Kolumne: Vor Gericht:Marmor

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(Foto: Steffen Mackert)

Das größte Strafgericht Deutschlands ist das in Berlin-Moabit. Es ist in jeder Hinsicht einschüchternd.

Von Ronen Steinke

Es hallt. Der Boden ist aus Marmor. Über der riesigen Eingangshalle des Strafgerichts in Berlin-Moabit mit ihrer spektakulär geschwungenen Treppe wachen in Stein gehauene Figuren - und blicken herab auf die kleinen Sünder, die im Vergleich zu ihnen Zwerge sind. Schon die Bauweise soll dem Menschen hier Demut einschärfen. Das war die Idee der Architekten an der Wende zum 20. Jahrhundert.

Wer heute als Bürger in dieses größte Strafgericht der Republik muss, etwa wegen eines Diebstahls, einer Körperverletzung oder auch eines Vorwurfs, der sich als falsch entpuppt, der betritt eine Kulisse, in der Angeklagte die längste Zeit über ihren Prozess im Stehen verfolgen mussten und nicht mit Namen angeredet wurden, nur als "Angeklagter". Die Paragrafen in der Strafprozessordnung sind heute anders, klar. Der Bühnenbau nicht unbedingt.

Das beginnt schon an der Pforte, die jeder passieren muss. Dort hängt schweres Eisengeschmiede über den Köpfen aller Eintretenden. Dazu eine pechschwarze Interpretation der antiken Gerechtigkeitsgöttin Justitia, die sich ihrem Gesichtsausdruck nach nicht recht entscheiden kann, ob sie die eintretenden Sünder fressen oder ihnen einfach nur den Kopf abreißen möchte.

An der Seite des Gebäudes: Eine riesige wuchtige Messingskulptur

Sodann im Inneren: Sitzt man in den Gerichtssälen, sind manche durchaus modern. Mit Teppich und Kunststoff. Es sei denn, der Blick schweift nach draußen aus dem Fenster. An der Seite des Gebäudes steht eine wuchtige Messingskulptur: Ein Löwe, der mit einer Schlange ringt, die Pranke drückt den Kopf des fauchenden Reptils auf den Boden. Das soll den Kampf gegen das Unrecht darstellen. Morituri te salutant.

So sieht es heute nicht mehr in allen Gerichten aus. Neuere haben oft Treppengeländer in bunten Farben, wie Siebzigerjahre-Gesamtschulen. Am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, dessen Neubau erst vor ein paar Jahren eingeweiht wurde, ist alles hell, gläsern, holzgemasert. Es geht dort um die schwersten Verbrechensvorwürfe, die man sich denken kann, Völkermord, Kriegsverbrechen, diese Liga. Aber auch dort sind die Angeklagten unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils, ziemlich oft sogar werden sie freigesprochen. Diese Vorstellung wirkt nicht einmal abwegig, wenn man am Eingang des Gerichtshofs einen türkis schimmernden künstlichen Teich überquert, der nicht wirkt wie ein Burggraben, sondern eher wie der Appell: Cool down.

Zurück von der Den-Haag-Dienstreise nimmt man wieder das Fahrrad nach Moabit, verliert sich auf der Suche nach einem bestimmten Gerichtssaal irgendwo in einer dunklen Marmor-Wendeltreppe. Und entdeckt dort unter einem großen Rauchen- verboten-Schild ein vergilbtes Papier: Angeklagte, die in ihrer Prozesspause eine rauchen wollen, bittet man in den Galgenhof.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten.

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