Kinderpflege:"Im Grunde ist Pucken eine liebevolle Idee"

Kinderpflege: Hilft, das Baby zu beruhigen, wenn man es richtig macht: Pucken.

Hilft, das Baby zu beruhigen, wenn man es richtig macht: Pucken.

(Foto: imago stock&people)

Vier Erzieherinnen einer Kita in Thüringen müssen sich vor Gericht verantworten, weil sie Kleinkinder durch Pucken ruhiggestellt und gegen deren Willen Nahrungsmittel eingeflößt haben sollen. Der Vorfall vermische eine durchaus sinnvolle Methode der Kinderpflege mit der Misshandlung Schutzbefohlener, kritisiert die Hebamme und Gesundheitswissenschaftlerin Christiane Schwarz. Im Gespräch mit SZ.de erklärt die 52-jährige Geburtshelferin aus Münster, was hinter dem Begriff Pucken steckt und wie man Kindern damit helfen kann, zur Ruhe zu kommen - wenn man es richtig macht.

Von Violetta Simon

Wie kommt man auf die Idee, Kinder mitsamt der Arme einzuwickeln?

Um sie zu beruhigen. Evolutionsbiologisch sind Menschenkinder Traglinge. Das Pucken wäre eigentlich unnötig, wenn Kinder nach wie vor bei ihren Müttern auf der Hüfte hocken würden, wie man es zum Beispiel häufig in Südostasien sieht. Diese Position ist aus biologischer Sicht die richtige Art, ein Kleinkind aufzubewahren. Aus einer maximalen Geborgenheit werden sie von der Mutter ins Leben getragen und können - genau wie Tierkinder - selber steuern, wie weit sie sich von ihr entfernen. Seit wir unsere Lebensform der Industrialisierung angepasst haben, können wir unsere Kinder nur noch eingeschränkt bei uns tragen, wie es etwa in Südamerika oder Afrika der Fall ist. In westlichen Kulturen musste man einen Ersatz für Körperwärme und Nähe finden - eine davon ist das Pucken.

Woher stammt die Technik?

Das Pucken hat eine lange Tradition. Schon in der Bibel wird das Jesuskind in Tücher gewickelt dargestellt. Man kann die Entstehung nicht einer bestimmten Kultur oder Zeit zuordnen, die Methode ist in allen möglichen Regionen weltweit verbreitet und wird in unterschiedlicher Ausprägung ausgeführt.

Ein paar Beispiele?

Die Japaner wickeln relativ straff, die Hopi-Indianer binden ihre Kinder in Tücher gewickelt auf ein Brett, das man auch abstellen kann. Die Afrikaner tragen ihre Kinder in Kanga-Tüchern auf dem Rücken, während in unserer westlichen Kultur beispielweise die Antroposophen so pucken, dass die Beine Bewegungsfreiheit haben. Sie legen auch mehr Wert auf weiches Material wie zum Beispiel Merinowolle - damit kann man das Kind gar nicht einschnüren oder überhitzen. Man kann aber auch ein weiches Baumwolltuch oder eine Stoffwindel verwenden.

Wie wirkt sich das Eingewickeltsein auf die Kinder aus?

Es reduziert Unruhe und Kälte. Das ist mit dem Gefühl vergleichbar, wenn Sie jemand fest in den Arm nimmt und liebevoll hält. Im Grunde ist Pucken eine liebevolle Idee, auf keinen Fall soll es bestrafen oder Zwang ausüben.

In welchen Situationen empfiehlt sich diese Technik - nur zum Schlafen oder auch tagsüber?

Es kommt darauf an. In jedem Fall sollte das Kind nicht zu straff gewickelt werden, vor allem tagsüber nicht. Auch die Arme sollten nur dann verpackt werden, wenn Pucken als Einschlafhilfe dient.

Gehört das Pucken zur Hebammen-Ausbildung?

Je nachdem, wo Sie lernen, ist es Bestandteil der Ausbildung - und zwar immer dann, wenn es um die Frage geht: Wie kann ich das Kind beruhigen und wie kann ich seine Körperwärme regulieren.

Raten Sie jeder Mutter zum Pucken?

Ich probiere es zumindest bei jedem Baby aus. Man merkt es an der Reaktion, wenn man es an den Füßen und am Kopf mit den Händen berührt - das Bedürfnis nach Umschließung ist im Grunde eine Suche nach der Begrenzung durch den Uterus. Ein Baby, das jedoch entspannt im Bett liegt, Arme und Beine weit von sich gestreckt, hat vermutlich eher kein Bedürfnis danach. Wenn es sich herauswinden würde, würde ich so ein Kind niemals einwickeln.

Bis zu welchem Alter funktioniert diese Methode?

Etwa bis zum Krabbelalter, bis die Kinder also beginnen, sich selbst fortzubewegen. Danach macht es keinen Sinn mehr.

Kann Pucken auch negative Auswirkungen haben?

Ja, zum Beispiel dann, wenn es gegen den Willen der Kinder geschieht. Ich bin überzeugt, dass jede Art von Zwang psychische Konsequenzen hat. Aber auch körperlich kann es negative Konsequenzen haben, wenn man nicht sachgemäß vorgeht: Wird etwa der Stoff zu straff gespannt, kann sich die Entwicklung der Hüfte verzögern. Ist er zu locker, zieht sich das Kind die Windel unter Umständen übers Gesicht - das erhöht das Risiko für den plötzlichen Kindstod. Besonders problematisch ist die Gefahr einer verringerten Gewichtszunahme: Wenn Babys durchs Pucken einen tieferen Ruhezustand erreichen, überschlafen sie womöglich leise Hungersignale, statt unruhig zu werden und nach Nahrung zu verlangen. Achten die Eltern nicht auf entsprechende Anzeichen, verpassen die Säuglinge eine Stillmahlzeit und nehmen nachweislich schlechter zu. Wir Hebammen nennen diese Kinder "Dulder". Die ertragen später eher Hunger und lassen sich auch leichter die Butter vom Brot nehmen - nicht nur beim Essen.

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