, dass ein Wort wie Entasten sich allen seriösen Überset-zungsversuchen beharrlich entzieht.

© SZ vom 03.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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