SZ: In der Flüchtlingsdebatte warnen viele vor jungen, muslimischen Männern: Sie seien aggressiv, sexistisch, gefährlich. Woher kommt dieses Bild?
Kübra Gümüşay: Das ist ein sehr typisches Bild, das schon in den vergangenen Jahrzehnten präsent war. Der türkische Mann zum Beispiel wurde immer als potenzielle Gefahr für die deutsche Frau gesehen: ein Mann, der sehr potent, aggressiv, sexuell aufgeladen und respektlos gegenüber Frauen sein soll. Ein ähnliches Bild gab es in den 50er Jahren von Italienern, später richtete sich dieses Bild gegen Türken und Araber, gegen die Kinder der Gastarbeiter. Noch etwas später wurden die Männer dann primär als "Muslime" gesehen.
Warum hält sich das Bild so hartnäckig?
Es sagt eigentlich mehr über die deutsche Gesellschaft aus als über den Islam oder diese Männer. Nämlich darüber, wie sich die Deutschen selber sehen. Sie zeichnen ein idealisiertes Bild von Deutschland als Gesellschaft, in der es keinen Sexismus gibt. Stattdessen versuchen sie, den Sexismus in der eigenen Gesellschaft auf die neu Dazugekommenen zu projizieren, um damit zu suggerieren, dass das Problem importiert sei. Besonders krude wird es, wenn erzkonservative Politiker, die nichts mit Feminismus am Hut haben, plötzlich Sexismus beklagen, wenn es um Muslime oder Geflüchtete geht. Sie vereinnahmen damit die feministische Debatte für ihre politischen Ziele.
Die Journalistin Kübra Gümüşay schreibt seit Jahren zu den Themen Integration und Feminismus. Die Deutsche mit türkischen Wurzeln hat Politikwissenschaft studiert und lebt zurzeit in Großbritannien. Ihr Blog "Ein Fremdwörterbuch" war 2011 für den Grimme Online Award nominiert.
Wie äußert sich das Bild außerhalb der Politik?
Es zieht sich durch die ganze Populärkultur, in der Musik, im Kino. In Filmen zum Beispiel gibt es für muslimische Männer fast ausschließlich die Rolle des prolligen Gangsters, der aggressiv ist, respektlos gegenüber Frauen. Selten werden diese Männer als intellektuelle Wesen dargestellt, als klug, feinsinnig oder mal melancholisch, philosophisch. Erlaubt sind Rollen, wie sie zum Beispiel Elyas M'Barek häufig spielt: Der arabischstämmige Mann ist ein Player, er hat Sprachprobleme, er ist vielleicht lustig, aber auch ein wenig dumm.
Sie erwähnen, dass es ein ähnliches Bild von Italienern gab - geht es nicht eher um das Stereotyp des impulsiven, unkontrollierbaren Südländers als um den Islam?
Mit dem Islam ist es speziell verbunden, weil es sehr viele Bemühungen gab, das Bild theologisch und kulturell zu begründen. Ein Beispiel dafür ist die Publizistin Necla Kelek. Wenn sie zum Beispiel im Fernsehen sagt: Der muslimische Mann sei sexuell so aufgeladen, dass er - wenn er keine Frau finde - sich an Tieren vergehe. Und auch an anderer Stelle wurde versucht, das Bild des sich nicht unter Kontrolle habenden muslimischen Mannes in einen Kausalzusammenhang zur Religion zu stellen. Indem zum Beispiel der Prophet Mohammed als frauenfeindlich und sexuell aggressiv dargestellt wurde. Damit steht das Stereotyp in einem Gesamtkontext, der schwerer zu entlarven ist als das klar rassistische Bild, das es etwa von Italienern gab.
Wie ist denn das Männerbild im Islam?
Theologisch gesehen, gibt es im Islam kein festgeschriebenes Männerbild. Genauso wenig, wie es ein festgeschriebenes Frauenbild gibt. Grundsätzlich gilt der Prophet als Vorbild, aber es gibt sehr viele verschiedene Auslegungen und Interpretationen seiner Person. So gibt es Theologinnen und Theologen, die schreiben: Der Prophet war ein Mann, der im Haushalt nicht nur geholfen, sondern richtig im Haushalt gearbeitet hat. Die Pflichten waren nicht primär die der Frau, sondern man hat sie sich aufgeteilt. Der Prophet nähte demnach seine Gewänder selbst und flickte seine Schuhe. In der Praxis ist in den muslimisch geprägten Ländern das Männerbild sehr unterschiedlich. In der westlichen Welt herrscht aber eine ziemlich festgelegte Vorstellung des islamischen Mannes. Es ist sehr schwer, sich davon zu befreien.
Wie wirkt sich das auf das Leben muslimischer Männer aus?
Das Traurige ist, dass viele Menschen anfangen, den Rollen zu entsprechen, die die Gesellschaft für sie vorsieht. Wenn es in der Gesellschaft nur eine Rolle für mich gibt, dann ist es leichter, mich in sie zu fügen, als dagegen aufzubegehren. Im Alltag haben es muslimische Männer einerseits etwas leichter als muslimische Frauen, weil sie häufig nicht sofort als Muslime erkennbar sind - anders als Frauen, die ein Kopftuch tragen. Andererseits gilt jeder arabisch- oder türkischstämmig aussehende Mann mittlerweile als muslimisch - unabhängig davon, ob er beispielsweise atheistisch oder christlich ist.
Darüberhinaus war der muslimische Mann in der Debatte immer der Hauptfeind, der aggressive Unterdrücker. Die muslimische Frau galt als Opfer, das vor der Unterdrückung durch den Mann gerettet werden muss. Deswegen gab es viele Initiativen, diese Frauen zu ermächtigen. Muslimischen Männern hingegen begegnen die Menschen mit Angst und Misstrauen.
Gab es in den vergangenen Jahren auch positive Entwicklungen?
Allein das Wissen um Stereotype kann manchmal helfen, sie zu durchbrechen. Ich sehe in den vergangenen Jahren insofern Erfolge, als dass ein gewisser Bildungsaufstieg entstanden ist. Es gibt nun auch in Deutschland immer mehr muslimische Männer, die Vorbilder für andere sind. Sie zeigen: Der muslimische Mann kann auch Sozialunternehmer werden, Theologe, Intellektueller.
Inzwischen wird muslimischen Menschen auch zugestanden, für sich selbst zu sprechen. Allerdings treten sie häufig ausschließlich als Experten auf für Themen, die in Zusammenhang mit ihrer Religion und Herkunft stehen. Sie dürfen über Terror sprechen, aber seltener über Liebe oder das Wirtschaftssystem. Das ist ein großes Problem. Denn wenn Menschen immer nur in bestimmten Zusammenhängen auftreten, verfestigt sich das Bild, das man von ihnen hat.