Kolumne "Luft und Liebe":Wir schlafen nackt und kiffen!

Lesezeit: 3 min

Egal wie ekstatisch die Liebe sich gebärdet: Früher oder später muss die Leidenschaft auf Standby schalten. Wenn da nicht all die anderen sexbesessenen Paare wären, die einen unter Druck setzen ...

Violetta Simon

Als sie ihn kennen lernte, fand sie es unheimlich scharf, dass er bei seinen T-Shirts öfter mal die Nähte nach außen drehte. Schon beim ersten Treffen war ihr klar geworden: Dieser Mann war irgendwie anders.

Wilde Spiele finden immer nur in anderen Betten statt. Warum nur!?! (Foto: Foto: iStockphotos)

Inzwischen leben sie zusammen, und sie weiß schon lange, dass er seine Shirts gelegentlich nur deshalb auf der linken Seite trug, weil er einfach zu schusslig war, es zu bemerken.

Heute achtet sie für ihn darauf. Denn würde er es wieder tun, fände sie es nurmehr: dämlich.

Was ist passiert? Aus der Nähe betrachtet verlieren die Dinge ihre Faszination. An ihre Stelle tritt die Erkenntnis: "Ich kenne Dich". Und je länger die Beziehung dauert, desto weniger ist dieser Satz positiv zu werten ...

Kurz gesagt: Je verliebter wir sind, desto geheimnisvoller wirkt der andere auf uns. Mit der Zeit macht sich Normalität breit, denn derart ferngesteuert kann ja kein Mensch auf Dauer weitermachen.

Was aber versteht man unter Normalität? Was für den einen noch Alltag bedeutet, würde ein anderer bereits als alarmierenden "Verfall der Erotik" bezeichnen.

Je länger die Beziehung, desto länger das Beinhaar

Solche Menschen sind Hypochonder und beurteilen das Engagement für eine Partnerschaft auch gern anhand einer Haar-Analyse: Zu Beginn einer Beziehung ist es ja noch normal, sich direkt vor dem Date die Beine zu rasieren. Im Laufe der Zeit gibt man sich damit zufrieden, dass die Stoppeln nur zu spüren sind, wenn es kalt ist - oder ein Schauer der Erregung die Härchen aufstellen könnte. Ist die Gänsehaut-Phase abgeschlossen, muss der visuelle Test genügen: Sieht man schon was? Am Ende werden die Beine nur rasiert, wenn sie Rock trägt oder zum Baden geht. Das heißt: Im Sommer.

Aber ist das bereits ein Grund zum Verzweifeln? Es sind schließlich auch noch andere Bereiche betroffen:

Früher haben wir Stunden damit verbracht, unsere Gefühlswallungen in Gedichtform zu gießen, die Gespräche über das Wunder unserer Zuneigung wollten gar kein Ende nehmen. Heute fiele uns dazu nichts mehr ein, außer uns darüber zu wundern, wie viele Formulierungen wir für ein und dieselbe Aussage erfunden haben.

Hin und wieder bemerken wir jetzt eine gewisse innere Unruhe, wenn eine unserer Lieblingssendungen begonnen hat (es werden jede Woche mehr) und der Fernseher noch nicht läuft, weil der Partner sich gerade heute ein romantisches Essen in den Kopf gesetzt hat oder sich unbedingt noch über etwas Wichtiges (was bitte kann sonntags um 20.15 Uhr wichtiger sein als Tatort?!?) unterhalten will.

Mit anderen Worten: Die Leidenschaft wird auf Standby-Modus geschaltet und macht Platz, damit sich der Kuschelfaktor im zwischenmenschlichen Wohnraum ausbreiten kann.

Doch wo liegt die Grenze - kann man sich vor lauter Wohlgefühl ins Platonische kuscheln?

Um diese Frage zu beantworten, sollte man auf verschiedene Anzeichen achten:

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- Man frequentiert das Bett, um einfach nur zu schlafen. - Zum Einschlafen benötigt man keinen Partner und schon gar nicht die Löffelstellung. - Jeder bleibt unter seiner eigenen Decke. - Die primären Geschlechtsorgane haben ihren Namen nicht mehr verdient. - Die einzige Fete, die Sie noch erleben, ist die abendliche Pyjama-Party. - Gemeinsame Unternehmungen beschränken sich auf jene Minuten, in denen Sie nebeneinander die Zähne putzen. - Ein Abend vor der Glotze erzeugt ebenso viel Wohlgefühl wie früher ein Abend beim Franzosen um die Ecke.

Alle Fragen mit "ja" beantwortet? Herzlichen Glückwunsch. Sie haben es geschafft. Endlich Ruhe.

Sicher, es ist nicht leicht zuzugeben: Die Bezeichnung "Leidenschaft" hat in dieser Form des Zusammenlebens nichts mehr zu suchen. Nicht, dass sie verschwunden wäre. Aber sie tritt eher stundenweise auf. Dafür mit voller Wucht - so ist das eben bei Dingen, die mehrere Wochen lang Anlauf nehmen. Und statt des emotionalen Hochgefühls, das in den Keller jagt und Sekunden später wieder hochschnellt, spürt man jetzt einen inneren Frieden.

Das Problem ist nicht mangelnde Leidenschaft. Es ist die Einstellung dazu, die "Leid schafft". Mit der Leidenschaft ist es nämlich ein bisschen wie mit dem Talent - jeder hätte gern mehr davon. Doch kann sie einen auch ziemlich unter Druck setzen.

Vor allem, wenn man sich mit anderen Paaren vergleicht. Doch lassen Sie sich nicht verwirren!

Auch wenn sie Ihnen erzählen: "Wir schlafen nackt, lieben uns hemmungslos und überall, nehmen Drogen und besuchen dazwischen mehrmals wöchentlich kulturelle Veranstaltungen. Unsere Kinder finden uns total cool, weil wir so ausgeflippt sind" - alles nur Theater!

In Wirklichkeit kämpft irgendwann jeder mit der Panik: "Wir müssen uns was einfallen lassen! Alle anderen rauschen durch den Kosmos der Ekstase, nur bei uns hat sich die Routine breitgemacht."

Wird aus Gewohnheit einfach nur Langeweile, kann man gehen. Doch wenn man das ein- oder zweimal gemacht hat, erkennt man: Auch mit einem neuen Partner landet man an diesem Punkt. Und Gewohnheit kann auch Geborgenheit bedeuten. Es hängt also von der eigenen Einstellung ab.

Egal wie ekstatisch die Liebe sich gebärdet: Früher oder später muss der Wahnsinn sich legen. Anders hält man es nicht durch. Und nicht aus.

Wenn sie unbedingt was Spannendes erleben wollen, drehen sie zwischendurch sein T-Shirt um und schicken Sie ihn damit auf die Straße. Da können Sie sich dann prima aufregen.

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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