Hertha BSC:Kann man die Liebe zum Fußball an den Sohn weitergeben?

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Hertha Fans beim Spiel gegen FC Bayern München am 25.03.2014 im Olympiastadion in Berlin. (Foto: dpa)

Unser Autor versucht es zumindest. Über einen besonderen Vater-Sohn-Tag im Berliner Olympiastadion.

Von Dirk Gieselmann

"Dietmar Hopp, wir scheißen auf dein Geld, wir machen aus der SAP den größten Puff der Welt", singt eine Gruppe junger Männer in der S-Bahn in Richtung Berliner Olympiastadion. Sie alle sind in Blau-Weiß gekleidet, Anhänger von Hertha BSC, für diese frühe Tageszeit bereits erstaunlich betrunken, und es ist ihnen offenbar gleichgültig, in welche Erklärungsnot mich ihr zotiges Liedchen bringt.

"Wer ist Dietmar Hopp, Papa?", fragt mein Sohn, sieben Jahre alt, der in seinem Schneeanzug dasitzt, die Beine von der Bank baumeln lässt und große Ohren macht. "Was ist SAP?" Und: "Was ist ein Puff?" In seinem Gesicht steht ein Ausdruck derart gespannter Erwartung, als öffnete sich in diesem Moment eine Tür zu etwas bislang Verbotenem. Zu einer Welt, in der niemand sagt: Das sagt man aber nicht.

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Es ist die Tür, die aus der Kindheit hinausführt. Die Tür zum Leben in seiner ungezähmten Fülle, für das der Fußball eine Metapher ist. Manche sagen sogar, er führt noch viel weiter. Zum Schatten und zum Licht, zum Kummer und zur Freude, zum Abstieg und zum Aufstieg, zur sittlichen Verwahrlosung und zum Großmut. Wir befinden uns hier, in der S-Bahn in Richtung Berliner Olympiastadion, an der Schwelle, auf der mein Sohn, sieben Jahre alt, eines Tages meine Hand loslassen wird, um Dinge zu tun, von denen ich nichts wissen darf, und Lieder zu singen, die ich nicht hören will.

Ich hätte mit ihm angeln gehen sollen, oder Pilze sammeln. Aber davon verstehe ich nichts

Die jungen Männer sind inzwischen zum Grölen übergegangen. "Paaaapaaaa", sagt mein Sohn jetzt mit Nachdruck, "was ist denn nun ein Pu-huff?"

Ich Idiot, denke ich. Ich verdammter Idiot. Ich hätte mit ihm angeln gehen sollen. Pilze sammeln. Rudern vielleicht. Irgendein ungestörtes Vater-Sohn-Ding wäre die bessere Wahl gewesen. Nur er und ich. In der Einsamkeit der Natur, weit ab von allem und jedem. Dort hätte ich mein Wissen an ihn weitergeben können, in einer verschworenen Zeremonie. Jedes unserer wenigen Worte wäre versiegelt gewesen in einer aufsteigenden Atemwolke, ein Reiher im Schilfsaum als einziger Zeuge. Mein Sohn hätte mich angesehen und ich ihn, in unseren Augen hätten sich die Generationen gespiegelt, die vor uns kamen und nach uns kommen werden, ach! Schön wäre es gewesen und weihevoll, da draußen in Brandenburg, wo jetzt gerade, um 14 Uhr am Samstagnachmittag, ohnehin niemand mehr ist, weil ja alle zum Spiel der Hertha gegen Hoffenheim fahren.

Wir hätten nicht in der nach Schneematsch, Bier und Testosteron riechenden S-Bahn sitzen müssen, und diese Männer hätten auch nicht hineinpfuschen können in das Initiationsritual: den ersten Stadionbesuch meines Sohnes, sieben Jahre alt, für den Fußball nun mal das Allertollste auf der Welt ist. Der rein gar nichts gibt auf Angeln, Pilzesammeln oder Rudern. Ebenso wenig wie ich.

Ich besitze auch so gut wie kein Wissen, das ich an ihn weitergeben könnte. Als ich einmal mit ihm ein kleines Holzboot baute und es in einem Fluss zu Wasser ließ, kenterte es binnen Sekunden. "Mach dir nichts draus, Papa", sagte er und erwartete von da an nicht mehr, dass ich ihm handwerkliche Fertigkeiten vermitteln würde. Über den Fußball aber kann ich ihm alles erzählen, von längst vergangenen Weltmeisterschaften, von Zidane und Maradona, Namen, die beinah schon klingen wie Herkules und Agamemnon, und er kann stundenlang zuhören. Und so weiß ich in diesem Augenblick, da sich neben uns ein älterer Hertha-Fan, dessen Wampe auf seinen Oberschenkeln liegt wie eine blau-weiß gestreifte Katze, eine Büchse aufreißt, nur eines: dass wir das Richtige tun, auch wenn es falsch aussehen mag. Wir fahren gemeinsam ins Stadion.

"Ein Puff?", sage ich also. "Äh. Tja."

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Ich hätte ahnen können, dass der Fußball, wie das Leben an sich, Fragen aufwirft, die sich nicht so einfach beantworten lassen. "Damit meinen diese Männer, dass sie Herrn Hopps Firma, das ist der Chef des Gegners, ganz unordentlich machen wollen, um ihn zu ärgern." Mein Sohn schaut mich erst skeptisch an und dann stumm aus dem Fenster, als läge dort draußen eine bessere Antwort, als ich sie ihm gegeben habe. "Ich will auch so einen Schal haben wie die Männer da", sagt er nach einer Weile. "Kaufst du mir so einen Schal, bitte?"

Bislang hat er vor allem Neymar bewundert: "Der hat immer so tolle Schuhe."

Eine halbe Stunde später trägt er einen Schal, der doppelt so lang ist wie er, auf dem "Die Erde bebt, der Himmel brennt - Berlin" steht, der sagenhaft hässlich ist und mich zwölf Piepen gekostet hat. Wenn mein Plan aufgeht, ist mein Sohn von diesem Tag an für den Rest seines Lebens Fan von Hertha BSC, einem Verein aus seiner Geburtsstadt, der ihn lehren wird, dass dieser Sport wahre Leidenschaft erfordert und nicht nur den Willen, unterhalten zu werden. Bislang hat er vor allem Neymar bewundert, den Justin Bieber des Fußballs. "Der hat immer so tolle Schuhe an", sagte er neulich. An diesem Tag beschloss ich, meinem Sohn beizubringen, dass der Fußball, und mithin das Leben, aus mehr besteht als aus tollen Schuhen.

Der SV Werder, mein Verein, wäre mir natürlich lieber gewesen als Hertha BSC, aber den hat mein Sohn, obwohl er ihm doch so gutgetan hätte, immer verschmäht wie Rosenkohl, Spinat und Brokkoli. Ich erinnere mich noch allzu gut an meinen ersten Besuch im Weserstadion, ich war neun Jahre alt und sah ein 0:0 gegen den VfL Bochum, aber das war nicht alles. Ich erinnere mich an das Flutlicht, an den Geruch von Rasen und Bratwurst. An die raunende Masse, die mir wie ein einziger Organismus vorkam, zu dessen Teil ich wurde, in dem ich mich regelrecht auflöste. Und doch war es ja mein eigenes Herz, das so laut pochte, bis zum Abpfiff und immer noch im Bus des Reiseunternehmens Rittmeyer, auf der Heimfahrt, durch diese Herbstnacht, die Bundesstraße 51 entlang. Seither liebe ich den SV Werder, ich liebe ihn, wenn ich das so sagen darf, inniger, heftiger, bedingungsloser, als er mich je geliebt hat. Er ist die unglücklichste, glücklichste Liebe meines Lebens. Und diese Liebe ist viel mehr als tolle Schuhe.

Das ist es, was ich meinem Sohn gern beibringen möchte, auch wenn es, auf diese kurze Formel gebracht, klingt wie ein Sinnspruch aus einer Zeitschrift, die im Wartezimmer ausliegt. Deshalb sind wir heute hier, bei Hertha gegen Hoffenheim, an einem Samstag im Februar bei minus drei Grad. Kakao tropft jetzt auf seinen "Die Erde bebt, der Himmel brennt"-Schal. Und ich bin ganz ergriffen von der Tragweite meines Plans. Mein Herz pocht so laut wie damals, als ich selbst noch ein kleiner Junge war.

Dass der echte Fußball wenig mit jener Zirkusrevue zu tun hat, die mein Sohn aus dem Internet kennt, mit den rasanten Zusammenschnitten aus Fallrückziehern, Hackentricks und bombastischen Fernschüssen, mit unbesiegbaren Superhelden wie diesem Neymar, sondern sehr zäh sein kann, Geduld, Leidensfähigkeit und Nachsicht erfordert, zumindest das wird alsbald deutlich. Die erste Halbzeit zieht ereignislos an uns vorüber. Kein Tor, nicht einmal eine Ecke gönnt uns dieses Spiel. Es schneit.

Mein Sohn vertreibt sich die Zeit, indem er einen digitalen Geparden beobachtet, der die Werbebande entlangsprintet, immer und immer wieder. Ich versuche währenddessen zu begreifen, dass Julian Nagelsmann, der Hoffenheimer Trainer, noch gar nicht auf der Welt war, als ich zum ersten Mal ein Stadion besuchte, und mich nicht zugleich unsagbar alt zu fühlen. Der Riesenteddy Herthinho, das Vereinsmaskottchen, sitzt mit hängenden Schultern auf seinem Klappstuhl wie ein Rausschmeißer vor einer schlecht gehenden Dorfdisco. Der Schnee bleibt in seinem Fell hängen.

Zweite Halbzeit, Elfmeter für Hoffenheim. "Schwalbe!", ruft mein Sohn

"Wenn dir zu kalt wird, meldest du dich, ja?", sage ich zu meinem Sohn. "Dann gehen wir hoch und trinken noch einen heißen Kakao." Er kommt mir nun doch arg klein vor in dem Schalensitz, Reihe 9, Platz 14. War es vielleicht doch zu früh, hierherzukommen? "Papa!", aber sagt er streng. "Das macht man nicht. Man geht nicht weg, wenn das Spiel noch läuft." Ob er wirklich dem Hertha-Verteidiger Marvin Plattenhardt moralische Unterstützung zuteilwerden lassen will, damit der endlich mal anständig flankt, oder doch nur den hundertsten Sprint des digitalen Geparden nicht verpassen möchte, bleibt zwar unklar. Aber ich bewundere seine Zähigkeit. Leider kann ich durch den dicken Schneeanzug nicht fühlen, wie stark sein Herz pocht. "Jaaaaa!", ruft er einmal eine Spur zu enthusiastisch, als die Berliner einen Einwurf zugesprochen bekommen.

Die zweite Halbzeit beginnt mit einem Elfmeter für Hoffenheim. "Schwalbe!", ruft mein Sohn. Ich kenne diese Entrüstung aus den Momenten, in denen seine kleine Schwester mit einem Keks davonrennt, der eigentlich ihm versprochen war. Es steht nun 1:0 für den Gegner. Wird ihm das den Mut nehmen? Wird er durchhalten? Er nimmt seinen Schal ab und schleudert ihn im Kreis wie einen Propeller. "Hertha! Hertha!", skandiert er. Ist er wirklich zum ersten Mal hier? Oder war er zuvor schon heimlich Dauerkarteninhaber?

Der Ausgleich durch Salomon Kalou gehört, wie man in der "Sportschau"-Sprache sagt, dann auch zu mindestens fünfzig Prozent meinem Sohn, mit solch großer Anstrengung hat er ihn herbeigesehnt. Als er endlich fällt, wirft er sich seinem Sitznachbarn, einem Herrn mit einer speckigen Kutte über seiner Funktionsjacke, in die ausgebreiteten Arme. Hertha-Fans unter sich. Ich gratuliere beiden, wie es der Sportsgeist gebietet.

Es bleibt beim 1:1, ein gutes Ergebnis für diesen ersten Stadionbesuch, wie ich finde. Es ist keine Enttäuschung, schürt aber auch nicht allzu hohe Erwartungen, wir sind hier schließlich bei Hertha BSC. "Na, denn bis zum nächsten Mal, wa", sagt ein freundlicher Ordner. "Mach et jut, mein Kleener."

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"Willst du denn noch mal zur Hertha gehen?", frage ich ihn auf dem Heimweg.

"Ja", sagt mein Sohn und drückt meine Hand. "Aber du sollst mitkommen, Papa."

Und mein Herz pocht laut vor Stolz und Erleichterung.

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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