La Boum:Der Zettel

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(Foto: Steffen Mackert)

Im Innenhof unserer Kolumnistin gibt es eigentlich nur Mülltonnen und eine Katze. Doch auf einmal liegt da ein Liebesbrief.

Von Nadia Pantel

Die netteste Nachbarin der Welt hat bei uns im Innenhof einen Zettel gefunden. Weil ich gerade nicht in Paris bin, hat sie ihn für mich abfotografiert. Das klingt jetzt so, als hätten meine Nachbarin und ich Kissen auf unsere Fensterbänke gelegt, um unsere Ellbogen zu schonen, während wir von früh bis spät den Innenhof ausspionieren. Ich persönlich würde gerne ein paar Tage nur aus dem Fenster schauen, aber ich bin noch in dieser Lebensphase, in der man eher rennt als sitzt. Meine Nachbarin hat den Zettel einfach fotografiert, weil er so schön ist.

Auf ihm steht Folgendes: "Kleine Liebe, heute schläfst du sehr fest, du bist sehr schön. Du verdienst einen langen, ruhigen Schlaf. Ich liebe dich mehr denn je, ich werde die kommenden drei Tage damit verbringen, nur an dich zu denken... Mein Frieden, du wirst mir fehlen." Das alles auf ein kleines kariertes Papier gequetscht, mit lila Filzstift geschrieben. In meinem Leben habe ich bislang nur einmal etwas gefunden, das einem Liebesbrief ähnelte. Es war ein Post-it, das im Regionalexpress Freiburg-Orschweier herumlag. "Blumen für Hilde", stand da schwarz auf gelb, dazu eine Blumenzeichnung.

Wie konnte dieses kleine Stück kariertes Papier so viel Liebe aushalten, ohne direkt in Flammen aufzugehen?

Die lila Zeilen waren nun natürlich viel aufregender als Hildes Blumen. Es ist nicht so, dass unser Innenhof langweilig wäre. Die Bewohner von 40 Wohnungen bringen da ihren Müll hin, es ist also immer etwas los. Hinter den Mülltonnen ist ein vergittertes Fenster, durch das man einem Koch dabei zusehen kann, wie er Gemüse in einen Wok wirft, das später in einem angemessen schlecht besuchten Imbiss serviert wird. Außerdem wohnt im Innenhof der Kater Diego, der davon träumt, in einen anderen Innenhof zu ziehen, wo mehr Katzen leben, der aber nach jedem Fluchtversuch von seinem Besitzer wieder eingesammelt wird. Was wir nicht wussten, ist, dass irgendwo hier im Innenhofland etwas Großes begonnen hat. Dass zwei Menschen die Welt um sich herum stummgeschaltet haben, um nur noch zu lieben und zu schlafen.

Weil ich nicht allzu indiskret sein will, habe ich unseren Innenhof-Liebesbrief für Sie gekürzt. Ein Wort will ich aber noch erwähnen: "ma beauté". Meine Schönheit. Nur dass in Lila ein kleines "s" an die "beauté" gehängt wurde. Das "s" ist mehrfach unterstrichen, es ist kein Zufall. Die französische Sprache reagiert streng, sobald ein "s" auftaucht. Aus der einzelnen Schönheit werden "Schönheiten" und eigentlich müsste sich daran auch das Possessivpronomen anpassen: "mes beautés". Aber Liebesbriefe sind nicht streng. Das Possessivpronomen sagt "ma", also Einzahl. Dich, Geliebte, gibt es nur ein Mal. Doch du füllst mich so aus, dass man deine Schönheit nur im Plural erfassen kann. Ich weiß gar nicht, wie dieses kleine Stück kariertes Papier so viel Liebe ausgehalten hat, ohne direkt in Flammen aufzugehen. Oder vielleicht ist es in Flammen aufgegangen? Kurz nachdem sie es entdeckt hatte, erzählt meine Nachbarin, war es verschwunden.

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Paris-Kolumne
:La Boum

Nadia Pantel ist SZ-Korrespondentin in Frankreich. Über ihr Leben in Paris schreibt sie jeden Freitag die Kolumne "La Boum". Hier gibt es alle bisher erschienenen Folgen zum Nachlesen.

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