Kolumne: Moment mal:Öffentliche Katharsis

Unser Bild der Woche: Boris Becker im Exklusiv-Interview bei Sat 1, München, 20. Dezember 2022

Von Tanja Rest

Nach dem Willen des Boulevards hat ein Heldendrama notwendig aus drei Akten zu bestehen. Aufstieg, Fall, Katharsis - eine höchst wechselhafte Lebensreise also, in deren Verlauf sich eines lediglich nicht ändern darf: Der Held muss bereit sein, von sich zu erzählen, denn sonst hätte außer ihm ja keiner was davon. Der frühere Tennis-Star Boris Becker ist wahrscheinlich der Deutsche, der diesem Heldenbegriff am nächsten kommt. Andere (Jan Ullrich) haben die Katharsis verweigert, manche (Steffi Graf) sogar den Fall. Becker aber hat bereits die ersten beiden Akte mit einem Übereifer durchexerziert, der einem den Atem verschlug, vom 17-jährigen Leimener zum Häftling mit der Nummer A2923EV. Nun, am Dienstag dieser Woche bei Sat 1, schlug er die erste Seite des dritten Aktes auf; 1,55 Millionen Menschen sahen ihm dabei zu. Das Katharsis-Skript sieht vor, dass der gefallene Held die Schwere seiner Schuld einräumt (tat er). Es verlangt außerdem, dass er seine Verfehlungen mit Tränen des Elends und der Scham begießt (tat er). Am wichtigsten aber ist, dass er sich als Lernender zu erkennen gibt - denn wo kämen wir da hin, wenn der ganze Mist am Ende nicht auch für was gut wäre? Also sprach Becker: "Ich habe den Menschen in mir wiederentdeckt, der ich einmal war. Ich habe eine harte Lektion gelernt. Das Gefängnis war gut für mich." Für seinen weiteren Lebensweg wünschen wir ihm Frieden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kolumne: Moment mal
:Keep cool and carry on

Unser Bild der Woche: Frauen beim Baden im Serpentine-See, London, 12. Dezember 2022

Von Verena Mayer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: