Integration:Zeigt Interesse!

Lesezeit: 4 min

Ein Flüchtling in der Gemeinschaftsunterkunft Sonthofen. (Foto: AFP)

Wer Flüchtlinge nur als Masse betrachtet, die sich über Meere und Kontinente nach Deutschland kämpft, macht etwas falsch. Integration gelingt nur, wenn sich Einheimische und Neuankömmlinge kennenlernen.

Von Felicitas Kock

Die Masse Mensch drängt sich auf Schiffen zusammen, in Zügen, vor Grenzzäunen, in Turnhallen. Wer Bilder von Flüchtlingen im Fernsehen oder der Zeitung sieht, der sieht oft nur diese Masse. Sind das jetzt Afghanen oder Syrer? Egal, auch die Heimatländer vermischen sich zu einem einzigen Krisengebiet. Zu einem "da unten", zur Quelle des "Flüchtlingsstroms".

So ist das, wenn man Dinge aus der Ferne betrachtet. Sie verschwimmen zur undefinierbaren Masse. Zu einem Fleck. Und so ein Fleck kann bedrohlich wirken, vor allem aus dem Augenwinkel, wenn man eigentlich gar nicht hingucken will.

Integration
:"Die Gesellschaft erwartet von Flüchtlingen, dass sie Übermenschen sind"

Sexistisch und gefährlich? Diese Vorurteile über muslimische Männer sagen viel über die deutsche Gesellschaft aus, findet Publizistin Kübra Gümüşay.

Von Hannah Beitzer

Vorbeizuschielen war einfach in den vergangenen Monaten - denn es gab anderes zu tun. Es wurde über die Sicherung der EU-Außengrenzen und die Festlegung deutscher Obergrenzen gestritten. Es wurde über Kontingente diskutiert, zwischen europäischen Staaten und deutschen Bundesländern. Und erst die philosophischen Fragen: Ist das jetzt eine Chance für Deutschland oder der Anfang vom Ende? Sind unsere Werte bedroht? Was sind das überhaupt für Werte?

Alles wichtige Fragen. Doch irgendwann, wenn alle Fragen gestellt und alle Positionen geklärt sind, gilt es, aus der Kreisbahn herauszutreten, die man um sich selbst gezogen hat, und über den nächsten Schritt nachzudenken: über Integration. Darüber, wie sie gelingen kann.

Ein Sprachkurs macht noch keine Integration

Integration wird zu oft als einseitiger Prozess verstanden. Neuankömmlinge bekommen ein Angebot an Sprach- und Orientierungskursen. Wenn alles gut läuft, sind die Teilnehmer am Ende fähig, sich mit den Einheimischen zu verständigen und Arbeit zu finden. Sie können alles, was Deutschland von seinen Flüchtlingen erwartet.

Nur: Integriert sind die Leute dadurch noch nicht. Die Flüchtlinge brauchen zusätzlich zum Wissen, das sie in den Kursen vermittelt bekommen, auch den Willen, sich einzufügen. Umgekehrt müssen die Einheimischen ihren Willen zeigen, die Leute tatsächlich aufzunehmen und in die Gesellschaft einzubinden. Das setzt zunächst einmal Interesse voraus. Das Interesse, sich gemeinsam mit Flüchtlingen an einen Tisch zu setzen und sie kennenzulernen. Vielleicht nicht gleich alle 965 000, die in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind, aber einen oder zwei.

Manche tun das schon. Sie sind einen Schritt auf die Flüchtlinge zugegangen und helfen beim Deutschlernen, bei Behördengängen, bei der Wohnungssuche. Man kocht, lernt, strickt, singt gemeinsam. Und man zeigt, ein bisschen trotzig fast, dass das funktionieren kann mit den Deutschen und den Zuwanderern.

Andere zögern noch. Warum? Weil es nicht jedermanns Sache ist, mit wildfremden Leuten zu kochen. Oder zu sprechen. Oder überhaupt irgendetwas gemeinsam zu unternehmen. Jeder ist anders und jedem sollte zugestanden werden, für sich zu bleiben. Doch sich zu informieren über die Leute, die jetzt auf unbestimmte Zeit (vielleicht für immer) in Deutschland leben, ist das Mindeste, was jeder tun kann. Wenn es sein muss, nicht einmal aus Interesse an den Menschen sondern aus Interesse am Funktionieren dieser Gesellschaft.

Integration
:Was Schüler über Flüchtlinge in ihren Klassen denken

300 000 Flüchtlinge sollen bis Jahresende deutsche Schulen besuchen. Eine Umfrage zeigt: Ihre Mitschüler sind skeptisch - aber nicht wegen der Herkunft der Neuen.

Von Johann Osel

Was passieren kann, wenn sich Einheimische und Neuankömmlinge nicht richtig kennenlernen, hat die Vergangenheit gezeigt. Deutschland ist ja nicht erst seit dem Sommer Einwanderungsland. Im Gegenteil, die Erfahrung ist da, auch wenn die Politik lange so tat, als wäre nichts. Und die Erfahrung lehrt vor allem eines: Wenn man sich nicht richtig kennenlernt, hält man sich am Ende womöglich für verschiedener, als man ist.

Die Kulturwissenschaften nutzen gerne den Begriff des "Othering". Die Andersartigkeit der anderen wird hochstilisiert - nur weil sie aus einem fernen Land, aus einer fremden Kultur kommen.

Integration und Medien
:Was Medien für Flüchtlinge senden

Webseiten, Videos, Radiosender: Medien bieten Asylsuchenden viel. Aber wird das auch genutzt?

Von Kathrin Hollmer

Dabei ist weder die deutsche noch die türkische oder die syrische homogen. Reich und arm, jung und alt, gebildet und ungebildet, homo- oder heterosexuell - es gibt viele gesellschaftliche Linien, die mindestens genauso prägend sind wie Nationalität. Es kann durchaus sein, dass die Reichen in Syrien und die Reichen in Deutschland ein ähnlicheres Leben führen (oder vor dem Krieg geführt haben) als die Reichen und die Armen in ein und demselben Land.

Das Problem: Wenn die Mehrheitsgesellschaft (Beispiel: die Deutschen) nur lange genug echte oder vermeintliche Unterschiede beschwört, nimmt die Minderheitsgesellschaft (Beispiel: türkische Gastarbeiter / syrische Flüchtlinge) sie womöglich beim Wort und grenzt sich ihrerseits ab. Auch hierfür gibt es ein Wort. Parallelgesellschaft.

Gemeinsame Probleme, gemeinsame Themen

Wer nicht versucht, die Menschen kennenzulernen, die jetzt nach Deutschland kommen, der wird nie erfahren, welche gemeinsamen Bezugspunkte es gibt - und wo man tatsächlich auseinanderliegt.

Nehmen wir die 31-jährige Ola (Name geändert) aus Damaskus. Beim ersten Treffen mit ihrer deutschen Sprachpartnerin berichtet sie von ihrem Leben in Syrien: Es war ein gutes Leben in einem großen Apartment, mit einem guten Job und einmal im Jahr Urlaub. Dass einmal Tag für Tag Bomben neben ihrem Büro einschlagen würden, hatte sie nicht kommen sehen. Lange war Olas größtes Problem gewesen, dass sie als berufstätige Mutter in Stress geriet, weil sie neben dem Job noch den Haushalt schmeißen musste. Ein Problem, das arbeitenden Müttern in Deutschland bekannt vorkommen dürfte.

Einheimische und Flüchtlinge haben durchaus gemeinsame Themen. Nur sieht man sie nicht, wenn man nur auf die Menschenmasse blickt, die sich da über Meere und Ländergrenzen kämpft, in Serbien durch Flüsse watet und knöcheltief im Matsch von Röszke versinkt. Wer die Menschen kennenlernt, aus dem die Masse besteht, entdeckt Gemeinsamkeiten, verliert die Angst vor dem nun nicht mehr Fremden - und behandelt den Einzelnen, wie es seiner würdig ist. Das ist die wichtigste Grundlage gelungener Integration.

"Nach der ersten Hilfe - wie sich Deutschland durch die Flüchtlinge verändert": Diesem Thema widmen sich namhafte Politiker und Experten am 9. Dezember bei einer gemeinsamen Konferenz der Körber-Stiftung und der Süddeutschen Zeitung in Zusammenarbeit mit dem Norddeutschen Rundfunk in Hamburg. Den Livestream zur Veranstaltung finden Sie auf SZ.de. In unserem Dossier haben wir für Sie besondere Beiträge rund um das Thema "Flucht nach Deutschland" zusammengestellt - hier mehr lesen.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: